REUTLINGEN-REICHENECK. Klares Ja. Irmela Burkowitz wird Reicheneck vermissen. Dies freilich nicht in nostalgisch-verklärendem Sinne. Und auf gar keinen Fall mit tiefer Wehmut im Herzen. Sondern so, wie Menschen Wirkungsstätten vermissen, die sie über viele Jahre hinweg geprägt und beschäftigt haben, die sie oft beglückten, zuweilen auch anstrengten und denen sie sich beruflich und biografisch eng verbunden fühlen.
Für Irmela Burkowitz ist Reicheneck ein solcher Ort. 16 Jahre lang war die verheiratete Mutter von vier erwachsenen Kindern hier als Pfarrerin tätig; hatte eine Fünfzig-Prozent-Stelle inne - ohne freilich jemals pedantisch auf diesen gesteckten Zeitrahmen zu achten. Denn wenn ihre seelsorgerische Unterstützung gefragt war, dann schaute die Theologin nicht auf die Uhr. Sie wies auch niemanden zurück, der ihr spontan auf der Gass’ oder hinterm Verkaufstresen des Genossenschafts-Ladens, den sie ehrenamtlich mitbetreute, sein übervolles Herz ausschüttete.
Besonders intensive Thekengespräche
»Mitunter«, so die 60-Jährige, »waren diese Thekengespräche sogar besonders intensiv«. Mal ganz davon abgesehen, dass man als Dorf-Pfarrerin nun mal eine Person des öffentlichen Lebens ist und sich - selbst wenn man’s drauf anlegte - nicht einfach wegducken kann.
Doch wegducken wollte sich Irmela Burkowitz ohnedies nicht. Dafür war und ist sie viel zu sehr Kümmerin. »Menschen den Beistand zu versagen, ist für mich keine Option«, sagt sie. Was von Dritten bestätigt und ihr im Übrigen hoch angerechnet wird. Kein Zweifel: Auch die Gemeinde wird die ihr stets zugewandte Pfarrerin vermissen. Obschon sich Reichenecks Protestanten glücklich schätzen dürfen, dass ihnen ihre Theologin weit länger erhalten blieb, als zunächst beabsichtigt.
Hatte Burkowitz doch schon 2018 mit dem Gedanken gespielt, sich zu verändern. Dann aber warf ein für 2024 verabschiedeter Pfarrplan seine Schatten voraus und die damals 54-Jährige ihre Pläne über Bord. »Ihre« Dorfkirche in eine ungewisse Zukunft, weil einer absehbar längerfristigen Vakanz zu überlassen - das kam für sie nicht in Betracht. Denn auf die Flotte hatte sich keine Nachfolge organisieren lassen.
Sparzwänge und Pfarrermangel standen damals wie heute im Raum, außerdem die inzwischen vollzogene Verschmelzung von Reicheneck und Mittelstadt zur Verbundkirchengemeinde. Burkowitz hat beides mitgetragen. »Sehr gerne«, wie sie betont, und in der Hoffnung auf eine lückenlose Übergabe ihres Dienstauftrags in neue, verlässliche Hände, die denn auch gefunden wurden.
Nachfolge mit Alexander Schweizer gesichert
Mit Verbundkirchenpfarrer Alexander Schweizer (der GEA berichtete) haben Reicheneck und Mittelstadt, also deren knapp 2.000 evangelische Christen, jüngst einen Pfarrer ins Amt gesetzt, der sich ab sofort fürs geistliche Wohl und Wehe beider Reutlinger Teilorte einsetzt. Derweil Irmela Burkowitz beruhigt zu neuen Ufern aufbrechen kann: am Sonntag, 12. Januar, um 10 Uhr beim Gottesdienst mit Dekan Michael Karwounopoulos, Grußworten und einem Mittagstisch in der Herzog-Ulrich-Halle.
