Logo
Aktuell Protest

Reutlingen als Gegendemo-Hotspot

Sympathisanten von »Gemeinsam für Deutschland« gelangen am Samstag mit ihrem Protestzug nicht zu ihrem Ziel, dem Marktplatz. Grund dafür waren zahlreiche Gegendemonstranten. Wer wofür auf der Straße war.

Großer Andrang herrscht am frühen Mittag bei der Kundgebung der Gegendemonstranten im Bürgerpark.  FOTOS: MEYER/SCHANZ/GLITZ
Großer Andrang herrscht am frühen Mittag bei der Kundgebung der Gegendemonstranten im Bürgerpark. Foto: Steffen Schanz
Großer Andrang herrscht am frühen Mittag bei der Kundgebung der Gegendemonstranten im Bürgerpark.
Foto: Steffen Schanz

REUTLINGEN. Der bundesweite Demonstrationsaufruf der Bewegung »Gemeinsam für Deutschland« (GfD) hat der Freien Reichsstadt am Samstag über Stunden hinweg ein beachtliches Demonstrationsgeschehen beschert. Die Polizei vermeldete rund 500 Demonstranten (die Veranstalter sprachen von rund 1.000) und 600 Gegendemonstranten.

In Reutlingen dockt der Protest der GfD an die Epigonen der Corona-Maßnahmen-Gegner an, auch das Organisationsteam kommt aus diesem Umfeld.

Auf der anderen Seite steht am Samstag ein buntes Potpourri von Gegendemonstranten. Darunter das breit angelegte Bündnis »Wir stehen auf«, das bereits im Februar die »Brandmauer-Kundgebung« organisiert hatte. Das Bündnis für Menschenrechte, Parents for Future, IG-Metall-Gewerkschafter, BUND-Vertreter sind auf den Beinen, aus der Kommunalpolitik werden Grüne, Sozialdemokraten und Linke gesichtet.

Sehr viele junge Menschen sind unterwegs, wollen mit Sprechchören »Nazis« vertreiben oder wenigsten übertönen.

Auch die Antifa ist gut vertreten. Unter anderem hatte die Organisation »Offenes Treffen gegen Faschismus und Rassismus für Tübingen und Region«, die vom Landesverfasssungschutz als linkextremistisch eingestuft wird, zur Gegendemo geblasen. Sie alle versammeln sich zunächst bei der Stadthalle zu einer großen Kundgebung. Dann will man gegen die GfD-Demonstranten ziehen.

Angesichts dieser illustren Gemengelage hat die Polizei allerdings eine klare Strategie gewählt: separieren.

Schon am ZOB wird der Zug gestoppt. Nach tumultartigen Szenen, bei denen die Polizei auch Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzt, verbringt der harte Kern der Antifa den Nachmittag umzingelt von Polizisten bei der Stadthalle. Ein weiterer großer Pulk von zumeist jugendlichen Gegendemonstranten wird von der Polizei auf der Tübinger Straße gestoppt und in Schach gehalten.

»Ich bin enttäuscht. Wir sind belogen worden«

Derweil sitzen die »Gemeinsam-für-Deutschland« Bewegten marschbereit für ihre – angemeldete – Demo auf dem Festplatz Bösmannsäcker fest. Viele Friedens- und ein paar Deutschlandfahnen wehen. Auf Transparenten und Plakaten ist man gegen »Windkraft«, den »Überwachungsstaat«. Man fordert »Demokratie« und »Meinungsfreiheit«, den »Erhalt des Bargeldes « und vor allem viel »Frieden« – der unter anderem dadurch erreicht werden soll, dass man keine Waffen mehr in die Ukraine liefert.

Ein paar Antifaschisten verbringen den Mittag gut bewacht.
Ein paar Antifaschisten verbringen den Mittag gut bewacht.
Ein paar Antifaschisten verbringen den Mittag gut bewacht.

Mitorganisator Kevin Brügmann verkündet schließlich: »Wir und die Polizei arbeiten daran, dass wir sicher laufen können.« Es würden sich allerdings »ein paar Idioten« in den Weg stellen.

Vier Reutlinger AfD-Gemeinderäte sind auch da, was die Nähe der GfD-Bewegung, die sich als parteioffen bezeichnet, zu dieser Partei stützt. Der AfD-Stadtrats-Vorsitzende Hansjörg Schrade fordert den anwesenden Reutlinger Ordnungsamtschef auf, »das Recht auf Demonstration« durchzusetzen.

Die Polizei lässt die Demonstranten schließlich laufen. Unter dem Getrommel der Marktoberdorfer »Freiheitstrommler« dürfen sie allerdings nicht wie gewünscht ins pulsierende Herz der Stadt zum Marktplatz ziehen, sondern nur eine Schleife durchs beschauliche Betzingen drehen.

