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Aktuell Nahversorgung

Reutlingen: »Clevere Kühlschränke« sollen Versorgungslücken schließen

Mit frischen Produkten - schwerpunktmäßig aus der Region - und »cleveren« Kühlschränken möchten die beiden Unternehmer Elwin Adam und Berthold Kellner einen Beitrag zur innerstädtischen Lebensmittelversorgung leisten. Anfang des Monats hat ihr »Smart-Fridge-Store« in der Reutlinger Rathausstraße 4 seinen Betrieb aufgenommen. Wie das Shop-Konzept funktioniert.

Den Schwerpunkt seines Sortiments legt das Start-up auf regionale Produkte in Bio-Qualität.
Den Schwerpunkt seines Sortiments legt das Start-up auf regionale Produkte in Bio-Qualität.
Den Schwerpunkt seines Sortiments legt das Start-up auf regionale Produkte in Bio-Qualität.

REUTLINGEN. Snack- und Getränke-, Süßigkeiten- und Spielzeugautomaten allenthalben: Wie Pilze schießen sie seit der Corona-Pandemie bundesweit aus dem Boden. Was auch für Reutlingen gilt, wo die Automatendichte binnen der zurückliegenden vier Jahre deutlich zugenommen hat.

Mal stehen Vitrinen oder Schränke etwas verloren als Einzelexemplare am Straßenrand, mal in Gruppen zusammengerückt auf überdachten Gewerbeflächen. Auch immer mehr Bauernhöfe setzen zwischenzeitlich auf automatisierte Direktvermarktung. Nicht zu vergessen: Floristen und Fahrradgeschäfte, die ihrer Kundschaft jenseits der regulären Ladenöffnungszeiten Blumensträuße, Schläuche und Flicksach’ zum Rund-um-die-Uhr-Shopping offerieren.

Überwiegend Produkte aus der Umgebung

Jüngster Spross in der personalfreien Reutlinger Konsum-Landschaft ist das Pfullinger Start-up »Fritzer’s Frische«, das Anfang dieses Monats in der Rathausstraße 4 seinen Betrieb aufgenommen hat und einen Beitrag zur innenstädtischen Lebensmittelversorgung leisten möchte. Wobei es - und das ist ein klares Alleinstellungsmerkmal - nicht irgendwelche Produkte sind, die die beiden Unternehmensgründer Elwin Adam und Berthold Kellner hier anbieten, sondern überwiegend Grundnahrungsmittel und noch dazu Regionalia, also Erzeugnisse aus der Umgebung.

Berthold Kellner (links) und Elwin Adam sind die Betreiber des vollautomatisierten Ladengeschäfts »Fritzer's Frische«.
Berthold Kellner (links) und Elwin Adam sind die Betreiber des vollautomatisierten Ladengeschäfts »Fritzer's Frische«. Foto: Frank Pieth
Berthold Kellner (links) und Elwin Adam sind die Betreiber des vollautomatisierten Ladengeschäfts »Fritzer's Frische«.
Foto: Frank Pieth

Dubai-Schokolade sucht deshalb vergebens, wer sich zum Einkaufen im »Smart-Fridge-Store« entschließt. Denn: Warum Nahrungs- und Genussmittel von weit her und noch dazu auf Kosten der Umwelt importieren, wenn das Gute doch oft so nahe liegt? Etwa auf der Schwäbischen Alb, von wo Adam und Kellner unter anderem Eier und Büchsen-Wurst, Teigwaren, Limonaden und Säfte, Suppen und Molkereiprodukte in Bio-Qualität beziehen.

Direkter Draht zu den Erzeugern

Der direkte Draht zu den Erzeugern, erklären die beiden aus Trochtelfingen stammenden Start-up-Gründer, sei ihnen wichtig. Konkret: »Die Waren gelangen auf kürzestem Weg von den Produzenten in unsere Kühlschränke« - ohne Zwischenlagerung und darob mit denkbar positiver CO2-Bilanz. Wiewohl »Fritzer’s Frische« nicht komplett auf die Trumpfkarte »Aus der Region für die Region« setzen kann: Weil es im Umkreis von 50 Kilometern nun mal keine Tiefkühlpizza- oder Fischstäbchen-Fabrikanten gibt, deren Erzeugnisse bei Verbrauchern mit Faible für die »schnelle Küche« jedoch trotzdem angesagt und deshalb im Automaten-Store vertreten sind.

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Mithin ist es ein Mischsortiment mit definiert regionalem Schwerpunkt, das der 34-jährige Elwin Adam und sein 35-jähriger Cousin für den Start ihres ersten und bislang einzigen Shops zusammengestellt haben. Eine Warenpalette, deren Struktur aber sicherlich - nach dem Prinzip »Versuch und Irrtum« - noch die eine oder andere Veränderung erfahren wird, bis sie den Geschmack der Reutlinger Innenstadtklientel passgenau trifft und die Mittagspausen-Begehrlichkeiten Berufstätiger ebenso abdeckt wie die mutmaßlich anders gelagerten Bedürfnisse von Anwohnern und Touristen.

