REUTLINGEN. Ihm graute vor diesem Tag. Daraus hat Gerd Pflumm vorab keinen Hehl gemacht. Denn am Donnerstag, 12. September, scheidet er nicht nur aus dem aktiven Berufsleben aus. Die Verabschiedung im Großen Sitzungssaal des Landratsamts beschließt seine 46-jährige Karriere im Dienste des Gemeinwohls – davon etwas mehr als 23 Jahre bei der Stadt Reutlingen und mehr als 18 als Verwaltungsdezernent des Landkreises Reutlingen. Da heißt es Abschiednehmen von vielen interessanten Menschen, hoch qualifizierten Fachleuten, mit denen der heute 65-Jährige gern zusammengearbeitet hat.
Offiziell endet seine Amtszeit zwar erst Ende September, aber es hatten sich sechs Wochen Resturlaub angesammelt. Somit hat der Gomaringer, der stolz, aber auch mit Schalk in den Augen betont, er sei nie aus dem Kreis Reutlingen weggezogen, das Büro im denkmalgeschützten Gebäude in der Bismarckstraße 47 schon geräumt. Er ist sich sicher: »Der Kontakt und Austausch mit Kollegen, aber auch die Erfolgserlebnisse werden mir fehlen.«
Das »Ressourcendezernat« mit Leben gefüllt
Seit 1. März 2006 hat Gerd Pflumm im Landratsamt das, was sein langjähriger Chef, Landrat a. D. Thomas Reumann, das »Ressourcendezernat« nannte, geleitet. »Weil sämtliche Ressourcen bei mir im Amt sind«, sagt er. Das umfasste Finanzen, Personal, Gebäudemanagement, die sieben beruflichen Schulen des Landkreises und das Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentrum in Münsingen sowie den gesamten Kulturbereich – »das fällt manchmal in der Wahrnehmung bissle runter« -, dazu das Straßenbauamt, die Geschäftsstelle des Kreistags bis hin zur Kommunalen Holzverkaufsstelle. Rund 400 der 1.400 Mitarbeiter der Kreisbehörde waren ihm unterstellt. Da der Verwaltungsdezernent auch für Arbeitsschutz zuständig ist, hat er jeden einzelnen davon an seiner Arbeitsstelle besucht. »Eine Riesenverantwortung« bedeutete das zu seinen Anfangszeiten ein Jahr nach der großen Strukturreform noch neue Dezernat. Aber es bot auch »Chancen der Weiterentwicklung«.
Auf diese Vielfalt war er gut vorbereitet: Der am 17. Juli 1959 geborene Gomaringer begann seine Verwaltungslaufbahn 1978 als »Inspektoranwärter«, so hieß das damals beim Einstieg in den sogenannten gehobenen Verwaltungsdienst, in seiner Heimatgemeinde und bei der Stadt Tübingen. 1982 kam er nach dem Studium an der Verwaltungsfachhochschule in Kehl zur Stadt Reutlingen. Dort durchlief er Positionen in der Kämmerei, der Ausländerbehörde, dem Hauptamt. Trauungen in Ohmenhausen hat er ebenso geleitet wie Europawahlen, als persönlicher Mitarbeiter des damaligen Oberbürgermeisters Manfred Oechsle wurde er Anfang der 1990er-Jahre zum Nach-Wende-Aufbau-Helfer in Reutlingens Partnerstadt Pirna entsandt, organisierte die Teilsanierung des Reutlinger Rathauses, leitete die Sozialhilfeabteilung und stieg 1998 zum Leiter des Sozialamts auf. Das blieb er acht Jahre lang, bis er sich mit 46 Jahren nochmal neu orientierte und beim Landkreis Reutlingen bewarb.
Als Amtsleiter auf der Ideallinie
Ein Jahr zuvor wäre er dem Ruf des einstigen Reutlinger Ersten Bürgermeisters Thomas Reumann noch nicht gefolgt, sagt Pflumm. Reformen in der Kinderbetreuung und Altenpflege, Pflegeversicherung und Hartz IV – zu vieles war noch nicht abschließend auf den Weg gebracht. Aber 2005 schien die Zeit reif – und am 16. Oktober wählten ihn die Kreistagsmitglieder mit großer Mehrheit zum neuen Kopf der Kreisverwaltung.
In seiner Vorstellungsrede hatte Gerd Pflumm die »Kunden- und Dienstleistungsorientierung« der Verwaltung hervorgehoben und nach der Wahl als neuer Verwaltungsdezernent den Kreisräten versichert, er nehme es »als Verpflichtung«, den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht zu werden. Die Reutlinger Oberbürgermeisterin Barbara Bosch gab ihm im Februar 2006 beste Referenzen mit auf seinen weiteren Weg: Pflumm habe entsprechend seiner Begeisterung für Motorsport stets die Ideallinie, »den schnellsten und besten Weg ins Ziel« gesucht.
