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OB-Brief begräbt Vision der Reutlinger Kulturpost

Der verbliebene Freiraum in der Paketpost soll als Lagerfläche dienen. Die Stadt erläutert die Gründe.

Viel Freiraum mitten in der City: das Paketpost-Areal von außen.
Viel Freiraum mitten in der City: das Paketpost-Areal von außen. Foto: Stephan Zenke
Viel Freiraum mitten in der City: das Paketpost-Areal von außen.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Die schönen Pläne von einer Reutlinger Kulturpost sind auf absehbare Zeit ad acta gelegt. Die Stadt will verbleibenden Leerraum in der Paketpost als Lagerflächen nutzen.

Visionen und Ideen gab es in der Vergangenheit genug – auch für das Postareal als Ganzes: Für das bahnhofsnahe Gelände dies- und jenseits der Bahnlinie gab es 2020 sogar einen Ideenwettbewerb für ein neues lebendiges Innenstadtquartier, das unter anderem den Ausbau der Kulturinsel zwischen Echazhafen und Wandelhallen vorsah. Der Wettbewerb fürs Gesamtareal lege das »Fundament« für die weitere Debatte, frohlockte die damalige Baubürgermeisterin Ulrike Hotz. Dann verschwand das Thema in der Versenkung. Nicht zuletzt die unklare Trassenführung der Stadtbahn (im Herbst soll nun die Entscheidung fallen) hemmt Entwicklungen in diesem Areal.

»Eine Katastrophe nach dem jahrelangen Hinhalten «

Rund 1.100 Quadratmeter der Paketpost sind seit 2022 von Büro- und Lagerräumen des Naturkundemuseums belegt. Die große Halle im Erdgeschoss beherbergt – noch – die Ukrainehilfe der »3 Musketiere«. Rund 900 Quadratmeter stehen leer. Bis zuletzt nährte die Stadt die Hoffnung, dass der Verein »Netzwerk Kultur« einziehen kann. Im Herbst sollte die Kulturnacht dort Raum finden. Doch nun hat der Verein, wie bereits berichtet, einen Brief von Oberbürgermeister Thomas Keck bekommen, in dem die Hoffnung zunichte gemacht wird.

Warum wird an dieser prominenten Stelle nun nichts als eine großer Lagerstätte sein? Beim Rundgang erläutert Kulturamtsleiter Anke Bächtiger die Gründe. Oberbürgermeister, Kulturamt und Gebäudemangement hätten »schweren Herzens beschlossen, die Option Kulturnutzung aufzugeben«. Sie selbst sei stets ein großer Fan davon gewesen. In Arbeitsgruppen und dem Forum Kultur habe man diese Idee verfolgt. »Wir glaubten, wir kriegen das hin.« Mit dem Einzug des Naturkundemuseums zeigten sich die Schwächen des Gebäudes, das die Stadt ursprünglich zum Abriss gekauft hatte, insbesondere die marode Strom- und Energieversorgung, die mit der Briefpost verbandelt ist.

Ausgestopfte stehen im Fundus des Naturkundemuseums, der  in der Paketpost untergekommen ist.
Ausgestopfte stehen im Fundus des Naturkundemuseums, der in der Paketpost untergekommen ist. Foto: Jürgen Meyer
Ausgestopfte stehen im Fundus des Naturkundemuseums, der in der Paketpost untergekommen ist.
Foto: Jürgen Meyer

Das Museum zieht mächtig Strom, insbesondere die Klimakammer, in der Exponate von Schädlingen befreit werden. Bei Veranstaltungen im Echazhafen, der ebenfalls an der Strippe der Paketpost hängt, wird der Kühlraum bei Veranstaltungen unterdessen abgestellt.

Die Nachfrage nach Lagerräumen ist groß, erläuterte Bächtiger weiter: Theater, Vereine haben Bedarf. Während der Rathaussanierung sollen Akten eingelagert werden. Das Amt für Schule, Jugend und Sport wird auf absehbare Zeit sein Lager vom Wagner-Buckel umziehen müssen: »Die brauchen allein schon 400 Quadratmeter.« Auch andere Ämter freuen sich über Lagerkapazität. Teils fallen Mietzahlungen an anderen Orten dadurch weg. Was die klamme Stadtkasse freut.

Im Gegensatz dazu würde schon die Minimalertüchtigung für die Kulturnutzung der Paketpost mit sechs- bis siebenstelligen Beträgen zu Buche schlagen, so Jörg Viehl vom Gebäudemangement. 15 Atelierräume und die Halle im Erdgeschoss für Veranstaltungen wollte das Netzwerk Kultur haben, dafür aber nach Bächtigers Aussage nur »minimal« Miete zahlen. »Das hätte sich nicht amortisiert.« Die finanzielle Lage der Kommunen wird sich nicht verbessern – im Gegenteil. »Auch in Reutlingen wird man schauen müssen, wie man Einrichtungen wie Württembergische Philharmonie oder Tonne, die tolle Kulturstruktur insgesamt halten kann«, warnt die Kulturamts-Chefin. Zugleich widerspricht sie dem Mangel-Vorwurf: »Es gibt Kreativräume in der Stadt.« Die sind allerdings teils recht volatil: Zuletzt musste das Netzwerk Kultur aus dem Interim in der Wilhelmstraße 109 ins Interim Metzgerstraße 49 umziehen.

»Wir glaubten, wir kriegen das hin «

Frust bei den Netzwerkern: Der Brief von OB Keck habe den Verein »kalt erwischt«, sagt Geschäftsführerin Edith Koschwitz. »Eine Katastrophe nach dem jahrelangen Hinhalten – und eine schlimme Ignoranz der Kulturszene gegenüber«, findet sie.

Der Verein hatte sich seit 2019 nach der Schließung der Planie 22 für die Kulturpost eingesetzt. Hatte man doch das Areal neben Echazhafen und franz.K als ideal für freie Kultur und Kreativwirtschaft, Ateliers, Werkstätten und Veranstaltungen ausgemacht: als Ort »mit Strahlkraft über die Stadt hinaus und Entwicklungspotenzial für Gewerbe und Innenstadt«. Nun also stattdessen »ein Lager mit 3.000 Quadratmetern mitten in der Stadt – das kann doch nicht sein«, klagt Koschwitz, die speziell auch die Stromthematik für überbewertet hält. »Für die Ateliers reicht’s allemal. Zur Not hätten wir bei Veranstaltungen einen Generator genutzt.«

Diese leeren Räume wollte das Netzwerk Kultur mit Kunst füllen.
Diese leeren Räume wollte das Netzwerk Kultur mit Kunst füllen. Foto: Jürgen Meyer
Diese leeren Räume wollte das Netzwerk Kultur mit Kunst füllen.
Foto: Jürgen Meyer

Aller Unbill zum Trotz verwandeln die Kulturvernetzer am Samstag 27. September Reutlingen wieder in einen einzigen großen Kulturort: bei der Kulturnacht. 30 Orte werden bespielt – Paketpost und Umgebung bleiben dunkel. Nach dem Event-Highlight verliert der Verein dann im Oktober voraussichtlich sein Dach über dem Kopf in der M 59. Der Mietvertrag läuft aus. Wenigstens diesbezüglich wünscht man sich jetzt eine Perspektive aus dem Rathaus. »Ich bin enttäuscht, dass man unser Engagement nicht würdigt«, sagt Edith Koschwitz bitter. (GEA)