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Obdachlose: Welche Angebote es in Reutlingen gibt

Bei Minustemperaturen haben es Obdachlose besonders schwer. Der Reutlinger Ortsverein der Arbeiterwohlfahrt (AWO) steht ihnen allerdings tatkräftig zur Seite. Was angeboten wird und warum die Zahl der Wohnungslosen steigt.

Ein Obdachloser schläft auf einer Treppe
Ein Obdachloser schläft auf einer Treppe Foto: Boris Roessler/dpa
Ein Obdachloser schläft auf einer Treppe
Foto: Boris Roessler/dpa

REUTLINGEN. Nicht alle haben ein Dach über dem Kopf: Besonders im Winter, wenn es kalt ist, ist das ein Problem. Der Reutlinger Ortsverein der Arbeiterwohlfahrt (AWO) setzt sich für Wohnungslose ein, damit sie bei frostigen Temperaturen nicht draußen schlafen müssen. Von November bis April gibt es das Angebot des Erfrierungsschutzes in Reutlingen. Das GWG-Gebäude ist der Stadt überlassen und die AWO betreibt es. Beim Erfrierungsschutz handelt es sich um ein zusätzliches Übernachtungsangebot zu der Notunterkunft in der Glaserstraße 5, die es das ganze Jahr über gibt. AWO-Fachbereichsleiterin Wohnungsnotfallhilfe Heike Hein stellt jedoch klar: »Es gibt in Reutlingen keine Menschen, die tatsächlich auf der Straße leben.«

Der letzte Kältetod liegt laut Sozialamtsleiter Joachim Haas 18 Jahre zurück. Er spricht von »sehr gut aufgebauten Strukturen« in Reutlingen, sodass eisige Temperaturen keine lebensbedrohliche Gefahr darstellen. Aus diesem Grund benötige die Stadt auch keinen Kältebus. In der Notunterkunft in der Glaserstraße 5 bekommen Bedürftige nicht nur einen warmen Schlafplatz, sondern haben auch die Möglichkeit, zu duschen und ihre Wäsche zu waschen. Dort gibt es derzeit zwölf Übernachtungsplätze für Männer und vier für Frauen. Vorbeikommen können Bedürftige jeden Abend von 18 bis 22 Uhr. »Ein Nachtdienstmitarbeiter ist jeden Abend vor Ort«, so Hein.

Gute Zusammenarbeit: AWO und Stadt

»Die erste Anlaufstelle bleibt weiterhin die Glaserstraße. Das Haus des Erfrierungsschutzes besetzen wir nur, wenn wir zusätzliche Kapazitäten brauchen, damit im Winter niemand draußen bleiben muss«, erläutert Hein. Jeder, der in Reutlingen einen warmen Schlafplatz benötige, bekomme auch einen.

Doch was passiert, wenn alle Plätze belegt sind? »Wenn wir merken, dass die Notübernachtungsstelle und der Erfrierungsschutz voll werden, dann nehmen wir die Kommunen in ihre Pflicht«, sagt die AWO-Fachbereichsleiterin. Im vergangenen November drohten die Plätze auszugehen. »Die Stadt, mit der wir eine gute Zusammenarbeit haben, hat dafür ge-sorgt, die Menschen unterzubringen.«

Neben der nächtlichen Unterbringung gibt es auch tagsüber Unterstützung für Obdachlose. Dazu gehört der Tagestreff in der Olgastraße. Werktags hat er ab 12 Uhr geöffnet. »Dort gibt es Mittagessen für einen kleinen Kostenbeitrag, und es findet auch Austausch mit ehemaligen Wohnungslosen statt«, berichtet Hein.

Mehr Männer als Frauen von der Wohnungslosigkeit betroffen

Für Männer und Frauen ohne Bleibe gibt es in Reutlingen unterschiedliche Beratungsstellen. In der Rommelsbacher Straße sind (Stand: Dezember 2023) 700 Männer in Beratung und im Elisabeth-Zundel-Haus rund 200 Frauen. Für dieses Jahr habe die AWO dennoch keine endgültige Statistik zur Verfügung. »Wir haben allerdings gemerkt, dass die Zahlen nach oben gehen«, so Hein. Der Grund ist, dass der Wohnungsmarkt nach wie vor angespannt sei. »Wenn man seine Wohnung verliert, ist es fast unmöglich, neuen Wohnraum zu erschließen.« Waren es 640 Männer und 189 Frauen, die sich im Jahr 2021 beim Verein beraten ließen, so stiegen die Zahlen 2022 auf 645 Männer und 205 Frauen.

