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Aktuell Strukturreform

Reutlingens Polizeidirektor ist für die Polizeireform

REUTLINGEN. »Es ist anstrengend«, sagt Reutlingens Leitender Polizeidirektor Franz Lutz. Am vergangenen Mittwoch hat Innenminister Reinhold Gall die Eckdaten der Polizeireform bekannt gegeben, die Lutz als Mitglied der maßgeblichen Projektgruppe mitgestaltet hat. Ein hartes Stück Arbeit, dem jetzt das nächste folgt: Noch am selben Nachmittag startete Lutz die erste Informationsrunde für die betroffenen Mitarbeiter. Ob Stab, Kripo oder Verkehrspolizei: Nichts bleibt, wie es war.

Foto: Markus Niethammer
Foto: Markus Niethammer
Und alle wollen wissen, wo's künftig langgeht. Einige sehen eine Riesenchance in der Reform, sagt Lutz, der sie selbst sogar als historisch bezeichnet. »Überlagert wird aber alles von der Betroffenheit, 'wo arbeite ich künftig'«, schildert er die Reaktion.

Aus 37 Polizeidirektionen sollen zwölf Präsidien werden - und noch weiß keiner, wo die Standorte sind. Deshalb, sagt Lutz, »kann ich das nicht auflösen«. Doch er kann vor allem den Bürgern die Sorge nehmen, dass »ihre« Polizei vor Ort an Bedeutung verlieren könnte, sollte der Präsidiumssitz in eine andere Stadt kommen. »Präsidium« bedeutet: der oberste Chef (oder Chefin) nebst Vize, Stabsstellen, Führungs- und Einsatzstab, Verwaltung und einiges mehr. Doch dann kommt die entscheidende Untergliederung in drei »Direktionen«: Die Reviere, die am angestammten Ort bleiben und personell verstärkt werden, dazu die Kriminalpolizei und die Verkehrspolizei.

»Ich kann die Frage nach dem Standort jetzt noch nicht auflösen«
Die müssen aber mitnichten unter einem Dach zu einer Mammutbehörde zusammengefasst werden - was schon wegen der zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten kaum möglich wäre. »Der präsidiale Kopf muss nicht am Standort der Kripo oder des Reviers sein«, nennt Lutz ein Beispiel. Vielmehr sollen die Direktionen dort ihren Sitz bekommen, wo sie am nötigsten gebraucht werden. So mache es beispielsweise wenig Sinn, die Kriminalpolizeidirektion in einer der neuen »Raumschaften« dorthin zu verlegen, wo am wenigsten los ist oder die Entfernungen am weitesten sind. »Es kann nicht sein, dass die Beamten, wenn sie zu einer Vernehmung fahren, eine Übernachtung einplanen müssen.«

Rein spekulativ könnte es also so laufen: Der künftige Präsident sitzt in einer Kreisstadt, seine Kriminalpolizei in einer anderen und die Verkehrspolizei an einem dritten Standort - all diese Bereiche zusammengenommen machen das neue »Präsidium« aus. Rechnerisch kommen 1 500 Bedienstete zusammen, aber eben nicht im »Mammutpräsidium«, sondern auf drei Standorte verteilt.

Die Reform mag interne Abläufe verändern, an der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung, so Lutz, rüttelt sie nicht: »Die Reviere nehmen 90 Prozent aller polizeilichen Aufgaben wahr, zehn Prozent die Spezialisten von der Kriminalpolizei - und daran ändert sich gar nichts.« Die Reviere - vier im Landkreis Reutlingen - bleiben vor Ort, die spezialisierte Verbrechensbekämpfung aber findet künftig zentral in der Kriminaldirektion statt.

Weil es aber, betont der Polizeichef, wenig Sinn mache, von den örtlichen Gegebenheiten geprägte Deliktsbereiche wie Jugendkriminalität zentral anzusiedeln, wird es an jedem Standort ein eigenes Kriminalkommissariat geben. Die Kriminalpolizeidirektionen sind künftig für Mord und Totschlag, Wirtschaftsdelikte, Organisierte Kriminalität und ähnlich dicke Fische zuständig. Die Kommissariate dagegen sollen sich weiterhin zum Beispiel um Rauschgiftkriminalität, Eigentumsdelikte oder Betrug kümmern. Denn das, so Franz Lutz, »muss bürgernah erfolgen«.

