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Aktuell Schutz

Reutlingen kauft nochmal 16 Terrorsperren

Zum Schutz gegen Amokfahrten: Die Stadt Reutlingen schafft für rund 260.000 Euro weitere 16 mobile Sperren an. Was diese leisten können, wie man Veranstaltungen zusätzlich schützen will und wo die Grenzen des Machbaren liegen.

Kamen schon beim Weihnachtsmarkt 2024 zum Einsatz: die Terrorsperren vom Typ Armis-One. Nun kauft die Stadt nochmal 16 Stück.
Kamen schon beim Weihnachtsmarkt 2024 zum Einsatz: die Terrorsperren vom Typ Armis-One. Nun kauft die Stadt nochmal 16 Stück. Foto: Frank Pieth
Kamen schon beim Weihnachtsmarkt 2024 zum Einsatz: die Terrorsperren vom Typ Armis-One. Nun kauft die Stadt nochmal 16 Stück.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Die Amokfahrt von Nizza 2016 mit 86 Toten war der Auftakt zu einer Serie von (Terror-)Anschlägen mit einem neuen, schrecklichen Tatwerkzeug: dem Auto oder dem Lastwagen. Auch Veranstaltungen in Reutlingen müssen nun adäquat vor dieser Gefahr geschützt werden. Doch das ist gar nicht so einfach - und dazu noch ziemlich kostspielig. Im Oktober 2024 hatte die Stadt bereits 16 mobile Sperren vom Typ Armis-One für rund 230.000 Euro gekauft. Am Donnerstagabend hat der Finanz- und Wirtschaftsausschuss des Gemeinderats nun der Beschaffung von weiteren 16 Terrorsperren zugestimmt. Kostenpunkt: rund 260.000 Euro. Das Geld war im Haushalt eigentlich für neue Blitzer an der B28 eingeplant, die sich aber verzögern. Die Mittel werden also einfach verschoben.

Die Terrorsperren können - so steht es in der städtischen Drucksache - selbst einen Lastwagen mit einem Gewicht von mehr als sieben Tonnen aufhalten. Wenn dieser mit rund 50 Stundenkilometern auf eine Armis-One-Sperre donnert, wird er nach 6,6 Metern gestoppt. Sperren anderer Hersteller hätten keine vergleichbare Wirkung gezeigt, argumentiert die Stadtverwaltung: Sie seien deutlich schwerer, zudem könnten sie auffahrende Fahrzeuge nicht so effektiv stoppen. Die ersten Armis-One-Sperren kamen bereits beim Weihnachtsmarkt 2024 und beim Heiligen Morgen 2024 zum Einsatz, »Marktbeschicker, Besucher, TBR und Blaulichtorganisationen« seien »gleichermaßen überzeugt« gewesen, schildert die Stadtverwaltung. Die Sperren lassen sich innerhalb von wenigen Augenblicken absenken, sodass beispielsweise Einsatzkräfte durchfahren können. Beim großen Fasnetsumzug 2025 waren sie jedoch nicht aufgebaut. Da wurde die Metzgerstraße lediglich durch ein querstehendes Malteserfahrzeug blockiert.

Lkw kann nach 6,6 Metern gestoppt werden

Doch 16 Barrieren reichen nicht: Denn die Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt hat gezeigt, dass die Gefahr auch über Seitenstraßen oder Rettungsgassen kommen kann. Es genügt nicht mehr, nur die großen und geraden Zufahrtswege abzusichern. Deshalb wurde beschlossen, dieselbe Menge nachzukaufen. Die Stadt Reutlingen will ihre Sperren, wenn es zeitlich passt, auch an umliegende Gemeinden vermieten. So könne ein Teil der Lagerkosten wieder erwirtschaftet werden. Bei sehr großen Veranstaltungen könne man sich auch vorstellen, zusätzlich auf Sperrelemente anderer Städte zurückzugreifen, so die Stadtverwaltung. Man steht diesbezüglich im Austausch.