Die Altersgruppen der Bedürftigen sind unterschiedlich: »Angefangen beim 18-Jährigen bis hin zum über 70-Jährigen. Wir haben aber auch sehr viele junge Frauen zwischen 18 und 25«, sagt Hein. Familien mit kleinen Kindern seien im Landkreis Reutlingen ebenso von Wohnungslosigkeit betroffen. Die Kommunen sind jedoch laut den Ordnungs- und Polizeigesetzen der Länder verpflichtet, unfreiwillig Obdachlosen eine Unterbringung zu gewähren. Das ist die sogenannte ordnungsrechtliche Unterbringung.

Obdachlosigkeit: Zahlen und Fakten

Laut eines Berichts des Reutlinger Sozialamts hat die Reutlinger Stadt im Jahr 2022 insgesamt 403 Obdachlose in Wohnungseinrichtungen untergebracht. Es wurden 242 Fälle von Wohnungslosen bearbeitet. Zu beachten ist: Nicht jeder Fall entspricht einer Person. Im Vergleich zum Vorjahr sind es 20 Fälle mehr. Betroffen waren 347 Personen, davon 286 Erwachsene und 61 Kinder. Ein Großteil der Erwachsenen war alleinstehend. Geschlechtsspezifisch gesehen, überwiegt auch 2022 der Anteil an Männern ab der Altersgruppe von 18 Jahren aufwärts.

Die Gründe, die 2022 zur Wohnungslosigkeit geführt haben, sind unterschiedlich. In 43 Fällen haben Mietschulden dazu beigetragen, in 27 gab es Probleme in der Lebensgemeinschaft, in drei war die Wohnung unbewohnbar. Eine Person wurde von der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik Reutlingen entlassen und hatte keinen Wohnraum. Aufgrund von Eigenbedarf wurde in sechs Fällen gekündigt, in 49 Fällen lagen sonstige Gründe vor, neun Personen wurden ohne Wohnsitz aus der Haft entlassen. Obdachlosigkeit aufgrund von Brand kam 2022 sechsmal vor. (GEA)

Seit April 2023 besucht der Reutlinger Ortsverein anlässlich des Hilfeprogramms "Home" Menschen in solcher Unterbringung. "Wir sind in sechs Kommunen des Landkreises unterwegs." Ziel ist es, den Familien zu helfen, "wieder auf die Beine zu kommen". Obwohl die Notunterkünfte eigentlich eine vorübergehende Lösung seien, werden sie meistens langfristiger benutzt. "Wir gehen in die Unterkünfte und fragen, wie wir den Menschen helfen können. Familien leben dort oft notdürftig auf engstem Raum.

Es gibt welche, die Jahrzehnte nicht aus dieser Situation herauskommen und auch keinen Mietvertrag, sondern eine Einweisungsverfügung haben", sagt Hein. Die AWO, erzählt Hein, habe zusätzlich zahlreiche Wohnungen angemietet, um Wohnungslose unterzubringen. "Wir binden manche Menschen zur Stabilisierung ans ambulant betreute Wohnen an. Viele sind so wieder an Wohnraum gelangt." Auch ein vorübergehendes Wohnangebot, wo Menschen mit sozialpädagogischer Unterstützung in einer WG aufgenommen werden, helfe einigen Personen, wieder Fuß zu fassen. 

Wie man Obdachlosen helfen kann? Heike Hein empfiehlt, die Polizei zu alarmieren. Oft gehe es um Alkoholisierte, die in ihrem Zustand Gefahren nicht einschätzen können, wenn sie über Nacht draußen sind. Ein weiterer Weg, um Bedürftigen zu helfen, sei, Wohnraum anzubieten, so Haas. Er appelliert: »Wohnungsbesitzer können sich beim Sozialamt melden, damit wir ihre Wohnungen anmieten können.« Es bestehe kein Risiko für sie. Im Gegenteil: Es sei garantiert, dass sie problemlos ihre Miete erhalten. (GEA)