REUTLINGEN. »Hmm, das duftet«, sagt Fabio Ruoff und hält die Nase noch etwas näher an die eben aufgeschnittene Apfelhälfte. »Wie Champagner.« Nach dem französischen Schaumwein heißt die Sorte »Champagner-Renette«. Der Agrarwissenschaftsstudent aus Reutlingen hat eine ganze Stofftasche voll alter regionaler Apfelsorten dabei: Gewürzluike, Herzogapfel, Unseldapfel, eine Rote Sternrenette und einen großen Brettacher.

Zuletzt fischt er noch »eine der letzten Birnen, die ich im Keller hab'« aus dem Beutel. Und ein kleines dunkelrotes Äpfelchen mit kleiner Pilz-Macke, das noch ein Geheimnis birgt. Dessen Eigenschaften erinnern an eine von Eduard Lucas beschriebene Sorte aus dem Echaztal, die als ausgestorben gilt. Hat Ruoff sie nun wiederentdeckt? Das prüft er momentan zusammen mit Experten der Sortenerhaltungszentrale Bavendorf.

Nicht erst, als der 19-Jährige im Café einen Apfelkuchen bestellt, ist klar: Der junge Mann in der grauen Kapuzenjacke liebt Streuobst. »Ich war als kleiner Bua schon mit dem Papa auf den Wiesen der Oma in Pfullingen«, erzählt er. Dort haben sie gemäht und jedes Jahr die Bäume geschnitten. Inzwischen hat er die Streuobstwiese von seiner Großmutter übernommen. »Das ist ein Schatz!«, findet er.
Gesunde Lebensmittel selbst erzeugen
Als »tollen Ausgleich zur Uni« unterstütze er damit den Naturschutz, die Landschaftspflege und seine Gesundheit. Vom Mehrwert, der damit im eigenen Keller wächst, ganz zu schweigen: Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Kirschen, Mirabellen - zum Gleichessen oder Aufheben, zum Dörren, Brennen, Saften. Alles »kostenlose Lebensmittel, für die man nicht allzu viel tun muss«.

Der Einsatz besteht vorrangig aus Zeit und Wissen. Mähen, Wässern und Baumpflege seien »schon eine Verpflichtung«. Aber man könne es sich einteilen. Obstauflesen und Kistenschleppen in Teamarbeit schweißt zusammen. Und in dieses Thema einzutauchen, findet er »cool«. Bei der Veredelung, nach der etwa auf einem Stamm verschiedene - frühe und späte - Obstsorten wachsen, ist Kreativität gefragt. Auch in der Verwertung sei im Moment »viel offen«, sagt er: Märkte, Crowdfarming, Belieferung regionaler Geschäfte und Gastronomen.
Begeisterung, die ansteckt
Die Begeisterung des 19-Jährigen wirkt ansteckend. Und er ist damit nicht allein. Der 27-jährige Forstwirt Jannik Deibler aus Hirrlingen »ist wie ich Feuer und Flamme«, sagt Fabio Ruoff. Vor etwas mehr als einem Jahr haben die beiden Freunde mit der »Zukunftsgeneration Streuobst« eine Initiative gegründet, um die eigene Lust am Streuobstanbau noch weiter zu streuen.
Das Kernziel: Leute motivieren, mitnehmen, zusammenbringen. »Jeder, der Lust dazu hat, soll rausgehen und Bäume pflegen.« So organisiert die Initiative etwa regelmäßig Baumschnittkurse speziell für junge Menschen, Rallyes für Kinder und ein Sortenquiz fürs Eduard-Lucas-Fest in der Pomologie. Die Reutlinger Grünen-Stadträtin Katharina Ernst ist im Social-Media-Team und der 16-jährige Felix Fecht aus Mittelstadt als Juniorfachwart bei vielen Aktionen aktiv. Auf Instagram, wo sie unter dem Namen »zukunftsgeneration_streuobst23« den »Apfel der Woche« küren und einen Adventskalender aus kurzen Filmen gemacht haben, folgen der Initiative schon 651 Menschen. Aus der Region und darüber hinaus, bis nach Österreich. »Eine total tolle Community«, findet Ruoff.
Sämlinge selber ziehen
Um eigene Bäume der selten gewordenen alten regionalen Sorten zu ziehen, rät Fabio Ruoff: Aus einem Apfel einer starkwüchsigen, gesunden Sorte Kerne entnehmen, auf ein feuchtes - möglichst unbedrucktes - Küchenpapier zu legen und dies einmal umzuschlagen, sodass die braunen bis schwarzbraunen Apfelkerne rundum bedeckt sind. Das Küchenpapier dann in eine verschließbare Plastiktüte und diese bei 2 bis 4 Grad Celsius in den Kühlschrank legen. Dafür sorgen, dass das Küchenpapier stets feucht bleibt. »Dann treiben die Kerne irgendwann aus«, meint der 19-Jährige. Das könne Wochen, gar bis zu einigen Monate dauern. Bilden sich zarte Wurzeln und Triebe, können die vorsichtig in kleine Pflanzentöpfe, möglichst gefüllt mit Anzuchterde, versetzt werden. »Später sollten die Sämlinge umveredelt werden, um einen Baum der gewünschten Sorte zu erhalten. Äpfel aussäen ist wie Roulette spielen. Da gleicht kein Sämling dem Anderen, und erst recht nicht der Elternsorte.« (dia)
Tradition bewahren und offen sein für Neues
Sein Motto: »Nicht jammern, sondern Lust auf den Streuobstanbau machen. Und die regionalen Produkte selber kaufen.« Kleinstrukturen bieten eine unglaubliche Vielfalt, findet der einstige IKG-Schüler. »Das macht Streuobst so liebenswert.« Je breiter man aufgestellt ist, desto mehr Möglichkeiten gibt's, erklärt Fabio Ruoff. Desto widerstandsfähiger ist auch die eigene Streuobstwiese. »Man muss offen sein für Neues.« So hat er selbst heute etwa auch zwei Kaki-Bäume. Oberhalb von Glems wachsen am Waldrand Maulbeeren. Zwei »Riesentrümmer«, so groß wie Walnussbäume, berichtet der junge Streuobstfan. »Ein toller Zugewinn und eine Zukunftschance.« Aber Äpfel können die nicht ersetzen, sagt er. Schon allein, weil sie schwieriger zu lagern sind.
»Streuobst ist einfach toll und hat eine Zukunft!«, betont Fabio Ruoff, und: »Wir sind nicht in der Krise, wir sind im Wandel.« Drei aktuelle Probleme nennt er deshalb lieber »Challenges«. Dem Klimawandel können Obstbauern etwa mit dem Anbau alter spätblühender Sorten wie Christiansapfel und Roter Bellefleur begegnen. Den Generationenwechsel fördern im Landkreis sogenannte »Streuobstpädagogen«, die an Grundschulen mit Kindern Bäume setzen, Wiesentiere und Pflanzen inspizieren und Saft pressen. Nicht zuletzt entwickeln lokale Mostereien wie jene in Pfullingen »revolutionäre Vermarktungsideen« und neue Verwertungsstrategien. (GEA)