REUTLINGEN. Große Ohrringe, pinkfarbenes Shirt mit der Aufschrift »fuck frontex«, Boxen als Hobby. Dem Pfarrerinnen-Klischee entspricht Lena Moeller ganz bestimmt nicht. Will sie auch nicht. Die 32-Jährige hat nach ihrem Vikariat und zwei Jahren als Referentin bei der Evangelischen Heimstiftung die Stelle bekommen, die für sie nicht besser passen könnte: Sie ist die neue Asylpfarrerin im Kirchenbezirk Reutlingen. Eigentlich war das Amt schon abgeschafft, aus Spargründen hat die evangelische Landeskirche im Sommer 2023 die Stelle gestrichen. Doch jetzt geht es unter Federführung des evangelischen Kirchenbezirks weiter in der Planie 11. Seit März ist Lena Moeller im Amt. Zwar »nur« mit einer 50-Prozent-Stelle, dafür aber mit großer Überzeugung und Leidenschaft. »Dafür brennt mein Herz«, sagt die 32-Jährige zur neuen Aufgabe.
Kein Neuland
Das Amt ist zwar neu, aber die Aufgabe kein Neuland für Lena Moeller. Seit 2014 ist sie ehrenamtlich engagiert in der Flüchtlingsarbeit. Bei einem Workshop zum Thema Rechtspopulismus traf sie zufällig Asylpfarrerin Ines Fischer. »Da hab‘ ich zum ersten Mal begriffen, dass es eine Asylpfarrstelle gibt.« Und sie war überzeugt: »Super, das wird meine Stelle.« Bestärkt in ihrem Beschluss wurde sie 2020 durch ein sechsmonatiges Praktikum bei Ines Fischer. Doch drei Jahre später, als deren befristete Asylpfarramtsstelle auslief, setzte die Landeskirche den Rotstift an und alles sah danach aus, als ob aus Lena Moellers Berufswunsch nichts würde.
Doch mit dem neuen Pfarrplan kam auch eine neue Transformationsstelle. Die Verteilung des Dienstauftrags war Sache des Kirchenbezirks Reutlingen, der sich entschied, mit 50 Prozent wieder eine Asylpfarrstelle einzurichten. »Zum Glück«, sagt Lena Moeller und ergänzt ohne zu zögern: »Und weil es einen Dekan und viele engagierte Ehrenamtliche gibt.« Letztere hatten sich vehement für den Erhalt der Pfarrstelle eingesetzt, eine erfolgreiche Unterschriften-Aktion gestartet und Dekan Marcus Keinath immer wieder deutlich gemacht, dass sie die Asylpfarrstelle für unverzichtbar halten.
Kirche soll politisch sein
Anstellungen nach einem Vikariat können sich Pfarrer nicht aussuchen, Lena Moeller bekam ihre Wunschstelle im Asylpfarramt trotzdem. Die geht sie voller Elan an. Und mit klarer Haltung. Kirche dürfe und solle politisch sein, sagt die junge Pfarrerin und bezieht sich aufs Neue Testament. »Für mich ist das sehr naheliegend, sich für Menschen zu engagieren, die am Rand der Gesellschaft stehen und mit ihnen solidarisch zu sein.« Eine große Stärke der »Profilpfarrstelle« sei dabei, dass mit ihren Angeboten auch Menschen und Gruppen wie etwa Sea-Watch erreicht werden könnten, die mit Kirche wenig am Hut haben. »Wir vermitteln, dass wir was zu sagen haben und sie unterstützen.«
Primär geht es aber um die Unterstützung Asylsuchender vor Ort. Eine offene Beratungsarbeit wie bei ihrer Vorgängerin kann Lena Moeller derzeit nicht anbieten, weil sie sich das Büro in der Planie 11 noch mit Asyldiakonin Anna Sonnemann teilt, die seit 2023 mit einer unbefristeten Stelle beim Diakonieverband angestellt ist. Verfahrensberatung leisten beide trotzdem, vorerst in den Asylcafés in Betzingen, Heilig-Geist und der Römerschanze, wo Lena Moeller selbst schon als Ehrenamtliche aktiv war. Ziel sei es, bald wieder eine offene Beratung anzubieten. Bis es so weit ist, sagt sie, »halten die Ehrenamtlichen das Fähnchen hoch – das ist extrem viel wert.«
Abschottung um jeden Preis
