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Aktuell Artenschutz

Naturschützer schlagen Alarm im Lautertal

Felssicherungen im Lautertal: Wie das Landratsamt auf Kritik und Vorwürfe von Verbänden reagiert.

Die Felskulisse um Burg Hohengundelfingen ist teilweise einsturzgefährdet. Die nötigen Arbeiten sorgen für Diskussionen.  FOTO:
Die Felskulisse um Burg Hohengundelfingen ist teilweise einsturzgefährdet. Die nötigen Arbeiten sorgen für Diskussionen. FOTO: BLOCHING
Die Felskulisse um Burg Hohengundelfingen ist teilweise einsturzgefährdet. Die nötigen Arbeiten sorgen für Diskussionen. FOTO: BLOCHING

MÜNSINGEN-GUNDELFINGEN. Erst wurde sie wegen potenziell gefährlicher Felsen kurzfristig gesperrt und sollte sogar bis September zu bleiben, dann ging alles doch ganz schnell: Die Gundelfinger Ortsdurchfahrt sorgte in den vergangenen Wochen für Aufregung – bei Anwohnern und Tourismusbetrieben im Lautertal, aber auch im Münsinger Rathaus, im Landratsamt Reutlingen und beim Regierungspräsidium Tübingen. Die Interessen der Betroffenen standen den Anforderungen an den Verkehr – die Umleitung, auch für die Linienbusse, ist kompliziert – und den Belangen des Artenschutzes entgegen. Kurz vor Ostern teilte das Landratsamt dann mit: Die Sicherung der Felsen unterhalb der Burgruine Hohengundelfingen, die Grund für die Sperrung sind, beginnt nicht erst im Spätsommer, sondern schon jetzt.

Was die einen freut, ärgert die anderen: »Mit Unverständnis« reagieren der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der Landesnaturschutzverband (LNV) auf die Ausnahmegenehmigung des Regierungspräsidiums Tübingen zur Beseitigung der Felsen. Die Arbeiten seien »trotz erheblicher naturschutzfachlicher Bedenken« genehmigt worden, kritisieren die Naturschutzverbände.

Sorge um brütende Vögel

Ein Ortstermin am 10. März sowie ein im März 2025 durchgeführtes Gutachten hätten gezeigt, dass das betroffene Gebiet »eine einzigartige Naturperle mit europaweit geschützter Kalkpionierrasen- und Felsspaltenvegetation« sei. Es diene nachweislich als Brutplatz und Vorkommen für streng geschützte Vogelarten wie Uhu, Wanderfalke, Kolkrabe und Gänsesäger sowie als Winterquartier für Fledermäuse, allesamt Arten, die unter besonderem gesetzlichen Schutz stünden. Ihre Sorge und ihre ablehnende Haltung haben die Naturschutzverbände bereits während des Ortstermins sowie anschließend in einem Leserbrief deutlich gemacht.

Den ökologischen Wert des Gebiets stellt das Landratsamt auch gar nicht infrage. Das macht die Behörde in einer Stellungnahme zu den Vorwürfen der Naturschützer auf GEA-Nachfrage deutlich. Die einzigartige Flora und Fauna unter den gegebenen Bedingungen bestmöglich zu schützen, sei das gemeinsame Interesse aller Beteiligten, schreibt Pressesprecherin Katja Walter-Frasch.

Die Naturschutzverbände weisen darauf hin, dass das Problem seit Längerem bekannt gewesen sei. Im Juli 2024 habe ein Gutachten der Straßenbaubehörde dringenden Handlungsbedarf ergeben, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Der Vorwurf der Naturschützer: Statt unmittelbar darauf zu reagieren, sei der Sachverhalt durch die Straßenbaubehörde bis März 2025 quasi unter Verschluss gehalten worden. Erst im März 2025 sei dann mit dem Verweis »auf Gefahr in Verzug« unter höchstmöglichem Zeitdruck ein Genehmigungsverfahren durchgedrückt worden. Diese Vorgehensweise sei inakzeptabel. Besonders kritisch seien die geplanten Arbeiten im Frühjahr während der Brutzeit. Es sei zu befürchten, dass die zu erwartenden Störungen die Vögel aus den Nestern vertreiben, was den Tod der Jungvögel zur Folge habe. Fachlich korrekt wäre demnach eine Durchführung ab September, jedoch noch vor dem Wintereinzug der Fledermäuse, gewesen.

Dass das Thema bereits seit Sommer 2024 auf dem Tisch liegt, bestätigt das Landratsamt. Gebummelt habe man aber nicht, sondern seither kontinuierlich »an der erforderlichen Datenbasis zur Planung der Maßnahmen« gearbeitet. Das erste geologische Gutachten mit der Erkenntnis, dass große Felskörper auf die Kreisstraße stürzen könnten, habe Mitte Oktober 2024 nach einem Vor-Ort-Termin Ende Juli vorgelegen. »Weitere zeitintensive Gutachten waren darauf aufbauend erforderlich«, teilt Walter-Frasch mit.

Gesprengt wird nichts

Gemeinsam mit der Höheren Naturschutzbehörde – dem Regierungspräsidium also – habe man sich »nach einer schwierigen und komplexen Abwägung für die nun stattfindenden Maßnahmen aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses« entschieden. Die Genehmigung der Arbeiten sei an sehr strenge Auflagen gebunden. Dazu zählt neben Ausgleichsmaßnahmen eine kontinuierliche ökologische Baubegleitung, auch ein Geologe wird vor Ort sein.

