REUTLINGEN. Diese Ausstellung ist ein Glücksfall, weil sie den Blick auf das Leben verändert. Mit »Drecksarbeit - Die verborgene Welt unter unseren Füßen« ist es dem Naturkundemuseum Reutlingen gelungen, faszinierende Werke von zwei international bekannten Reutlinger Spezialisten auszustellen. Als »Eye of Science« haben sich Nicole Ottawa und Oliver Meckes einen Namen gemacht, die Rasterelektronenmikroskopie zur Kunstform erhoben. Von Freitag, 16. Mai, bis Sonntag, 13. Juli, zeigen sie winzige Organismen im Boden, die sonst mit dem bloßen Auge unsichtbar wären, ganz groß. Lauter Hingucker vom Allerfeinsten.
Unberührte Erde ist mit das Beste, was der Menschheit passieren kann. Putzig sieht das Bärtierchen der Art »Ramazzottius Kretschmanni« aus, das auf dem Plakat dem Betrachter entgegen krabbelt. Es lebt friedlich an toten Baumstämmen, frisst Algen sowie Moos und gehört zu einem in der Regel übersehenen Kosmos. »In einer Handvoll Boden leben mehr Organismen als Menschen auf unserem Planeten«, zitiert Museumsleiterin Dr. Barbara Karwatzki das Programmheft zur Ausstellung. Diese Lebewesen spielen die Hauptrolle für alles, was über der Erde wächst, verwandeln Abgestorbenes in wertvollen Humus. Die Voraussetzung: Der Boden muss lange Zeit vom Menschen unbeeinflusst sein - und wieso dem so ist, lässt sich im Naturkundemuseum wundervoll selbst entdecken.

Auf 80 großformatigen Fotos nimmt »Eye of Science« das Publikum mit in die Geheimnisse des Bodens. Alles beginnt mit dem Allerkleinsten, den Bakterien, es folgen Einzeller. Sichtbar gemacht vom Rasterelektronenmikroskop der Spezialisten. Weil das aber nur monochrome Bilder erstellen kann, haben die Reutlinger jede einzelne Darstellung eingefärbt - wo immer möglich nach dem natürlichen Vorbild. Das macht »Exe of Science« seit drei Jahrzehnten und es gibt kein namhaftes Wissenschaftsmagazin, das ihre Bilder noch nicht veröffentlichte. Entstanden sind für die Schau im Fachwerkbau des Naturkundemuseums Bildertafeln voller Schönheit und Ausdruckskraft. »Die Einzellerwelt ist erstaunlich komplex«, sagt Oliver Meckes vor einer Reihe seiner Kunstwerke, die grazile Formen zeigen.
»Die Natur hat in der Mikrowelt ungeheuer viel zu bieten«, erklärt der Fachmann, »unglaublich schöne Objekte sind etwa die Schalenamöben«. Manche haben Schuppen, andere Plättchen als Schutzhülle. So geht das von Bilderrahmen zu Bilderrahmen mit wachsendem Erstaunen. Wer hat schon mal Schleimpilze gesehen, die überhaupt nicht ekelhaft sind? Manchmal liegen die Objekte zum Anfassen direkt bei den Fotos. Zwischen zwei Ausstellungsräumen dürfen Besuche an Mikroskopen selbst auf Entdeckungsreise gehen. Wichtig zu wissen: Was hier zu sehen ist, »sind alles einheimische Arten - keine Exoten«. Dies dokumentiert auch ein Aquarium mit »Ausstich aus dem Wasenwald«, in dem die etwas größeren Bodenlebewesen sichtbar unterwegs sind. Dazu kommt ein pralles Rahmenprogramm.
Immer donnerstags um 17 Uhr (und auf Anfrage) gibt es Führungen. Am Sonntag, 1. Juni, winkt um 15 Uhr eine Kuratorenführung mit Nicole Ottawa und Oliver Meckes. Den ganzen Juni über locken diverse Sonderführungen zu Themen wie »Vom Abfall zum Humus - Netzwerke im Untergrund« oder »Leben im Erdgeschoss - Das Volk der Bodenbewohner«. Auf Kinder wartet immer freitags von 15 Uhr bis 16.30 etwas Tolles, beispielsweise unter dem Titel »Bärtierchen, Haarlinge & Co - Halloween im Boden«. Bestimmt sehenswert ist auch der Vortrag »Making of Drecksarbeit« mit Ottawa und Meckes am Donnerstag, 26. Juni, um 19 Uhr. Am Sonntag, 13. Juli, folgt eine weitere Führung mit den beiden Machern der Schau. Das komplette Programm lässt sich auf der Website des Museums herunterladen.
Bereits vor der Ausstellung ist das gleichnamige Buch »Drecksarbeit - Der Mikrokosmos unter unseren Füßen« im Dölling und Galitz Verlag erschienen. Die beeindruckenden Bilder lassen sich so auch zu Hause bequem mit fachlichen Erklärungen genießen. Im Gedächtnis wird Ausstellungsbesuchern oder Buchkäufern eine bittere Wahrheit bleiben: Während »Eye of Science« im gesunden Waldboden jede Menge Leben gefunden hat, war auf einem intensiv bewirtschafteten Acker so gut wie nichts zu holen - mausetot dieses Erdreich. (GEA)
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