»Nachhaltig«, betont Elwin Adam, »soll unser Konzept sein«. Außerdem effizient und niederschwellig. Denn auch wenn »Fritzer’s Frische« auf den ersten Blick etwas futuristisch anmutet, müssen Kunden, die hier einkaufen, keine Digital Natives sein, um Milch, Mehl oder Nudeln zu erwerben. Weder benötigen sie dafür eine App noch müssen sie sich in irgendeiner Form registrieren: EC- oder Kreditkarte genügen, wenn sich die gläsernen Türen der mit Gewichts- und Bewegungssensoren ausgestatteten »cleveren« Kühlschränke öffnen sollen.

Buntes Sortiment, bunte Kundenzusammensetzung

Fünf Geräte - sogenannte »Smart Fridges« - sind es im Moment, die von Adam und Kellner an den Wänden des rund 40 Quadratmeter großen Ladenlokals postiert wurden. Zwei weitere sollen in Bälde folgen, um das Sortiment noch ein bissle bunter gestalten zu können.

Bunt außerdem: die Kundenzusammensetzung der ersten zwei Wochen. Vom Teenager bis zur Seniorin waren während der Premierentage generationsübergreifend alle Altersklassen in der Rathausstraße 4 vertreten. Wobei es nach Beobachtung der beiden Shop-Betreiber insbesondere reifere Semester (Ü 60) sind, die sich für das vollautomatisierte Nahversorgerle in der Altstadt interessieren. Darunter eine Seniorin, die nahezu täglich ein, zwei Kleinigkeiten erwirbt.

Ohne Bankkarte kein Zugriff

Beim Pressebesuch ist die alte Dame zwar nicht zugegen, dafür aber ein Ehepaar, das neugierig den Inhalt der »Fridges« mustert - und zunächst an deren Handhabung scheitert. Die Frau zieht am Türgriff. Erst vorsichtig, dann beherzter; jedoch: vergebens. Nichts tut sich. Das Ding lässt sich nicht aufmachen ... und tut damit genau das, was es soll. Ohne Bankkarte verweigert der Kühlschrank jedweden Zugriff auf sein Inneres. Andernfalls wär ihre Geschäftsidee für Elwin Adam und Berthold Kellner absehbar ein finanzielles Desaster. Dann könnte ja jeder kommen, seine Taschen füllen und, ohne einen müden Cent zu hinterlassen, mal eben abdampfen.

Deshalb freundlich nachgefragt. Ob er behilflich sein darf, will Adam wissen. Aber herzlich gerne doch! Und schon geht es los: das simple »Einchecken« in die Warenwelt des automatisierten Reutlinger Regio-Bio-Minimarkts: EC-Karte zücken, scannen … voilà! Während der 34-Jährige die Kundschaft betreut, plaudert sein Kompagnon über Zukunftsperspektiven. Momentan denken die beiden Männer intensiv darüber nach, mit ihren »Smart Fridges« in die Fläche zu gehen: und zwar gezielt dort hin, wo es weder SB-Vollsortimenter noch Discounter gibt, also in den unterversorgten ländlichen Bereich und in große Wohnquartiere ohne Einkaufsquelle.

Verkleidete Schiffscontainer

Hier planen die Unternehmer nicht in Ladengeschäften ihre Nahversorger-Idee zu realisieren, sondern in ausgedienten Schiffscontainern, die die »cleveren« Kühlschränke vor widrigen Wettereinflüssen schützen und der Presse ein skeptisches »Echt-Jetzt?« entlocken. Darauf ist Kellner vorbereitet und zückt sein Smartphone. Auf dem Display erscheinen keine verrosteten, von Salzwasser angefressenen Metall-Gehäuse, sondern holzummantelte oder farbig gestaltete Hingucker, die alles andere als hässlich sind. »Die Container lassen sich verkleiden und können so ihrer baulichen Umgebung angepasst werden, damit sie das Stadtbild nicht beeinträchtigen. Das schafft optische Akzeptanz.«

Die ist den Jung-Unternehmern nämlich ebenso wichtig wie die Güte der Produkte. Und die Preise? Die sind moderat. »Wir haben uns an dem orientiert, was in der Innenstadt aufgerufen wird und dann kalkuliert.« Mit dem Ergebnis, dass Getränke etwas günstiger sind als solche, die an umliegenden Kiosken oder bei Schnellimbissen erworben werden können. Manche Artikel korrespondieren eins zu eins mit dem durchschnittlichen SB-Markt-Niveau, einige Produkte sind geringfügig teurer. Was nach »Tante M in günstiger« klingt - und das in sofern auch ist, als dieses Nahversorgerkonzept eben ohne Personalkosten auskommt. (GEA)