Krisenzeiten gemanagt
Ein Pfund in Pflumms Amtszeit im Landkreis war zunächst die Einführung des Doppik-Buchführungssystems für den Kreishaushalt. »Über die Ressourcen war ich mit allen Themen beschäftigt«, blickt er zurück. Aber durch »die vielen Krisen« kam einiges dazu, »das man sich nicht rausgesucht hätte«: Die Finanzkrise 2008 mündete im Kreis in einem »Nothaushalt 2011«, 2015/16 folgte die erste große Flüchtlingskrise – dadurch musste der Neubau des Landratsamts zwei Jahre auf Eis gelegt werden. Die Beschäftigung mit Auskreisungsplänen der Stadt habe »viele Stunden, viele Nerven und viel Einsatz gefordert«, erinnert er sich. Zuletzt hat er mit Landrat Reumann erfolgreich dagegen gehalten. Auch die Stadt fährt damit besser, ist er überzeugt.
Vor weiteren Flüchtlingsströmen und der Energiekrise 2022 brach Anfang 2020 Covid-19 über die Region herein. »Teilweise mussten wir mehr als 300 Mitarbeiter aus Ämtern abziehen, um im Pandemieteam zu helfen, das war schon heftig«, sagt er. Aber: »Dank Corona haben wir auch einen großen Sprung gemacht.« Bezüglich der Digitalisierung etwa. Über Videokonferenzen lief nicht zuletzt bei seinem letzten großen Projekt, dem Neubau des Landratsamts, vieles leichter. Der seit 2007 verfolgte und 2018 vom Kreisrat beschlossene 170-Millionen-Euro-Bau sei ein »wichtiger Schritt in die Zukunft« - auch da war ihm das Vertrauen der Kreisräte Verpflichtung. In diesem »Haus des Kreises« sind künftig nicht nur rund 1.000 Mitarbeiter vereint, die derzeit in insgesamt 25 Gebäuden arbeiten. Es biete auf rund 22.000 Quadratmetern am Ortseingang von Reutlingen auch ein Bürger-Service-Center, Sitzungssäle, Konferenzräume, Kreismedienzentrum, Archiv und Kantine sowie die Möglichkeit, die Kreisbürger zu Ausstellungen und Konzerte einzuladen.
Bewegende Verabschiedung
Bislang war dem schon bei der Stadt auch in Moderation ausgebildeten Gerd Pflumm ein »offenes Visier in Diskussionen« wichtig. Es ging ihm darum, »den Kern des Konflikts herauszufiltern«. Auch wenn als Aufsichtsrat der RAH, ehrenamtlicher Sozialrichter und Stiftungsratsvorsitzender der Gomaringer Bürgerstiftung keine Langeweile aufkommen dürfte, wird dem 65-Jährigen dieses Ringen in Gremien, durch das sich neue Sichtweisen erschlossen, fehlen.
Fehlen wird auch der »Pflumminator« - das geben ihm die mehr als 50 Menschen, die am Donnerstagnachmittag zur Verabschiedung gekommen sind, in Reden, Musikbeiträgen, einer von Oliver Kahn inspirierten »Ode an den Pflumminator« und mit persönlichen Geschenken zu verstehen. Landrat Ulrich Fiedler, die letzten dreieinhalb Jahre sein Dienstherr, charakterisiert ihn als humorvolle Persönlichkeit mit »unglaublichem persönlichen Einsatz«, Kompetenz und »flächendeckend hohem Ansehen«, einen Macher und Gestalter, der »irgendwie für alles zuständig war, jedenfalls immer mal wieder«. Pflumm habe »wesentlichen Anteil an der Gestaltung dieser schönen Region«.
Da gesteht der kleine Mann im Anzug mit Meckifrisur und hellen Sneakers vor allen: »Vor diesem Tag hatte ich unendlich Angst. Aber jetzt freut's mich doch.« Bald habe er erstmals eine weibliche Vorgesetzte, scherzt er mit Blick auf seine Frau Anette. Die höre hier nach 38 Ehejahren »von Amts wegen zum ersten Mal, was für einen tollen Hecht sie geheiratet hat«. Da gerade einige Freunde ebenfalls den Ruhestand antreten, freut sich Gerd Pflumm darauf, vor Konzerten, Autorennen oder einem Champions-League-Spiel »seines« FC-Bayern-München nicht mehr den dienstlichen Kalender konsultieren zu müssen. Außerdem sind da seine Katze, die Modelleisenbahn und der Garten. Er ist Mitglied im Spendenparlament, Geschichtsverein und bei den Hagelfliegern. Und schließlich hat er in Bezug aufs neue Landratsamt, dessen Eröffnung Ende 2026 er nun nicht mehr aktiv mitgestalten kann, immer schon gesagt: »Nichtstun ist keine Option!« (GEA)