REUTLINGEN-REICHENECK . Es war ein Großprojekt mit erhoffter Außenwirkung für die Gesamtstadt: das Reichenecker Nahwärmenetz. Sei dieses doch »ein wichtiger Baustein und Teil unserer Energiewendestrategie«, erklärte OB Thomas Keck bei einer Infoveranstaltung im Juli. Fast vier Jahre wurde daran gefeilt, intensiv darüber diskutiert, abgewogen, kalkuliert und sondiert. Ein Standort wurde gefunden, Fördertöpfe wurden angezapft, kurz: alles war vorbereitet. Doch eine hohe Hürde galt es trotzdem noch zu nehmen: 70 Prozent der Immobilien müssten bereits zum Start angeschlossen werden, damit sich der Betrieb des Nahwärmenetzes für die FairEnergie rechnet. Wie sich jetzt herausstellt, war diese Hürde zu hoch.
»Spätestens im Herbst schlägt die Stunde der Wahrheit«, schrieb der GEA nach der gut besuchten Veranstaltung in der Herzog-Ulrich-Halle, in der nochmals eifrig die Werbetrommel fürs Reutlinger Pilotprojekt - es sollte andere Bezirksgemeinden zur Nachahmung animieren - gerührt wurde. Diese Woche war es dann Zeit für eine Bilanz - und das Ergebnis ist ernüchternd. Weniger als 50 Hauseigentümer haben sich für eine Vertragsunterzeichnung entschieden, gebraucht hätte die FairEngerie etwa 200, um das Nahwärmenetz wirtschaftlich aufzubauen und betreiben zu können. Damit ist die Nahwärme also erst einmal vom Tisch.
»Für mich wäre es ein Traum gewesen«
"Die FairEnergie bedauert, dass das geplante Nahwärmenetz in Reicheneck vorerst nicht realisiert werden kann", verkündet der Energieversorger in einer Pressemitteilung recht nüchtern. Emotionaler wird Bezirksbürgermeister Ulrich Altmann, ein erklärter Anhänger dieser klimaneutralen Wärmeversorgung, mit der sich Reicheneck zum Ökodorf gewandelt hätte. »Für mich wäre es ein Traum gewesen«, sagt Altmann auf Nachfrage des GEA, "das wäre eine saubere Sache für den ganzen Ort, ein Vorzeigemodell". Er sei tief enttäuscht, dass es nicht zustande gekommen ist, "ich habe auch immer an die Generation nach uns gedacht". Dementsprechend hat sich der Schultes engagiert und viel Zeit investiert, um es zu verwirklichen.
Komplett überrascht hat ihn das Aus für die Nahwärme trotzdem nicht. »Das hat sich in den letzten Monaten abgezeichnet«, blickt er zurück. Obwohl viele Reichenecker grundsätzlich hinter dem Projekt gestanden seien und man in den zahlreichen Gesprächen auf Interesse gestoßen sei, haben sich die meisten final doch dagegen entschieden. Grund eins sieht Ulrich Altmann in der aktuellen unsicheren politischen Lage, in der die Menschen das Gefühl haben, sich auf die Entscheidungsträger nicht mehr verlassen zu können. Zudem fürchten einige die Abhängigkeit von nur einem Lieferanten, sei ihm gesagt worden.
»Das hat sich in den letzten Monaten abgezeichnet«
Grund zwei sind die Kosten, die auf die Hausbesitzer zukommen, wenn sie sich für die Nahwärme entscheiden. Neben einer Zuführung ins Haus muss auch noch in Umbauten in der Wohnung investiert werden, die Aufbau- und Betriebskosten werden unter den Abnehmern verteilt. Alles in allem komme man da schnell auf 20.000 Euro, weiß Altmann. Trotz einer Förderung von rund 50 Prozent eine hohe Summe in Zeiten, in denen die Wirtschaft alles andere als floriert. Auch Dominik Völker, Vertriebsleiter von FairEnergie, zeigt »Verständnis für diejenigen Hauseigentümer, die sich gerade in Zeiten wie diesen wegen der erheblichen privaten Investitionskosten gegen eine Teilnahme entschieden haben«.
FairEnergie und auch viele Experten halten das Nahwärme-Projekt in der Bezirksgemeinde nach wie vor für sinnvoll, denn der Ort besteht zumeist aus Ein- und Zweifamilienhäusern, die mit fossilen Einzelheizungen betrieben werden. Eine Umstellung wäre wirtschaftlich und ökologisch richtig gewesen. Wobei die Quote von 70 Prozent natürlich hoch angesiedelt ist, das ist auch der FairEnergie klar, doch die Kalkulation habe dies so ergeben.
Wie geht es also weiter? »Die FairEnergie schließt nicht aus, bei ausreichend Interesse zu einem späteren Zeitpunkt erneut eine Projekt-Realisierung ins Auge zu fassen«, heißt es in der Pressemitteilung. Ob dann allerdings noch Fördermittel vom Bund oder aus anderen Quellen zur Verfügung stehen, kann heute noch keiner versprechen. Ulrich Altmann ist skeptisch, ob sich die Lage schnell ändert, so lange die Politik keine klaren Signale sendet. »Es ist traurig, wir sind fertig mit den Planungen und könnten morgen anfangen.« (GEA)