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Aktuell Überdosis

Paracetamol-Challenge erreicht Reutlingen: Zwei Fälle

Eine neue Mutprobe ist auf TikTok im Trend. Jugendliche schlucken mehrere Paracetamol-Tabletten auf einmal und filmen sich dabei. Das Kreisklinikum Reutlingen meldet zwei Patientinnen, die wegen einer Schmerzmittel-Überdosierung eingeliefert wurden. Reutlinger Ärzte warnen vor Lebensgefahr.

Im Internet kursiert die Paracetamol-Challenge. Foto: Patrick Pleul/Symbol
Im Internet kursiert die Paracetamol-Challenge.
Foto: Patrick Pleul/Symbol

REUTLINGEN. Auf TikTok verbreitet sich ein besorgniserregender Trend. Jugendliche setzen sich einer Überdosis Paracetamol aus, filmen sich dabei und teilen die Aufnahmen in den sozialen Medien. Ihr Ziel ist es, eine möglichst hohe Dosis zu überleben und somit cool rüberkommen. Was als Mutprobe beginnt, kann tödlich enden. Die Herausforderung hat auch den Landkreis Reutlingen erreicht. Zwei 13-jährige Patientinnen wurden mit einer Überdosis Schmerzmittel ins Reutlinger Krankenhaus eingeliefert. Das berichtet der Pressesprecher der Kreiskliniken, Christian Hirtz, auf GEA-Anfrage. Die zwei Mädchen hatten Glück, sie konnten gerettet werden. Wie es ihnen inzwischen geht? »Die beiden sind wohl auf«, so Hirtz weiter.

Die Paracetamol-Challenge ist lebensgefährlich.
Die Paracetamol-Challenge ist lebensgefährlich. Foto: George Clerk
Die Paracetamol-Challenge ist lebensgefährlich.
Foto: George Clerk

In einem Beitrag der RTL-Sendung »Punkt 12« äußerte sich die Chefärztin der Reutlinger Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Bianca Haase, zu den zwei Fällen. Die eine Patientin sei rechtzeitig gekommen. Man habe ihr kein Gegengift verabreichen müssen. Anders war es bei der zweiten, bei der die Paracetamol-Werte im Blut erhöht waren. Sie bekam ein Gegenmittel. Welches wird nicht erwähnt, »um eine Selbstmedikation zu vermeiden«, erläutert Hirtz.

»Um die Wirkung von Paracetamol zu hemmen, bekamen beide Aktivkohle. So konnten Leberschäden vermieden werden. Medizinische Kohle, auch Aktivkohle genannt, ist ein weit verbreitetes Mittel zur Bindung und Absorption von Giften und Schadstoffen im Magen-Darm-Trakt. Sie wirkt, indem sie durch ihre poröse Struktur eine große Oberfläche bietet, an die sich toxische Substanzen binden können«, heißt es seitens der Klinik. Dadurch werde verhindert, dass diese Stoffe in den Blutkreislauf gelangen.

»Schmeißt die Packung weg, nicht euer Leben«

Mit einem Video hatten die Kreiskliniken Reutlingen zuvor aus aktuellem Anlass Jugendliche vor den Gefahren einer Überdosierung von Schmerzmittel gewarnt. »Paracetamol kann tödlich sein, schmeißt die Packung weg und nicht euer Leben«, betont Haase in dem Clip, das auf dem Instagram-Account der Kliniken veröffentlicht wurde.

Der Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Dr. Till Reckert, der eine Praxis in Reutlingen betreibt, ergänzt: »Die Symptome einer Überdosierung - dazu gehören Erbrechen, Schwindel, Bauchschmerzen und Gelbsucht - machen sich erst 24 Stunden nach der Einnahme bemerkbar.« Dann sei es meistens schon zu spät. Er empfiehlt daher, schnell zu handeln und bereits vor dem Auftreten von Symptomen aktiv zu werden.

»Paracetamol ist zwar ein gutes Medikament, aber es muss klug angewendet werden«, sagt Reckert. In niedriger Dosierung sei Paracetamol ein weit verbreitetes Schmerz- und fiebersenkendes Mittel, doch, »wenn man Paracetamol mit TikTok-Wissen einnimmt, kann es natürlich akut gefährlich werden«, weiß er.

»Die empfohlene Dosis für Kinder beträgt 60 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Schon die doppelte Menge kann die Leber schwer schädigen. Die Leber gibt dann ihre Funktion auf.« Deshalb gibt es Paracetamol nur in kleinen Packungen zu kaufen. Kinder bekommen Paracetamol meist in Form von Zäpfchen und mit einer genauen Dosierungsanleitung, um eine versehentliche Überdosierung zu vermeiden.

Zu viel Bildschirmzeit

Reckert beobachtet: »Jugendliche verbrauchen unglaublich viel Zeit damit, am Handy herumzuscrollen, sodass sie immer wieder über solche Challenges stolpern. Wer sieben Stunden am Tag Zeit am Bildschirm verbringt, macht andere wichtigen Sachen nicht.« Was der Arzt damit sagen möchte: Junge Leute verpassen, unter die Menschen zu gehen und sich zu sozialisieren. Das habe als Folge, dass Empathie abnehme. »Fünf Prozent der Jugendlichen haben gravierende Schwierigkeiten, ihr Smartphone wegzulegen. Sie geben sogar zu, dass die darunter leiden, sind aber trotzdem nicht in der Lage damit aufzuhören.« (GEA)