REUTLINGEN. »Die Baukrise, die uns bundesweit lähmt, ist längst Realität geworden«, sagte Oberbürgermeister Thomas Keck im Pressegespräch für den Bebauungsplan »Zwischen Christoph- und Storlachstraße«. Die tragische Folge: Wegen steigender Baukosten klaffe die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt immer weiter auseinander, auch das geplante Wohnquartier auf dem einstigen Bauhof-Areal ist ins Straucheln geraten. Interessenten für das Gelände wurden keine gefunden. Weshalb Stadt und Gemeinderat die Neugestaltung des Areals vor einigen Monaten in die Hände der Reutlinger Wohnungsgesellschaft GWG legten. Im September 2024 sei man »gemeinsam angetreten, um das Bauvorhaben mit Modellcharakter« anzugehen, so Florian Bertz, der technische Abteilungsleiter der GWG.
156 Wohneinheiten, 187 Stellplätze
GWG und Stadtverwaltung haben parallel gearbeitet und konnten am Dienstagmorgen die Entwürfe präsentieren, die am Abend auch auf der Tagesordnung des Gemeinderats standen. Neun Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 156 Wohneinheiten wird die GWG dort bauen lassen - von drei Generalunternehmen gleichzeitig, um die Sache noch mehr zu beschleunigen. Die Geschosshöhe beträgt drei bis sechs Stockwerke, die Fassaden und Bauweisen sind unterschiedlich, die GWG hat sich für drei Haustypen entschieden. Es werde also kein »Plattenbau 2.0« entstehen, versicherte der technische Geschäftsführer der GWG, Lars Grüttner.
Aus städtebaulicher Sicht gelinge es vorbildhaft, bezahlbaren Wohnraum entstehen zu lassen, lobte auch Baubürgermeisterin Angela Weiskopf das Quartier. Durch den Verzicht auf eine Unterkellerung und Tiefgaragen können die Ausgaben zudem enorm gesenkt werden - mit rund 50.000 Euro pro Wohnung könne man da schon rechnen. Außerdem geht die Umsetzung so schneller voran. Statt Tiefgaragen gibt es hinter Haus 9 eine Quartiersgarage mit 175 Stellplätzen sowie 12 Außenstellplätzen. »Wir wissen durchaus um den Parkdruck«, sagt Grüttner.
Gesamtkosten 50 Millionen Euro
Zudem habe eine Bauweise ohne Unterkellerung den Vorteil, dass die Versiegelung der Flächen minimiert werde und Bäume sich besser entwickeln können. Die Wohnungen, übrigens handelt es sich bei allen um geförderten Wohnraum, sind bunt gemixt - von der Ein- bis zur Vier-Zimmer-Wohnung. Der Großteil, nämlich 42 Prozent, hat drei Zimmer. Gebaut werden sie in serieller Bauweise von spezialisierten Baupartnern. Dennoch nimmt die GWG viel Geld in die Hand: Man rechne mit Gesamtkosten von 50 Millionen Euro, so Grüttner.
Nach der Zustimmung des Gemeinderats folgt ein erneuter Auslegungsbeschluss, und noch vor der Sommerpause will die GWG einen Bauantrag stellen - sodass Ende 2025 bereits Baubeginn ist. Die ersten Gebäude sollen nach rund 15 Monaten bezugsfertig sein, der Abschluss des Gesamtprojekts ist auf Ende 2027 anvisiert. Weite Teile der früheren Planung konnten für den neuen Entwurf übernommen werden und auch die ursprüngliche städtebauliche Struktur kann weitestgehend erhalten bleiben. »In einigem wurden die Pläne sogar deutlich verbessert«, betont Stadtplaner Stefan Dvorak.
Mit Quartiersplätzen und Gemeinschaftsräumen
Um nicht nur Wohnen zu ermöglichen, sondern auch Gemeinschaft, werden zwei Quartiersplätze angelegt, verbunden durch Geh- und Radwege und umsäumt von Grünflächen. Aber auch »Quartiersräume,« die alle Bewohner des Hauses für gesellige Zwecke nutzen können, ein Café sowie eine Mobilitätsstation in der Quartiersgarage sind geplant. In eines der Gebäude wird eine Arztpraxis einziehen, der Hausarzt ist bereits im Storlach ansässig und wird in die 150 Quadratmeter große Praxis umziehen, sobald sie fertig ist. Stauraum, der sonst in Kellern zu finden ist, wird in den Erdgeschossen der Häuser untergebracht. Neben Wohnungen gibt es dort Räume, die von allen genutzt werden. Beispielsweise Waschräume oder Fahrradabstellplätze.
Direkt angrenzend an das Kinder- und Familienzentrum Christophstraße solle ein lebendiges Wohnquartier mit Sondernutzungen entstehen. Für Florian Bertz ist es ein »Leuchtturmprojekt«, Angela Weiskopf kann sich durchaus vorstellen, sich damit für die Internationale Bauausstellung (IBA) 2027 in Stuttgart zu bewerben.
Das Wichtigste aber ist, dass in der Stadt so dringend benötigter, bezahlbarer Wohnraum entsteht - gerade in Zeiten, in denen manche Bauvorhaben sich in die Länge ziehen oder keine Investoren gefunden werden. Für Dvorak zeigt das Baugebiet, »dass Gutes nicht unbedingt teuer sein muss«.
Bezahlbaren Wohnraum schaffen
Dadurch, dass alle Beteiligten gleichzeitig mit den Vorarbeiten begonnen haben, könne es zudem sehr zügig umgesetzt werden. Dvorak betonte, wie froh er sei, dass die GWG Interesse gezeigt hat, nachdem sich die Marktlage total verändert habe und keine Baugemeinschaft das Areal wollte.
Thomas Keck erklärte, dass die Stadt Reutlingen nicht nur »über bezahlbaren Wohnraum spricht - wir schaffen ihn«. Dazu müsse man allerdings bereit sein, auf größtmöglichen Profit zu verzichten - »gerade das ist die Aufgabe des kommunalen Wohnungsbaus«. (GEA)