»Wir werden alle unseres Amtes enthoben«
Die Befürchtung von Landräten und Bürgermeistern, ihnen könnten mit der Zentralisierung der Polizeidirektionen die Ansprechpartner abhandenkommen, teilt der Polizeichef nicht. So bleibe man etwa im Bereich der Prävention - ob mit Jugendverkehrsschulen oder Einbruchsschutz - »natürlich« vor Ort. Auch strategische Präventionsprojekte wie »Hand in Hand« werde es weiterhin geben. »Wir verteilen ja schon heute Aufgaben nach regionalen Gesichtspunkten«, stellt er klar. Und nennt ein Beispiel: Ordnungsstörungen werden zwischen Stadt und Revieren verhandelt. »Da ist der Stab seit eh und je außen vor.«

Die Zusammenarbeit zwischen Polizei- und Kommunalspitze sieht Lutz auch weiterhin als notwendig und ungefährdet an. Die »Flughöhe« des künftigen Polizeipräsidenten, der ja drei oder vier Landkreise zu vertreten habe, werde sich naturgemäß verändern - nach oben. »Netzwerke werden weiter gepflegt, aber dann sieht man den Landrat oder Oberbürgermeister eben seltener persönlich.«

Anstrengend sind diese Tage für Franz Lutz auch deshalb, weil er einigen Kollegen erklären muss, dass ihre Führungsfunktion wegfällt. Die Reform, so effektiv sie auch sein mag, zerstört so manchen Lebenstraum. Wenn Stäbe oder Dezernate wegfallen, fallen auch Chefposten weg. Das gilt auch für seinen eigenen. »Wir werden alle unseres Amtes enthoben«, sagt Franz Lutz.

Zwar bringt die Reform einige wenige neue Leitungsfunktionen, aber das Gros wird ersatzlos gestrichen. So nämlich lautete das Ziel: Lutz und seine Mitstreiter in der Arbeitsgruppe mussten »Hierarchieebenen und die Anzahl der Dienststellen reduzieren«.

Die Polizeireviere und die Kriminalpolizei indes werden mit 650 Polizeibeamten und 240 Tarifbeschäftigten verstärkt. Den Pessimismus der Basis, der auch in Bayern laut wurde, »dass sowieso nichts unten in den Streifendiensten ankommt«, sieht Lutz als unbegründet an. Denn die Polizei hat zwar mit ihrer Altersstruktur ein Riesenproblem. Doch das kann nun zum Glücksfall werden. Beträgt das Durchschnittsalter der Bevölkerung 42 Jahre, so ist die älteste Streifenwagenbesatzung im Land fast 50 Jahre alt - also deutlich älter als die Menschen im Land.

Lutz erinnert an die große Pensionierungswelle, die in den nächsten Jahren zu rollen beginnt. 1 000 Beamte gehen Jahr für Jahr in den Ruhestand, 1 200 junge Kollegen werden in diesem Jahr neu eingestellt und kommen an die Basis. Dort nämlich soll die Reform greifen - in der Verstärkung der Reviere und Posten auf dem flachen Land, dem Herzstück der Polizei.

Es gehen also in den nächsten Jahren viele Polizeibeamte in Führungs- und Stabsfunktionen in den Ruhestand, die dort nicht mehr ersetzt werden müssen. Stattdessen kommen die für die Pensionäre neu eingestellten jungen Kollegen zu den Polizeirevieren. »Deshalb ist die Wirkung der Reform erst in vier, fünf Jahren zu sehen.«

»Die Wirkung ist erst in vier, fünf Jahren zu sehen«
Die Angst altgedienter Kollegen, künftig wieder auf Streife geschickt zu werden, wo sie doch jahrelang Stabsfunktionen erfüllt haben, oder Tarifbeschäftigter, womöglich in Teilzeit, die künftig längere Anfahrtsstrecken zu ihrem Arbeitsplatz zurücklegen sollen, hält Lutz ebenfalls für unbegründet. Wer wechseln muss, darf mitreden. Das Instrument, das angewendet wird, nennt sich sperrig »Interessenbekundungsverfahren« und meint nichts anderes als »sozialverträgliche Umsetzung unter Mitbestimmung der Beschäftigten und der Personalvertretung«. (GEA)