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Aktuell Nahversorger

Reichenecker Dorfladen feiert Geburtstag: Zehn Jahre voller Hochs und Tiefs

»Es ist ein stetiges Auf und Ab«, sagt Willi Igel, ehrenamtlicher Geschäftsführer über den Dorfladen Reicheneck. Doch momentan überwiegt die Freude: Der genossenschaftliche Nahversorger feiert am Samstag seinen zehnten Geburtstag. Mit Musik, Reden, leckerem Essen und einem kleinen Markt.

Willi Igel mit zwei Mitarbeiterinnen des Dorfladens: Mini-Jobberin Simone Fink (links) und Margret Walser, eine von fast 50 Ehre
Willi Igel mit zwei Mitarbeiterinnen des Dorfladens: Mini-Jobberin Simone Fink (links) und Margret Walser, eine von fast 50 Ehrenamtlichen. Foto: Frank Pieth
Willi Igel mit zwei Mitarbeiterinnen des Dorfladens: Mini-Jobberin Simone Fink (links) und Margret Walser, eine von fast 50 Ehrenamtlichen.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN-REICHENECK. 15 Jahre sind vergangen, seit in Reicheneck eine Zukunftswerkstatt veranstaltet wurde. »Ein wichtiges Thema war dabei die Innenentwicklung mit dem Wunsch nach einem Dorfplatz und einem Nahversorger«, erinnert sich Willi Igel, der damals das Amt des Bezirksbürgermeisters inne hatte. Der letzte Dorfladen hatte zu diesem Zeitpunkt bereits länger geschlossen - zu unrentabel war er in dem Ort mit gerade einmal 400 Haushalten. Entsprechend groß war auch die anfängliche Skepsis, ob sich dieses Vorhaben tatsächlich rechnen würde. Deshalb wurde zunächst einmal eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Damit aber noch lange nicht genug - Willi Igel und seine Mitstreiter machten zusätzlich eine Totalbefragung im ganzen Flecken. »So hatten wir eine breite Basis«, erklärt Igel, »das ganze Dorf wusste, was wir vorhaben.«

Das Ergebnis machte Mut: 50 Prozent der Reichenecker erklärten, dass sie sich einbringen wollten - entweder als Käufer, als Helfer oder mit dem Kauf eines Genossenschaftsanteils. Denn, das war allen Beteiligten schnell klar: Ein solcher Laden kann heutzutage nur als Genossenschaft mit Ehrenamtlichen funktionieren, nicht als Unternehmen, das einem Kaufmann den Lebensunterhalt sichert.

Auch das Ergebnis der Studie fiel positiv aus - und so wurde 2015, nach einigen Rückschlägen und Hürden, die letztlich alle genommen wurden, die Genossenschaft gegründet. »Wir haben 170 Genossen«, berichtet Igel, eine Zahl, die von Beginn an recht konstant war. Dank der Anteile kam das nötige Grundkapital von 25.000 Euro zusammen. Mit 15.000 Euro wurden die Ladeneinrichtung und das erste Produktsortiment gekauft. 10.000 Euro dienen als Reserve, die man bisher nicht antasten musste.

Umbau im Ehrenamt

Der Umbau der Verkaufsflächen im Bezirksamt wurde komplett ehrenamtlich gestemmt, Handwerker aus dem Ort brachten sich unentgeltlich mit ein - und der frühere Reutlinger Wirtschaftsförderer Wolfgang Geisel, seit den 1970er-Jahren Reichenecker Bürger, zapfte erfolgreich Fördertöpfe an. Auch beim Pressetermin mit dem GEA anlässlich der bevorstehenden Jubiläumsfeier am Samstag, schaute der Pensionär vorbei.

Eigentlich wollte er, als treuer Kunde, nur Müsli und Milch erstehen. Aber weil der Laden längst auch ein beliebter Treffpunkt im Dorf ist, nahm er gerne am Kaffeetisch Platz, um gemeinsam mit Willi Igel auf die Anfänge und den aktuellen Stand zu blicken.

Es war eine ordentliche Achterbahnfahrt, die der Dorfladen in den zehn Jahren seines Bestehens hingelegt hat, sagt der ehrenamtliche Geschäftsführer Willi Igel. In den Anfangsjahren erwirtschaftete der Nahversorger ab und an einen Überschuss, kurioserweise war besonders die Coronazeit ein Segen für das Lädle. Viele Kunden mieden die großen Supermärkte, fühlten sich im kleinen Dorfladen sicherer. »Unser Umsatz stieg um ein Drittel«, sagt Igel. Jeweils nur ein Einkäufer durfte sich dort wegen der damals geltenden Regeln aufhalten, für die Wartenden wurden auf dem Gehweg Stühle aufgestellt. Schöner Nebeneffekt: Trotz Abstand blieben die Bürger so zumindest ein wenig in Kontakt.

