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Nach Messerstecherei in Reutlinger Flüchtlingsheim: Eritreer vor Gericht

Vor dem Landgericht Tübingen muss sich ein Eritreer verantworten, der einen Mitbewohner im Reutlinger Wohnheim für Asylbewerber verletzt haben soll.

Das Landgericht Tübingen.
Das Landgericht Tübingen. Foto: Stephan Zenke
Das Landgericht Tübingen.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Es geschah am 1. April dieses Jahres, aber es war kein Aprilscherz - sondern blutiger Ernst. Im Streit soll ein junger Eritreer im Reutlinger Asylbewerberheim einen Mitbewohner mit einem Messer bedroht und verletzt haben. Für die Staatsanwaltschaft ist das versuchter Totschlag, für den sich der Mann seit Montag vor dem Tübinger Landgericht verantworten muss.

In Fuß- und Handfesseln wird der 28 Jahre alte Angeklagte aus der Untersuchungshaft im Sitzungssaal 107 vorgeführt. Zwei Justizbedienstete bewachen den Menschen, der seinen Kopf unter der grünen Kapuze seines Parkas teilweise verbirgt. 2016 ist der Mann nach Deutschland gekommen, stellte einen Asylantrag. Der deutschen Sprache ist er nicht mächtig, bedarf der Hilfe einer Übersetzerin. Während des ersten Prozesstages sagt er so gut wie nichts.

Wortgewaltige Anklageschrift

Umso wortgewaltiger ist die von Staatsanwältin Isabelle Mühlenbruch vorgetragene Anklageschrift. Demnach gab es in der Unterkunft zunächst einen Streit wegen nächtlicher Lärmbelästigung. Dem Zimmernachbarn aus Kenia war die aus dem Raum des Angeklagten tönende Musik erheblich zu laut, was er klar äußerte. Am darauffolgenden Vormittag trafen sich beide Kontrahenten in der Küche. Dort passierte außer einer sinngemäß aus dem Satz »Was hast du gesagt?« bestehenden Unmutsäußerung des jetzt auf der Anklagebank sitzenden Menschen zunächst wenig.

Das spätere Opfer verließ nach der Zubereitung seines Essens die Küche, ging in sein Zimmer. Hier wartete der offenbar unter Drogen stehende Eritreer auf ihn, soll dabei ein Messer in der Hand gehabt haben. »Er führte Stichbewegungen aus, um diesen zu töten«, beschreibt Staatsanwältin Mühlenbruch den Tatvorwurf. Der angegriffene Kenianer habe sich dann mit vollem Körpereinsatz verteidigt. Dabei erlitt er Verletzungen an beiden Händen.

Gerangel vor dem Zimmer

»Der wollte mich mit dem Messer anfassen«, sagt das Opfer im Zeugenstand aus. Dreimal sei auf ihn eingestochen worden. Es sei ihm gelungen, den Angreifer zu Boden zu werfen, wo der Eritreer laut Anklage nach einem Holzstück griff, und damit um sich schlug. Weshalb die Anklageschrift von zumindest versuchter gefährlicher Körperverletzung ausgeht. Trotz des Gerangels gelang es dem Kenianer, die Polizei mit seinem Smartphone zu rufen, die kurze Zeit später vor Ort war. Die Streifenwagenbesatzung verhaftete den Menschen mit dem Messer in der Hand und habe auch ihm, berichtet der Zeuge, kurzfristig beide Arme auf den Rücken gedreht. »Hallo, der wollte mich töten. Ich habe angerufen«, sagte er den Ordnungshütern.

Im Gerichtssaal

Richter: Armin Ernst (Vorsitz), Benjamin Meyer-Kuschmierz, Dr. Felix Schmidhäuser. Staatsanwältin: Isabelle Mühlenbruch. Verteidiger: Hans-Christoph Geprägs.

Die Dramatik der Ereignisse werden beim Abspielen des aufgezeichneten Notrufes bei der Polizei deutlich. Richter Armin Ernst bezeichnete dies als »durch Anhörung in Augenschein nehmen«. Zu hören sind die aufgeregte Stimme des Kenianers sowie Schreie. Wie genau sich alles abgespielt hat, wird aber ebenso wenig klar wie durch die beiden Zeugenaussagen des ersten Prozesstages. Ein Bewohner des Hauses öffnete den Polizisten zwar die Eingangstüre, hat aber ansonsten »nichts gesehen«. Ein weiterer Asylbewerber - wegen anderer Delikte aus der Haft vorgeführt - antwortet auf die Frage, ob er von der Tat etwas mitbekommen habe, mit einem »Nein«.

Ein Gutachter der Rechtsmedizin stellt fest, dass es sich bei den vom Opfer erlittenen Schäden um »oberflächliche Schnittverletzungen« gehandelt habe, die nicht lebensbedrohlich gewesen seien. Das Verfahren wird am Donnerstag, 30. Oktober, um 9 Uhr im Sitzungssaal 120 des Tübinger Landgerichts fortgesetzt. Dann möchte das Gericht Polizisten zum Tatverlauf anhören. (GEA)