KREIS REUTLINGEN/TÜBINGEN. Beim GEA-Ortstermin in Bronnweiler gab es jüngst ein wiederkehrendes Thema: die schlechte Busverbindung ins benachbarte Gomaringen beziehungsweise weiter nach Tübingen. So nah und doch so fern: Ein Blick in die Naldo-Fahrplanauskunft zeigt trübe ÖPNV-Realität. Jenseits der Schulbusverbindungen (Gönningen-Gomaringen dreimal am Tag), müssen Bronnweiler Fahrgäste zunächst mit einem RSV-Bus nach Reutlingen Stadtmitte fahren und dort in einen SWEG-Bus nach Gomaringen umsteigen. Eine alternative Verbindung führt von Bronnweiler per Bus an den Reutlinger Bahnhof, von dort mit dem Metropolexpress nach Tübingen und dann weiter mit dem Bus nach Gomaringen. Wer gern dreimal umsteigt, kann eine Busverbindung über Reutlingen und Kusterdingen wählen.
Je nach Option ist für die sechs Kilometer lange Strecke zwischen der Dorfmitte Bronnweiler und dem Gomaringer ZOB eine Fahrzeit von 49 Minuten und 1 Stunde 45 Minuten angegeben. Mit dem Auto braucht man laut Google Maps 6 Minuten, mit dem Rad 14 Minuten – und selbst zu Fuß sind es nur 55 Minuten. Sieht so Verkehrswende aus – zumal im gleichen Verkehrsverbund? Und: Liegt es daran, dass die beiden Nachbarorte in zwei verschiedenen Landkreisen liegen?
»Ein schwieriges Thema: Die Randlagen der Landkreise sind immer ein Problem«, sagt der Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Neckar-Alb-Donau (Naldo), Christoph Heneka. Die Verkehre würden von den Landkreisen bestellt und diese seien nun mal auf die großen Städte fixiert.
Zu Fuß ist man fast schneller in Gomaringen
Nur wenn beide Nachbarn die Verbindung wollen, hat eine neue Linie eine Chance – dann gilt es nur noch, sich über die Kostenverteilung zu einigen. Aber: Selbst wenn die Reutlinger Interesse anmelden würden im speziellen Fall, der Landkreis Tübingen hat keines, mutmaßt Heneka. Für die Gomaringer gibt es keine Gründe (etwa Einkaufsmöglichkeiten, Schulen oder Ärzte), ins kleine Nachbardorf zu fahren. Änderung ist also nicht in Sicht. Der Landkreis Tübingen habe soeben sein Linienbündel Südost neu vergeben. »Der Zug ist abgefahren«, sagt Heneka.
Im Reutlinger Südraum sei das Problem »extrem«. Auch weil das Fahrgastaufkommen dort zu gering seien. Das gilt auch für die nicht nur von Gönningern lang gewünschte Busanbindung von Gönningen nach Genkingen. Die gut sechs Kilometer lange Strecke auf die Alb ist mit dem ÖPNV (abseits des Sonnenalb-Expresses an Sonn- und Feiertagen in den Sommermonaten) nicht direkt zu überwinden. Auch hier müssen Fahrgäste in Gönningen zunächst den RSV-Bus gen Reutlinger Innenstadt nehmen und dann über Pfullingen mit dem Regionalbus gen Genkingen reisen. Hier ist nicht einmal eine Landkreisgrenze im Spiel: Es fehlt laut Heneka schlicht an Fahrgastpotenzial.
Im Nordraum des Landkreises stehen die Chancen auf die Erfüllung von Extrawünschen offensichtlich besser. Seit Sommer 2019 rollt kreisübergreifend die Direktverbindung 121 Kirchentellinsfurt-Pliezhausen, die auch Reutlingen-Altenburger passiert (Betreiber: die Kurz GmbH).
