Logo
Aktuell Gastronomie

Pächter verschwunden: Warum das Reutlinger Restaurant »Gentile« zu bleibt

Das Restaurant »Gentile« bleibt auch nach Beendigung des Corona-Lockdowns zu, der Pächter ist verschwunden. Spätestens Anfang Juli sollen in der Reutlinger Feuerwache aber wieder Menschen bewirtet werden. Ein ehemaliger Mitarbeiter und der Vermieter erzählen.

Die Räume des »Gentile« sind wieder vermietet. Spätestens Anfang Juli soll in der Alten Feuerwache ein neues Restaurant eröffnen
Die Räume des »Gentile« sind wieder vermietet. Spätestens Anfang Juli soll in der Alten Feuerwache ein neues Restaurant eröffnen. FOTO: PIETH
Die Räume des »Gentile« sind wieder vermietet. Spätestens Anfang Juli soll in der Alten Feuerwache ein neues Restaurant eröffnen. FOTO: PIETH

REUTLINGEN. Restaurants in der Reutlinger Feuerwache haben sich nie besonders lange gehalten. Das »Joe Pena’s« nicht, das »Cucinea« nicht und auch das »Gentile« nicht. Das italienische Lokal ist jedoch ein besonders tragischer Fall, sagt Titus Rall. Pächter Rosario Gentile hat es aus seiner Sicht nämlich drauf. Während seine Vorgänger es »betrieblich vermasselten, hatte er ein gutes Konzept und großen Erfolg«, so der Geschäftsführer von Dr. Rall-Immobilien, jener Firma, die die Räumlichkeiten vermietet.

Noch vor der Coronakrise bezahlt der Gastronom laut Rall dann plötzlich die Miete nicht mehr. Schulden in niedriger fünfstelliger Höhe häufen sich an. Schließlich kündigt Rall dem gebürtigen Sizilianer fristlos. »Mit ihm haben wir keinen Kontakt mehr, von seinem Anwalt wissen wir aber, dass er größere finanzielle Schwierigkeiten hat«, sagt Rall. Diese können seiner Einschätzung nach nichts mit dem Restaurant zu tun haben. Zu erfolgreich sei der Laden gewesen.

Höhepunkt ist der Oktober 2019. Damals herrscht im »Gentile« noch Feierstimmung. Das Restaurant holt sich in der Fernseh-Kochsendung »Mein Lokal, dein Lokal« im Wettstreit mit vier anderen Gaststätten der Region den ersten Platz. Die TV-Show mit Promikoch Mike Süsser, die auf Kabel 1 ausgestrahlt wird, ist aus Sicht des Inhabers »ein Traum«, sagt er damals im Gespräch mit dem GEA. Das Telefon steht nicht mehr still, die Zahl der Reservierungen steigt. Doch der Höhenflug hält nur vier Monate lang. Mitte März werden im »Gentile« zum letzten Mal Gäste bewirtet. Dann schließt das Restaurant. Offiziell wegen der Corona-Pandemie, heißt es auf einem Zettel am Eingang.

Dann werden die Maßnahmen zum Infektionsschutz gelockert. Vom 18. Mai an öffnet in Reutlingen eine Gaststätte nach der anderen wieder ihre Pforten. Nicht jedoch das »Gentile«. Hier bleibt das Licht aus, die Vorhänge bleiben zugezogen.

»Am 11. Februar waren Beamte der Steuerfahndung da«

Auf der Facebook-Seite des Lokals, die mittlerweile wie die eigene Website nicht mehr existiert, fragt ein User wenig später, wann man dort wieder essen gehen könne. Eine Antwort in den Kommentaren lautet: Der Inhaber habe sich nach Italien abgesetzt. Angeblich wegen Problemen mit der Steuerbehörde, wird an anderer Stelle kolportiert.

Es sind Gerüchte, die weder von der Reutlinger Polizei noch von der Steuerfahndung bestätigt werden. Interpol beantwortet Fragen zu Flüchtigen nur, wenn sie mit einer öffentlichen Fahndung gesucht werden. Die Staatsanwaltschaft Tübingen antwortet mit Verweis auf das Landespressegesetz, dass sie keine Auskunft erteilen kann. Weil sonst beispielsweise »die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte, oder ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde«. Ein ehemaliger Mitarbeiter ist gegenüber dem GEA gesprächiger. Er bestätigt, was laut Rall auch Nachbarn beobachtet haben wollen. »Am 11. Februar waren Beamte der Steuerfahndung da und haben ein Back-up der Kasse gezogen«, sagt er. Sein Chef sollte an diesem Tag aus dem Urlaub in Italien zurückkehren, doch er sei nicht aufgetaucht.

Im Zuge der Ermittlungen gerät auch das »Da Maria« ins Visier der Steuerfahnder. Das Pfullinger Restaurant wird mehr als zehn Jahre von Rosario Gentile betrieben. Anfang August 2019 verkauft er das Gebäude, ist nur noch Pächter. Am 1. Februar übernimmt Shpetim Shala die Pizzeria. Zehn Tage später nehmen Beamte zwei Kassen mit, bestätigt Shala auf GEA-Anfrage. Vom Pächterwechsel hätten sie nichts gewusst und sich anschließend entschuldigt.

»Ich habe das überhaupt nicht kommen sehen«

Im Kreis der Belegschaft ist man vom Besuch der Steuerfahnder überrascht. »Ich habe das überhaupt nicht kommen sehen«, sagt ein Mitarbeiter. Die Arbeit im »Gentile« fasst er in einem Wort zusammen: »Improvisation«. Er berichtet von Gehältern, die zu spät gezahlt werden, von drei verschiedenen Hausbanken in 16 Monaten, von neuen Kollegen aus Italien, die unangekündigt vor der Tür stehen, und einem schlampigen Umgang mit Unterlagen. Keine Seltenheit, dass einige davon im Büro, das auch als Pausenraum verwendet wird, plötzlich nicht mehr auffindbar sind.

Verschwunden sind mittlerweile auch Gegenstände aus dem Inneren des Restaurants, berichtet Titus Rall. Küchengeräte, Weinkisten, Champagner, Teller und Besteck beispielsweise. Laut Rall ist das Vorgehen illegal, schließlich seien Teile des Inventars nur angemietet. Außerdem habe er Vermieterpfandrecht geltend gemacht. Bewegliche Sachen, die sich in den Räumlichkeiten befinden und dem Mieter gehören, können demnach nicht mehr weggebracht werden und müssen stattdessen dazu verwendet werden, Mietschulden zu tilgen. Trotzdem werden Mitarbeiter des »Gentile« letztendlich erwischt, wie sie Gegenstände aus dem Gebäude schaffen wollen, erzählt Rall.

Den rund 15 Angestellten wird schließlich zum 31. Mai gekündigt, berichtet ein Mitarbeiter. Er hat jetzt einen Arbeitgeber, der ihn pünktlich bezahlt, wie er sagt. Zu einigen seiner ehemaligen Kollegen hat er noch Kontakt, viele von ihnen hätten Probleme, Arbeit zu finden. Titus Rall kritisiert den Umgang mit dem Personal: Einige seien per SMS entlassen worden. »Obwohl sie das Restaurant heroisch weiterführten, nachdem ihr Chef verschwunden war.«

Spätestens Anfang Juli soll in der Alten Feuerwache ein neues Restaurant eröffnen. »Die Räume sind bereits wieder vermietet«, sagt Rall. Wer der neue Gastronom ist, darf er nicht sagen, aus Kreisen der Belegschaft ist allerdings zu hören, dass es ein ehemaliger Mitarbeiter des »Gentile« ist. (GEA)