Umsatzeinbrüche nach der Pandemie

Doch in den Nach-Pandemiezeiten brachen die Umsätze plötzlich ein. 2022 kämpfte der Dorfladen ums Überleben, die angestrebte und bislang auch stets erreichte schwarze Null, war passé. Die Genossenschaft wandte sich mit einem Hilferuf an die Bevölkerung - und die riss sich am Riemen, erinnerte sich daran, dass der Laden nur eine Zukunft haben kann, wenn genug umgesetzt wird. »Wahrscheinlich waren wir für viele zu selbstverständlich geworden«, spekuliert Igel über die Gründe, nun versuche man, ständig auf sich aufmerksam zu machen. »Man muss klappern, um wahrgenommen zu werden.«

Die treuesten Kunden sind, wenig überraschend, die Älteren und die ganz Jungen. »Wir haben viele Rollatorfahrer als Stammkunden«, berichtet Igel. Für sie bedeutet ein Laden im Ort, den man zu Fuß erreicht, ein Stück Selbständigkeit und Lebensqualität. »So ein Laden hat auch eine wichtige soziale Komponente«, sagt Igel, das Schwätzle nach oder während des Einkaufs ist genauso wichtig wie dieser selbst. Derweil können die Kleinen hier praktisches Wissen fürs Leben erwerben - wenn sie Einkäufe für die Familie erledigen dürfen. Nicht zu vergessen: das kleine G'schleck zur Belohnung, das den Dorfladen auch für sie zu einer Attraktion macht.

Der Dorfladen Reicheneck feiert Jubiläum.
Der Dorfladen Reicheneck feiert Jubiläum. Foto: Frank Pieth
Der Dorfladen Reicheneck feiert Jubiläum.
Foto: Frank Pieth

Bei den Käufern ist noch Luft nach oben

Auch bei den Helfern ging es übrigens immer wieder bergauf und -ab. An die 50 Ehrenamtlichen werden benötigt, um die täglichen Öffnungszeiten sicherzustellen. Zudem gibt es zwei Mini-Jobberinnen, die sich zusätzlich um Organisatorisches kümmern. Jeder Helfer macht einmal im Monat an einem Vor- oder Nachmittag Dienst. Mehr sei nicht zu stemmen, weiß Igel. Nach einer Flaute ist das Team nun wieder recht stabil aufgestellt - und das Helferspektrum breit: Kindergartenmütter, Rentner und sogar Bewohner aus den Nachbarorten bringen sich ein.

Mit was Willi Igel ein wenig hadert, ist der Zuspruch von den Reicheneckern selbst: Die Hälfte der Haushalte kaufe konstant im Dorfladen ein, 50 nur sporadisch und 150 gar nicht. Dabei brauche man Solidarkäufer, um überleben zu können. 10 bis 15 Prozent der Kaufkraft des Dorfes müsse ein kleiner Laden abschöpfen, um gut existieren zu können. »Da haben wir noch Luft nach oben«, betont Igel.

Beliebt: Regionale und Bio-Waren

Umso zufriedener ist er, dass der Dorfladen auch Kunden aus der Umgebung anlockt. Was sicherlich am Sortiment liegt, das auf Anfrage sogar erweitert wird. Das Angebot zu kalkulieren sei jedoch gar nicht so einfach. »Es kann sein, dass ein Produkt lange gut läuft und plötzlich will es keiner mehr« - diese Erfahrung mussten die Ladenbetreiber schon öfters machen.

Das Jubiläumsprogramm am 18. Oktober

Am Samstag, 18. Oktober, wird von 10 bis 14 Uhr rund um den Dorfladen und den Dorfplatz gefestet. Es gibt Verköstigungen von leckeren Artikeln aus dem Dorfladensortiment, sowie Sonderangebote. Als Schmanckerl gibt es einen kleinen Kreativmarkt unter anderem mit Töpfer- und Holzwaren, Blumen, Häkelarbeiten und Kurzvorträgen eines Imkers.

Vertreter der Genossenschaft, der Stadt und der Lieferanten sprechen Grußworte. Für die Bewirtung mit Rinderbraten und Kartoffelsalat sorgen Wengerstüble und Dorfladen, für die passende Musik wurde der Musiker Mørt engagiert.

Außerdem gibt es Reichenecker Holzofenbrot. Da die Anzahl der Brote, die im Backhaus gebacken werden können, begrenzt ist, müssen sich Interessenten ein Brot reservieren, entweder direkt im Dorfladen oder telefonisch unter 07121/669550. (awe)

Dauerbrenner sind regionale und Bio-Produkte, wie Wein aus Metzingen, Kartoffeln aus Rommelsbach oder Käse aus einer kleinen Käserei im Allgäu. »Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, den bekommt man sonst fast nirgendwo.« Bei diesen Waren kann der kleine Laden auch preislich mithalten, was bei großen Marken in Konkurrenz zu Discountern nicht gelingen kann.

Mit dem Umbau der einstigen Viehwaage zum Lagerraum für frisches Obst und Gemüse wurde die Platznot etwas gelindert. Auch wenn es nach wie vor eng zugeht - und sich Willi Igels Traum von einer richtigen Kaffee-Ecke ist in absehbarer Zeit wohl nicht realisieren lässt. Im Sommer macht das nichts aus, da nehmen die Besucher im Freien Platz. Im Winter hingegen gibt es nur einen einzigen Tisch - da heißt es dann zusammenrücken.

Trotz mancher Rückschläge und Herausforderungen steht der Dorfladen Reicheneck im zehnten Jahr seines Bestehens gut da und er ist aus dem Dorfleben für viele nicht mehr wegzudenken. Willi Igel als Mitgründer wird sicher noch einige Zeit als Geschäftsführer aktiv sein, aber, das betont er ebenfalls: In den kommenden Jahren werde es zwangsläufig ein Thema, dass andere die Verantwortung übernehmen. Aber auch diese Hürde wird die Genossenschaft nehmen, ist er zuversichtlich. (GEA)