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Aktuell Eindringlinge

Nilgans, Waschbär und Co. breiten sich in der Region aus - das führt zu Problemen

Invasive Arten wie Nilgans, Waschbär oder Buchsbaumzünsler machen sich auch in der Region Neckar-Alb immer breiter. Ein Experte vom Nabu Reutlingen erklärt, warum das problematisch ist. Und wie sogar Koikarpfen in den Markwasensee gelangt sind.

Ein Waschbär
Putzig und süß, aber der Waschbär macht immer mehr Problme und wird gerade für heimische Vogelarten zur echten Gefahr Foto: Fredrik von Erichsen/dpa-Archiv
Putzig und süß, aber der Waschbär macht immer mehr Problme und wird gerade für heimische Vogelarten zur echten Gefahr
Foto: Fredrik von Erichsen/dpa-Archiv

REUTLINGEN/METZINGEN. Wer mit offenen Augen beispielsweise am Neckar bei Tübingen unterwegs ist, hat sie schon gesehen. Schöne und anmutige und recht große Tiere, die mit ihren Schwimmfüßen selbstbewusst am Ufer entlangwatscheln: Die Nilgänse breiten sich aus, und das ist überhaupt nicht gut, findet der Metzinger Dr. Albrecht Gorthner, Biologe und Experte für invasive Arten beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in Reutlingen. Nicht nur im Neckartal würden sich immer mehr Nilgänse wohlfühlen, auch mitten in den Innenstädten machten sie sich breit, so Gorthner: »In Stuttgart ist es ganz heftig.«  

Nilgänse seien wehrhafte Tiere, die sich in ihrer Heimat, dem Nil in Ägypten, gegen andere Tiere durchsetzen müssten. Sie hätten gelernt, zu kämpfen. »Hier sind sie auch deshalb eine Bedrohung für heimische Arten. Sie plündern beispielsweise die Gelege in den Horsten von Turmfalken.« Gorthner wird noch deutlicher: »Die müssen bejagt werden, es geht nicht anders.« Nilgänse, die aus Afrika stammen und im 18. Jahrhundert als Ziervögel nach Europa geholt wurden, werden zunehmend als Plage empfunden.

Nilgänse verteidigen ihre Brut im Frühjahr und werden bissig.
Nilgänse verteidigen ihre Brut im Frühjahr und werden bissig. Foto: dpa
Nilgänse verteidigen ihre Brut im Frühjahr und werden bissig.
Foto: dpa

Der Nabu-Biologe aus Metzingen gibt einen groben Überblick über das Problem der invasiven Arten: So gebe es in Europa 12.000 sogenannte gebietsfremde Arten, also Tiere und Pflanzen die mittlerweile dort leben, wo sie eigentlich nichts zu suchen hätten. Zehn Prozent von ihnen seien gefährlich für andere, und 66 von ihnen würden echte und schwere Probleme bereiten. Wegschauen und Nichtstun ist für den Biologen keine Option. Es gelte, die Probleme im Zaum zu halten und dagegen zu arbeiten. Notfalls auch mit professioneller Jagd auf die Eindringlinge. Das sei rechtlich ein Muss, so Gorthner.

Dann kommt er auf die echten Problemkinder zu sprechen, die gleichzeitig die bekanntesten Neueinwohner in hiesigen Gefilden sind. Namentlich erwähnt er dabei die Rostgans, die sich auch im Reutlinger Markwasen wohlzufühlen scheint. Sie könne - ähnlich wie die Nilgans - durchaus aggressiv werden. Sie verdrängt demnach durch ihr Verhalten einheimische Vögel. Zur Brutzeit verhält sie sich äußerst angriffslustig. Aus ihrem Brutrevier vertreibt sie fast alle Enten und besetzt auch Brutkästen von Schleiereulen und Turmfalken.

Waschbär in der Metzinger Outletcity

Gorthners Liste mit Problemtieren in Reutlingen und der Region ist lang. Persönliche Erfahrungen hat er vor allem mit dem Waschbär gemacht. Seine Ausbreitung aus seiner angestammten Heimat in Nordamerika hat dieser der Pelzliebe des Menschen zu verdanken, denn er ist irgendwann aus Zuchtanlagen auf Pelzfarmen ausgebüchst und hat sich selbstständig gemacht. Da er clever und anpassungsfähig ist, breitet er sich immer weiter aus. So hat eine automatische Wildkamera einen Waschbären bereits beim nächtlichen Schaufensterbummel durch die Metzinger Outlet erwischt. Was sich so kurios anhört, ist ein Zeichen dafür, dass der eigentlich putzige Kerl zu einem echten Problem geworden ist.