Durch ein abgestuftes Vorgehen sollen die Beeinträchtigungen möglichst gering gehalten werden, verspricht das Amt und betont: Jetzt, im Frühjahr sollen nur die Arbeiten erledigt werden, die zur Sicherung der akut absturzgefährdeten Felsen zwingend notwendig sind. Zunächst darf nur der sogenannte »Nadelfels« niedergelegt werden. Parallel werden weitere Felsformationen, die aktuell als akut absturzgefährdet eingestuft werden, noch einmal überprüft. Nur Felsen, die die Verkehrssicherheit der Kreisstraße akut bedrohen, »dürfen sofort schonend beräumt werden«, schreibt Walter-Frasch.

»Schonend« heißt: Wo nur möglich, wird von Hand und ohne Maschineneinsatz gearbeitet. Beim Nadelfels sei das leider nicht möglich, teilt sie mit Blick auf die geologischen Gutachten mit. Hier ist die Unterstützung einer Seilwinde nötig, um den rund 500 Tonnen schweren und elf Meter hohen Stein sicher im Burghof der Ruine niederzulegen. Sprengungen, wie von den Naturschutzverbänden befürchtet, werde es aber nicht geben. Alle weiteren Felssicherungsmaßnahmen werden später erledigt. Im Herbst, außerhalb der Brutzeit und vor der Winterruhe der Fledermäuse, sollen weitere Felsen von Klettern überstiegen und begutachtet werden. Gegebenenfalls lose aufliegende und absturzbedrohte Felsen werden, wo möglich, von Hand entfernt.

Ein Steinschlagschutzzaun wäre aus Sicht der Naturschützer die bessere Option gewesen, »doch aufgrund unterlassener Fällungen im Herbst 2024 ist diese Option nun erschwert«, klagen sie. Ein solcher Zaun soll gebaut werden, versichert das Landratsamt. Die nötigen »Fällungen« – konkret muss eine Trasse entlang der Straße gerodet werden – sind für Ende 2025, Anfang 2026 geplant, außerhalb der Vegetationsperiode also. Aber: Zur Verkehrssicherung der Straße »wäre diese Maßnahme alleine nicht ausreichend und zudem nicht schnell umsetzbar gewesen«, relativiert das Landratsamt die Kritik der Verbände. Der Zaun könnte die Energie »der großvolumig absturzbedrohten Felskörper nachweislich nicht aufhalten«, sie teilweise zu entfernen sei also zwingend notwendig.

Busse auf dem Radweg

Im Gegensatz zu den Anwohnern hätten die Naturschutzverbände eine Sperrung mit Umleitung bis Ende August gerne gesehen. Aus ihrer Sicht sei sie »die deutlich verträglichere Alternative«. Bus- und Radverkehr könnten gemeinsam auf dem Lautertalradweg geführt werden. Diesen Plan hielt man vor vier Wochen auch im Landratsamt für realistisch, den Praxis-Test hat er allerdings nicht bestanden. Katja Walter-Frasch spricht von »erheblichen Auswirkungen auf den öffentlichen Nahverkehr, den Individualverkehr, den landwirtschaftlichen Verkehr sowie den Tourismus, konkret insbesondere für Anwohner, Pendler, Schüler, Land- und Gastwirte, Radfahrende und Erholungssuchende«. Eine Verlängerung bis September würde schlichtweg »unzumutbare Beeinträchtigungen« bedeuten. »Es liegen daher zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses vor, um die notwendigen akuten Sofortmaßnahmen zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit nun durchzuführen.«

Zu gefährlich und zu teuer

Der Rad- und Wirtschaftsweg, über den Busse umgeleitet werden, seien samt der dazugehörigen Brücken über die Lauter nicht darauf ausgelegt, das Gewicht der Linienbusse für einen längeren Zeitraum aufzunehmen. Der Weg ist nur etwa drei Meter breit, kurvig und stellenweise sehr schwer einsehbar. Im Frühjahr und Sommer ist er bei Radfahrern und Wanderern sehr beliebt. Dass damit erhebliches Konfliktpotenzial verbunden ist, ist eine Erkenntnis, zu der nun auch das Landratsamt gekommen ist.

Heißt: »Bei einer längerfristigen Sperrung müsste der ÖPNV auf die allgemeine Umleitungsstrecke zwischen Indelhausen und Hundersingen ausweichen.« Das würde riesige Umwege, Zeitverluste und Mehraufwand bedeuten: Um alle dazwischenliegenden Gemeinden anzubinden, wäre ein in zusätzliches Fahrzeug und ein Fahrer notwendig. »Dies würde zu Mehrkosten für den Landkreis im sechsstelligen Bereich führen«, heißt es in der Stellungnahme des Landratsamts. Unabhängig von den Kosten können dem Landkreis das Fahrzeug und der Fahrer derzeit nicht zur Verfügung gestellt werden. »Mehrere Gemeinden und die dort wohnenden Schülerinnen und Schüler wären vorübergehend vom ÖPNV abgeschnitten.« (GEA)