Auch wenn Lena Moeller gerade erst ihre neue Stelle angetreten hat, ist ihr eins schon klar: Einfach wird es nicht. »Die Stimmung wird immer schlechter und rechter«, nennt sie den Grund. »Da ist es eine enorme Herausforderung, den Boden unter den Füßen zu behalten und sich zu sagen, dass es nicht völlig aussichtslos ist, was wir da machen – auch, wenn sich’s manchmal so anfühlt.« Als Beispiel für einen »deutlichen Schritt nach rechts« nennt sie die Bezahlkarte, die Geflüchtete von Hilfsangeboten wie Tafelläden oder Flohmärkten ausschließe und funktioniere wie eine Brandmarkung: »Dich wollen wir hier nicht haben.«
Die von den möglichen künftigen Koalitionspartnern geplante pauschale Zurückweisung von Flüchtlingen an den Grenzen bezeichnet Lena Moeller als »Katastrophe«. Auch, dass Abschottung um jeden Preis betrieben werde und es keine Rolle mehr spiele, wenn dabei Grenzschutzorganisationen wie Frontex gegen Menschenrechte verstoßen würden. »Das wird in Kauf genommen. Hauptsache, die Zahl der Menschen, die hier ankommen, werden weniger.« Weniger Ankömmlinge bedeute aber nicht, dass weniger fliehen. »Es sterben nur mehr.«
Enttäuscht von allen Parteien
Den Stimmungswandel macht die 32-Jährige auch daran fest, dass im Wahlkampf Migration Hauptthema war – aber ausschließlich im negativen Kontext. Zwischen Migration und Flucht werde nicht mehr unterschieden, Fluchtgründe interessierten schon gar nicht mehr, kritisiert Lena Moeller: »Das entmenschlicht auch.« Das »rechte Narrativ«, Geflüchtete würden nur dahin gehen, wo die Sozialleistungen am besten sind, bezeichnet sie als totalen Quatsch: »In all den Jahren habe ich nur Menschen getroffen, die aus Not ihr Land verlassen mussten.« Sie sei, sagt sie unverblümt, enttäuscht von allen Parteien. »Es gibt Dinge, die stehen nicht zur Verhandlung. Da gehören Menschenleben dazu, das sollte das A und O sein. Aber das ist es schon lange nicht mehr.« Was sie, so die 32-Jährige, beängstigend findet. Und fast noch beängstigender, »wie weit wir schon nach rechts unterwegs sind, aber das wird nicht ernst genommen«. Zu benennen, wenn etwas schiefläuft, auf Strukturen einzuwirken – gerade da seien Kirche und Asylpfarramt wichtig. Denn, so Lena Moeller: »Schweigen können wir uns nicht leisten.«
Kontrastprogramm auf der Alb
Dass es manchmal frustrierend ist, sich bei so viel Gegenwind stark zu machen für die Rechte von Geflüchteten, räumt sie ein. »Ich erlebe nur noch Abschottung.« Die Asylsuchenden erst recht. Viele, weiß sie aus ihrer Beratungsarbeit, leben in Duldung, haben Angst vor Abschiebung. »Eine enorme Belastung. Da ist es schwierig, über Integration zu reden.« Aber auch andere Menschen mit Migrationsgeschichte spürten das veränderte Klima. »Egal, wie sie sich bemühen, wie sie Steuern zahlen oder arbeiten: Sie begegnen Ablehnung.« Was sie als Asylpfarrerin tun kann? »Für sie da sein, ihnen signalisieren, dass sie mir nicht egal sind, ihnen helfen und versuchen, Lösungen zu finden.«
Ein Kontrastprogramm für die 32-Jährige ist die andere 50-Prozent-Stelle in der evangelischen Kirchengemeinde von Donnstetten-Westerheim. Ein kleiner Ort auf der Alb, in dem die Leben in beschaulich-geordneten Bahnen laufen, wo man aber trotz der konservativen Strukturen der unkonventionellen jungen Pfarrerin, die konsequent gendert, offen begegnet. Dazu kommen sechs Stunden Grundschul-Unterricht in Westerheim und Metzingen. »Das erdet mich«, sagt sie und lacht. Und dann gibt es ja noch das Hobby: Boxen und Kickboxen, in einer Frauengruppe. »Das ist mein Ausgleich.« (GEA)