Die Graureiher in den Baumwipfeln über dem alten Friedhof von Metzingen mussten schon vor dem Waschbären geschützt werden.
Die Graureiher in den Baumwipfeln über dem alten Friedhof von Metzingen mussten schon vor dem Waschbären geschützt werden. Foto: Albrecht Gorthner
Die Graureiher in den Baumwipfeln über dem alten Friedhof von Metzingen mussten schon vor dem Waschbären geschützt werden.
Foto: Albrecht Gorthner

So musste Albrecht Gorthner die Graureiher-Kolonie, die mitten in Metzingen auf dem dortigen alten Friedhof brütet, mit einem Katzenabwehrgürtel, also einer Baummanschette, vor dem Waschbär schützen. Er und seine Artgenossen hätten sich sonst über die Gelege der Vögel hergemacht. Der kletterfreudige Nesträuber bedroht durch dieses Fressverhalten auch die Bestände der Rotmilane in der Region, wahrscheinlich mehr als Windräder. 

Ein Nutria watet durch einen fast ausgetrockneten Fischteich.
Ein Nutria watet durch einen fast ausgetrockneten Fischteich. Foto: Cevin Dettlaff/dpa
Ein Nutria watet durch einen fast ausgetrockneten Fischteich.
Foto: Cevin Dettlaff/dpa

Auf Gorthners Liste steht auch die Nutria. Die Tiere ähneln in Erscheinungsform und Lebensraum den Bibern. Sie werden etwa 65 Zentimeter groß und haben einen schuppigen, langen Schwanz. Sie stammen ursprünglich aus Südamerika und sind wie der Waschbär auch aus Pelzfarmen ausgebüchst und haben sich so in Europa verbreitet. Sie vermehren sich schnell, da sie bis zu dreimal im Jahr Junge bekommen können. Die Nutriabestände in Deutschland haben sich von 2006 bis 2016 verdoppelt. Die Tiere richten erhebliche Schäden an Wasserbauanlagen an, da sie Deichanlagen und Uferbereiche unterhöhlen. Außerdem fressen sie die heimischen Flussmuscheln weg.

Ein Grauhörnchen trägt Nestbaumaterial in seinen Bau.
Ein Grauhörnchen trägt Nestbaumaterial in seinen Bau. Foto: Robin Loznak
Ein Grauhörnchen trägt Nestbaumaterial in seinen Bau.
Foto: Robin Loznak

Das Grauhörnchen ist 2016 in die »Liste der unerwünschten Spezies« für die Europäische Union aufgenommen worden. Sie wurden von Geschäftsleuten und Adligen im 19. Jahrhundert aus Nordamerika mitgebracht und zunächst in England ausgesetzt. Sie verbreiten sich in Europa mittlerweile so stark, dass sie die heimischen Eichhörnchen zu verdrängen drohen. Grauhörnchen sind den europäischen Eichhörnchen überlegen. Sie sind größer, stärker, anpassungsfähiger und bekommen mehr Nachwuchs. Was sie zusätzlich gefährlich macht, ist das Squirrelpox-Virus, ein Pockenvirus, gegen das sie selbst immun sind, nicht aber ihre rötlichen Verwandten. In Großbritannien werden Grauhörnchen inzwischen bejagt. Laut Schätzungen leben dort 2,5 Millionen von ihnen, aber nur noch etwa 140.000 rote Eichhörnchen. In Deutschland wird eine ähnliche Entwicklung befürchtet. Grauhörnchen gefährden junge Eichen und Buchen, weil sie ihre Rinde abschälen und bedrohen die Bestände von Singvögeln, weil sie dasselbe Futter fressen.