Neue Chancen für neue Verbindungen nach Verkehrsanalyse
Ein weiteres Positivbeispiel aus dem Nordraum ist die Linie 827. Die Untersuchung von Fahrgastpotenzial und Wirtschaftlichkeit hatte Weiterführung nachgelegt: Seit Anfang dieses Jahres rollt der Bus von Tübingen über Dettenhausen nun weiter über die Kreisgrenze bis Walddorfhäslach, vier Jahre auf Probe zunächst.
Tangentiale Verbindungen sind weiter Mangelware, selbst innerhalb des Reutlinger Stadtgebiets – für das (Ausnahme: Expresso) ausschließlich die Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft RSV zuständig ist. Die Struktur Kernstadt plus zwölf Teilorte macht die Aufgabe anspruchsvoll.
Sicher ist: Die meisten Dorfbewohner wollen in die Kernstadt, daher der strahlenförmige Aufbau des RSV-Netzes. Für Veränderung an der einen oder anderen Stelle gibt es jedoch Chancen: Im Reutlinger Rathaus arbeitet man seit Längerem an einer großen Verkehrsuntersuchung, berichtet RSV-Geschäftsführer Thomas Görtzen. »Aktuell werten wir mit der Stadt die Ergebnisse aus.« Bis Ende des Jahres rechnet der RSV-Chef mit Ergebnissen.
Quartiersbusse sind eine Option
Untersucht werde dabei auch, ob und auf welchen Tangentialrouten »eine relevante Verkehrsnachfrage« bestehe. Dabei würden Fahrten mit dem Auto, ÖPNV, Fahrrad und der Fußverkehr berücksichtigt. »Sollte sich zeigen, dass auf einer Relation bereits heute ein Verkehrsaufkommen besteht, werden wir gemeinsam mit der Stadt Reutlingen entscheiden, ob ein ÖPNV-Angebot – sprich eine neue Linie – eingeführt werden soll«, sagt der RSV-Chef.
Diese könne dann beispielsweise mit einem der kleinen Quartiersbusse betrieben werden. Die vorhandenen sechs Exemplare fahren aktuell auf der Ortsbuslinie in Pliezhausen, auf der samstäglichen Ringbuslinie um die Altstadt und würden als Verstärker im Schülerverkehr im Nordraum eingesetzt.
Schon jetzt betreibe auch die RSV »Mischlinien« in Kooperation mit den Nachbarn: die 5/155 von Reutlingen über Gönningen nach Mössingen (zusammen mit der Firma Edel) und die Linie 10/7611 (Kooperation mit Hartmann-Kurz) vom Reutlinger Bahnhof über Kusterdingen nach Tübingen. Egal ob stadtgrenz- oder kreisübergreifend: Die Frage ist immer: Gibt es genügend Fahrgäste? Das gelte auch für stadtgebietsinterne tangentiale Angebote. Letztlich geht es laut Görtzen auch immer darum, keine (Steuer-)gelder zu verplempern. »Wir wollen keine leere Luft durch die Gegend fahren.«
Optimierung ist Daueraufgabe
Optimierung und sinnvolle Nachjustierung des Busnetzes bleiben eine Daueraufgabe für alle, die den ÖPNV zu einem ernst zu nehmenden (Umstiegs-)Angebot ausbauen wollen. Was die Anziehungskraft des Nahverkehrs ebenfalls stärkt, ist der Preis. Aussagekräftiges Zahlenmaterial zum neu eingeführten kostenlosen Reutlinger Samstagsbusverkehr kann Görtzen auf Nachfrage noch nicht präsentieren: Doch wird das im Juli gestartete Angebot seiner ersten Einschätzung nach »gut angenommen.«
Zugleich hat der Naldo-Aufsichtsrat soeben beschlossen, den Naldo-Tarif zum 1. Oktober 2024 um durchschnittlich 7,9 Prozent zu erhöhen. Die Tarifanpassung betrifft jedoch laut einer aktuellen Pressemitteilung nur jeden dritten Fahrgast. Der Grund: Die meisten Fahrgäste seien zwischenzeitlich mit dem Deutschlandticket oder dem JugendticketBW unterwegs, die dem Naldo einen »Abo-Rekord« bescherten. (GEA)