»Dass die Antifa bestimmt, wo wir langlaufen« verdrießt die Demonstranten ungemein. Hatte Mitorganisator Kevin Brügmann doch »viele schöne« Bilder und Filme mit vielen weißen Rosen und roten Herzluftballons vom Marktplatz versprochen, die die sozialen Netzwerke fluten sollten. Dass die Polizei die Gegendemonstranten nicht von der vorher so abgesprochenen Route ferngehalten hat, sorgt für Frust. »Wir sind belogen worden«, klagt Mitorganisatorin Petra Nagel am Mikrofon nach der wenig publikumswirksamen Runde auf dem Bösmannsäcker wieder angekommen. Sie selbst seien bei Corona »brutalst von der Polizei von der Straße geholt worden«. Sie kündigt weitere Demos für Reutlingen an.

Auch AfD-Gemeinderat Schrade greift nochmal zum Mikro, geißelt ein »Einknicken des Rechtsstaates vor der Antifa«. Er wittert »Strafvereitelung im Amt«, wenn Polizei und Stadt eine ungemeldete Blockade dulden und verspricht ein »Nachspiel am Dienstag im Gemeinderat« in Form eines Antrags.

»Gemeinsam für Deutschland« auf dem Festplatz warten: Der Frust der GfD-Demonstranten ist groß, dass man schließlich nur eine Sc
»Gemeinsam für Deutschland« auf dem Festplatz warten: Der Frust der GfD-Demonstranten ist groß, dass man schließlich nur eine Schleife durch Betzingen drehen darf.
»Gemeinsam für Deutschland« auf dem Festplatz warten: Der Frust der GfD-Demonstranten ist groß, dass man schließlich nur eine Schleife durch Betzingen drehen darf.

Dann löst sich die Versammlung auf. Doch einige Teilnehmer zieht es weiterhin auf den Marktplatz. Darunter etliche der rund zwei Dutzend kahlköpfigen Bomberjackenträger, die in der Versammlung auffallen durch Bierkonsum, Outfit und Gebaren. Ohne jedes Abzeichen sind sie nicht näher zu definieren. Eine Presseanfrage diesbezüglich wird von einem der Männer mit einem unfreundlichen »Leck mich am Arsch« beantwortet.

»Keine Bühne für Extremismus. Wer sich den Grundwerten nicht zugehörig fühlt, ist hier nicht willkommen«, hatte Kevin Brügmann zu Beginn der Demo ins Mikro gerufen. Vorab im GEA-Gespräch hatte man sich ebenfalls als Demokratie-Freunde geriert. Über den Messenger-Kanal Telegram verbreitet Mitorganisator Jan Razvan allerdings in einer Sprachnachricht ganz andere Parolen: »Wir müssten ins Bürgeramt, (...) ins Kanzleramt, (...) in den Reichstag«. Nach der Besetzung der Stellen müsse man »Forderungen« stellen an die »Überarbeitung dieser Gewaltenteilung«. »Die politische Kaste (…) sie muss weg«.

»Das ist ein Einknicken des Rechtsstaats vor der Antifa«

Auf der Demonstration distanziert sich Razvan auf GEA-Nachfrage von diesen Aussagen. Wie sie zu seiner im GEA-Vorab-Gespräch geäußerten Demokratiezuneigung passen, lässt er jedoch im Unklaren.

Auf dem Marktplatz treffen gegen 17.30 Uhr nun erstmals an diesem Tag Demonstranten und Gegendemonstranten direkt aufeinander. Einige der Bomberjacken-Träger mit Bier sind wieder mit dabei. Ein paar von der Antifa. Und eine ordentliche Anzahl von Bürgern, insbesondere aus der »Wir-stehen-auf«-Riege.

Man diskutiert. Vereinzelt kocht Aggression hoch. Nachdem das Gros der meist jugendlichen Gegendemonstranten aus der Tübinger Straße von der Polizei gen Bahnhof geleitet und zu Teilen in den Regionalexpress 17.21 Uhr verfrachtet ist, eilen die Bereitschaftspolizisten nun zum Marktplatz, um die Kollegen zu verstärken. Als sie ankommen, haben Schlichter auf beiden Seiten die Lage bereits entspannt.

Weil jedoch keine der Parteien Anstalten macht, sich zu entfernen, ruft die Polizei die Anwesenden kurz vor 19 Uhr auf, den Platz zu verlassen. Beamte, die in Reih und Glied die Räume enger machen, verleihen der freundlichen Aufforderung Nachdruck.

In der Tübinger Straße stoppt die Polizei eine der Gegendemos.
In der Tübinger Straße stoppt die Polizei eine der Gegendemos.
In der Tübinger Straße stoppt die Polizei eine der Gegendemos.

Das Konzept der Reutlinger Polizei, die von der Göppinger Bereitschaftspolizei und einigen imposant großen Polizeipferden unterstützt wurde, ging auf: Trotz der teils unübersichtlichen Gemengelage seien die Versammlungen »weitestgehend friedlich und ohne besondere Vorkommnisse verlaufen«, heißt es hernach im Polizeibericht. Einzig am Willy-Brandt-Platz hätten »teilweise vermummte Demonstranten des linken Spektrums, der Antifa, Polizisten tätlich angegriffen«. Sie seien in Gewahrsam genommen worden. Mehrere Einsatzkräfte und ein Demonstrant seien verletzt worden.

Aus Kreisen der Demonstranten heißt es indes, mehrere Demonstranten seien zu Schaden gekommen, vor allem durch Pfefferspray der Polizei. (GEA)