Ein asiatischer Marienkäfer krabbelt an einem Stengel hoch.
Ein asiatischer Marienkäfer krabbelt an einem Stängel hoch. Foto: Soeren Stache/dpa
Ein asiatischer Marienkäfer krabbelt an einem Stängel hoch.
Foto: Soeren Stache/dpa

Auch einheimische Insekten seien vielfach durch eingewanderte Artgenossen bedroht, so Gorthner. So habe sich der asiatische Marienkäfer still und leise auch in der Region enorm ausgebreitet. Dabei leben die Tiere noch nicht lange in Europa. Erst Ende des 20. Jahrhunderts wurden sie als biologische Schädlingsbekämpfer in Gewächshäusern eingesetzt, weil sie unter anderem weit mehr Läuse vertilgen als die ursprünglich heimische Art, der Siebenpunkt-Marienkäfer. Seit der Jahrtausendwende breiten sich die asiatischen Marienkäfer teilweise massenhaft in Deutschland aus und verdrängen die heimischen Siebenpunkt-Marienkäfer immer mehr. 

Die ausgewachsenen Raupen eines Buchsbaumzünslers sind leicht erkennbar und sehr gefräßig.
Die ausgewachsenen Raupen eines Buchsbaumzünslers sind leicht erkennbar und sehr gefräßig. Foto: Andrea Warnecke/dpa
Die ausgewachsenen Raupen eines Buchsbaumzünslers sind leicht erkennbar und sehr gefräßig.
Foto: Andrea Warnecke/dpa

Nicht nur Hobbygärtner könnten vom nächsten invasiven Zeitgenossen ein Lied singen: dem Buchsbaumzünsler. Er sorgte in den vergangenen Jahren immer wieder für Schlagzeilen und Ärger. Die Raupen dieser Motte haben keine Probleme damit, ganze Hecken aus Buchsbaumpflanzen radikal leerzufressen. Die Tierart stammt ursprünglich aus  Ost-, Südost- und Südasien und ist vermutlich durch intensiven Handel mit Waren für Baumschulen zu uns gekommen. Pro Jahr können bis zu vier Buchsbaumzünslergenerationen entstehen. Sie können biologisch bekämpft werden, mit dem Bacillus Thuringiensis. Entsprechende Pulver zum Auflösen gibt es im Handel. Das Mittel gilt als unschädlich für sogenannte Nützlinge wie beispielsweise Bienen.

Eine Varroa-Milbe sitzt in einer Wabe auf einer Drohnenpuppe.
Eine Varroa-Milbe sitzt in einer Wabe auf einer der Puppe einer Biene. Foto: dpa
Eine Varroa-Milbe sitzt in einer Wabe auf einer der Puppe einer Biene.
Foto: dpa

Bienen sind auch durch einen Eindringling bedroht: Die winzig kleine Varroamilbe. Ihr lateinischer Name ist Varroa Destructor, und so trägt sie schon im Namen die Warnung vor ihrer zerstörerischen Gefahr. Die Parasiten können sowohl Bienenlarven als auch ausgewachsene Bienen befallen und im schlimmsten Fall zu einem Bienensterben führen. Das hat den Imkern auch in der Region zuletzt zu schaffen gemacht. Ihre Bekämpfung ist kompliziert, weil Varroamilben sich gegen gängige chemische Mittel nicht selten als resistent gezeigt haben. Mittlerweile sind aber mehrere Bekämpfungsmittel auf Basis von Ameisensäure, Milchsäure und Thymol erhältlich, frei verkäuflich und sollen besser helfen.

Ein Blumenfeld in Sondelfingen, das von der Ambrosia befallen war.
Ein Blumenfeld in Sondelfingen, das von der Ambrosia befallen war. Foto: Markus Niethammer
Ein Blumenfeld in Sondelfingen, das von der Ambrosia befallen war.
Foto: Markus Niethammer

Aber nicht nur eingeschleppte oder eingewanderte Tierarten würden das hiesige Ökosystem bedrohen, so Albrecht Gorthner. Von invasiven Pflanzen gingen vergleichbare Gefahren aus. Vielen bekannt sei beispielsweise Ambrosia. Die Pflanze habe sich ausgebreitet, weil ihre Samen Bestandteil von billigem Vogelfutter ist. Die Pflanze, die auch als Traubenkraut bekannt ist, gilt als besonders allergieauslösend. Eine Blüte kann Milliarden Pollen beinhalten, die bei Körperkontakt Hautirritationen oder Asthma auslösen können. Der Klimawandel begünstigt die Verbreitung der Pflanze und stellt daher eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung dar. Weil die Pflanze bei Menschen Allergien auslösen können, muss sie in der Schweiz, Italien und Ungarn gemeldet und anschließend vernichtet werden. 