Wohin es die 60-Jährige zieht? Zunächst - »an meiner 50-Prozent-Stelle halte ich trotzdem fest« - nach Heroldstatt. Zunächst deswegen, weil Irmela Burkowitz künftig als sogenannte Pfarrerin zur Dienstaushilfe im evangelischen Kirchenbezirk Bad Urach/Münsingen arbeiten wird; mit anderen Worten: als Springerin zur Überbrückung personeller Versorgungslücken in Gemeinden mit vakanten Pfarrstellen.
Vom künftigen Gemeinde-Hopping angetan
Das klingt unstet und wird's vermutlich auch werden. Wiewohl Burkowitz gerade dieses ihr bevorstehende Gemeinde-Hopping anspricht. Dafür, erklärt sie sinngemäß, sei sie qua Naturell gebaut. »Ich bin flexibel, ein offener Mensch, der sich gut auf neue Situationen einstellen kann«, nennt sie eine ihrer Stärken. Auf Schwächen angesprochen, muss Burkowitz nicht lange überlegen: »die Art meiner Predigtvorbereitungen«.
Letztere funktionieren bei ihr nur unter Zeitdruck - mit der Folge, »dass ich immer ganz kurz vor knapp zu Gottesdiensten erschienen bin«. Denn manchmal war so eine Predigt erst auf dem allerletzten Drücker fertig. Dann sprang die in Pfullingen wohnende Pfarrerin husch, husch ins Auto und brauste nach Reicheneck um dortselbst eine Punktlandung hinzulegen.
Ein Nachteil für die Kirchgänger? Nicht wirklich. »Es blieb vor dem Gottesdienst halt keine Zeit für Gespräche.« Die nahm sich Irmela Burkowitz aber immer hinterher. Was die Gläubigen durchaus zu goutieren lernten. Denn schon bald hatten sie sich an Burkowitz Spezialität gewöhnt, wurde niemand mehr unruhig, wenn die Pfarrerin erst mit dem Glockenläuten Reichenecks Dorfkirche betrat.
Bis es dazu erstmals kam, hatte Burkowitz in Tübingen und Heidelberg Theologie studiert, 1989 geheiratet, zwei Jahre später ihr Examen gemacht und im September 1991 ihr Vikariat in Kirchheim-Ödlingen absolviert. Sie hatte zwischen 1995 und 1999 vier Kinder zur Welt gebracht und von 2006 bis 2009 ihren Dienst als Pfarrvikarin bei der BruderhausDiakonie absolviert.
»Reicheneck war meine erste ständige Stelle.« Dass sie diese 16 Jahre lang bekleiden würde, damit hatte Irmela Burkowitz selbst nicht gerechnet. Aber genau so ergab und begab es sich - mit allem, was dazugehört: mit Menschlichem und Menschelndem, mit Begegnungen von der Wiege bis zur Bahre. Halt so, wie das im Pfarrberuf gemeinhin der Fall ist.
Vorfreude gepaart mit »Nachfreude«
Und jetzt? Gemischte Gefühle: Vorfreunde auf das Kommende gepaart mit »Nachfreude« über das Gewesene. Sind da doch viele schöne Erinnerungen, die Irmela Burkowitz in die Zukunft begleiten. Darunter drei Highlights: Das einhundertjährige Jubiläum der Reichenecker Dorfkirche nebst Geburtstagsveranstaltungen, die stets quirligen Kinderbibeltage und »das tolle und unkomplizierte Verhältnis zur weltlichen Gemeinde«, das von »bemerkenswert großem Zusammenhalt und gegenseitigen Hilfestellungen« gekennzeichnet ist: »keine Selbstverständlichkeiten!«
Ebenso wenig wie Irmela Burkowitz' professioneller Umgang mit Menschen, die von manchem Talarträger aus kirchlichen Handlungen ausgeschlossen werden. Ob der Segen für gleichgeschlechtliche Paare oder die Trauerrede für Verstorbene, die keiner (christlichen) Glaubensgemeinschaft angehörten - für Reichenecks scheidende Pfarrerin sind sie vertretbar. Jedenfalls dann, wenn ersichtlich ist, dass die Personen »ein Verhältnis zu Gott« haben. (GEA)