Doch der Kaufpreis ist nicht die einzige Summe, die nun anfällt: Die Lagerung der dann insgesamt 32 Sperren wird rund 8.000 Euro pro Jahr kosten. Auch der Auf- und Abbau hat seinen Preis: Die Terrorsperren müssen durch Verkehrszeichen abgesichert werden, steht in der städtischen Drucksache. Diese seien täglich zu kontrollieren. Rund 22.000 Euro sind dafür bei Weihnachtsmarkt und Heiligem Morgen angefallen.

Ein großer Lastwagen der TBR kann auch als Sperre dienen: Hier beim Heiligen Morgen 2024 in Reutlingen.
Ein großer Lastwagen der TBR kann auch als Sperre dienen: Hier beim Heiligen Morgen 2024 in Reutlingen. Foto: Jürgen Meyer
Ein großer Lastwagen der TBR kann auch als Sperre dienen: Hier beim Heiligen Morgen 2024 in Reutlingen.
Foto: Jürgen Meyer

Terrorsperren werden in Zukunft nicht das einzige Mittel sein, mit dem die Stadt Veranstaltungen schützen will: Es ist auch die Rede von schweren Fahrzeugen, die querstehend schmale Straßen blockieren können - wie auch schon beim Heiligen Morgen geschehen. Oder von Betonblöcken, die mehr als eineinhalb Tonnen wiegen. Oder von befüllten Containern, die sogar mehr als drei Tonnen auf die Waage bringen können. »Zudem sollen künftig überall, wo dies möglich und sinnvoll ist, auch feste Hindernisse in den städtischen Raum integriert werden«, schreibt die Stadtverwaltung in ihrer Vorlage für den Finanzausschuss. Heißt: Wenn künftig Treppen, Bänke, Beete oder Absätze irgendwo (ein-)gebaut werden, soll dies immer auch mit Blick auf ein mögliches Schutzkonzept geschehen.

Aktuell arbeitet die Verwaltung an einem solchen Schutzkonzept: Veranstaltungen werden anhand objektiver Kriterien in Risikoklassen eingeteilt. Wer veranstaltet was? Wie viele Besucher kommen? Wie lange dauert es? Dieses Konzept soll in einigen Wochen dem Finanzausschuss vorgestellt werden. Inwiefern Details dann öffentlich werden, steht aber noch in den Sternen. Denn klar ist auch: Ein Schutzkonzept, das jeder in allen Einzelheiten einsehen kann, bringt nicht mehr unbedingt viel. Und einen vollständigen Schutz kann keine Stadt gewährleisten.

»Wenn wir das nicht tun und was passiert, dann ist das ein Politikum erster Klasse«

Alle Räte stimmten im Finanzausschuss der Neuanschaffung zu – nur Jenny Winter-Stojanovic (FWV) und Marco Wolz (WiR) enthielten sich. Mit Argumenten, die dann zu einer ausgewachsenen und teils hitzigen Diskussion führten. Winter-Stojanovic gab zu Bedenken, was man für einen »Heidenaufwand« für die relativ kleine Wahrscheinlichkeit betreibe, mit der eine Amokfahrt in Reutlingen stattfinden wird. Auf der Autobahn und durch Suizide sterben deutlich mehr Menschen, als durch Amokfahrten, so ihr Argument. »Es gibt kein risikofreies Leben«, befand auch Wolz. Es sei eine »typisch deutsche Mentalität«, überall die »totale Sicherheit« herstellen zu wollen.

Finanzbürgermeister Roland Wintzen kommentierte diese Argumentation am Ende für seine Verhältnisse recht emotional: »Unser Vorschlag beinhaltet doch in keiner Weise, dass die Stadt hermetisch abgeriegelt werden soll!« Aber wenn man Sicherheit erzeugen wolle, müsse man eben die Freiheit ein Stück weit beschneiden, das sei in anderen Bereichen – Beispiel: Brandschutz – auch so. Außerdem gehe es nicht um die »Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern um die Schadenshöhe«. Nämlich Menschenleben.

Ordnungsamtschef Albert Keppler drückte es anders aus: »Wenn wir das nicht tun und was passiert, dann ist das ein Politikum erster Klasse.« (GEA)