Die breitblättrige Platterbse blüht zwar recht nett, macht sich aber auch in Reutlingen und der Region immer mehr breit.
Die breitblättrige Platterbse blüht zwar recht nett, macht sich aber auch in Reutlingen und der Region immer mehr breit. Foto: Ralf Rittgeroth
Die breitblättrige Platterbse blüht zwar recht nett, macht sich aber auch in Reutlingen und der Region immer mehr breit.
Foto: Ralf Rittgeroth

"Die breitblättrige Platterbse wälzt im Garten alles platt", wird Gorthner deutlich. Dabei ist die Pflanze, die auch als Winterwicke oder Staudenwicke bekannt ist, im 18. Jahrhundert als Zierpflanze nach Deutschland gekommen. Sie wuchs vorher im Mittelmeerraum und auf dem Balken. Sie rankt und klettert überall und ihre Samen werden durch Vögel und Säugetiere verbreitet.

"Der Riesen-Bärenklau ist eine echte Pest und er ist zudem noch giftig", weiß der Metzinger Biologe. Die Pflanze, die ein ganz klein wenig wie eine zu groß geratene Schafgarbe aussieht, stammt ursprünglich aus dem Kaukasus. Sie wurde Ende des 19. Jahrhunderts als Zierpflanze nach Mitteleuropa gebracht. Auch sie kann beim Menschen bei Berührung Allergien und Hautausschläge auslösen. Zudem geht von den Pflanzen an den Ufern von Flüssen eine Erosionsgefahr aus, weil unter ihnen Gräser absterben, welche die Uferböschung ansonsten festigen. 

»Eine echte Pest und dazu noch giftig«

An Wasserläufen auch in der Region sei auch vermehrt das indische Springkraut zu finden. »Das ist rosa und wird bis zu zwei Meter hoch«, erklärt Albrecht Gorthner. Es sei überhaupt nicht gut für die heimische Natur. Sein ursprüngliches Verbreitungsgebiet liegt auf dem indischen Subkontinent. Als Zierpflanze, die schöne rosa Blüten ausbildet, wurde sie im 19. Jahrhundert nach in Nordamerika und Europa gebracht. Wie der Name schon sagt, breitet sich die Pflanze aus, indem sie ihren Samen verbreitet, der regelrecht aus ihr herausspringt. Sie verdrängt zudem heimische Arten an einigen günstigen Standorten nahezu komplett. Auf der anderen Seite wird sie gerne von Bienen besucht und gilt als großer Nektarlieferant.

Reutlingens Exotarier kümmern sich auch um Koi- und andere Karpfen.Jetzt leben offenbar solche exotischen Zierfische im Reutling
Solche exotischen Koikarpfen leben offenbar im Reutlinger Markwasensee. Foto: Henne
Solche exotischen Koikarpfen leben offenbar im Reutlinger Markwasensee.
Foto: Henne

»Die Sonnenbarsche fressen den ganz Froschlaich weg«

Zum Schluss kommt Albrecht Gorthner auf das Reutlinger Naherholungsgebiet Markwasen zu sprechen, wo invasive Arten sichtbar Probleme bereiten würden. Hier habe irgendjemand Koikarpfen im Markwasensee ausgesetzt. Die beliebten, großen und bunten sowie teuren Zierfische fühlten sich im Markwasensee offenbar ebenso wohl wie zahlreiche Sonnenbarsche. Beide Fischarten gehörten hier nicht hin und bedrohten den Lebensraum dort: »Die Sonnenbarsche fressen den ganz Froschlaich weg«, gibt er zu bedenken. 

Doch solange alle möglichen exotischen Tierarten leicht zu kaufen und ebenso leicht wieder loszuwerden sind, wenn sie den Besitzern lästig oder langweilig würden, werde sich an der Situation nichts ändern. (GEA)

Hier gibt's Hilfe, wenn invasive Arten Probleme bereiten

Wenn invasive Tier- oder Pflanzenarten Probleme bereiten, sei es ein aufdringlicher Waschbär oder ungebetene Gewächse, die sich ungebeten ausbreiten, gibt es Hilfe bei den Naturschutzbehörden der Landratsämter. 

Das Landratsamt Reutlingen als sogenannte Untere Naturschutzbehörde hat mehrere Naturschutzbeauftrage für den gesamten Landkreis. Mehr Informationen gibt es hier.

Das Landratsamt Tübingen hat ebenfalls eine ganze Abteilung, die sich beispielsweise auch um den Schutz der heimischen Arten kümmert. Mehr Informationen und Ansprechpartner sind hier zu finden