REUTLINGEN-GÖNNINGEN. Was für ein Sommertag. Die Grillen zirpen und die Wiesen stehen in vollem Saft. Dazu passt die gute Laune von Johann Omasta (73), der mit seiner »Maico 175 Passat« gemächlich die Roßbergstraße hinauftuckert.
Foto: Hans-Jörg Conzelmann
Foto: Hans-Jörg Conzelmann
Die Straße ist so steil, dass er manchmal in den ersten Gang schalten muss. Wenn er in den zweiten schalten will, muss das schnell gehen, sonst verliert er wertvolles Drehmoment. Aber immerhin ist er schneller als die Radfahrer, die ächzend am Berg hängen. Beim Schützenhaus verlassen blaue Wölkchen das dünne Auspuffrohr - keine Frage, es ist ein Zweitakter. Wenn Johann damit fahren will, muss er den Sprit selbst mischen - auf 25 Liter Benzin kommt 1 Liter Öl. Das Mischungsverhältnis 1:25 kannte früher jeder Mofafahrer.
»Wenn ich in Rente gehe, restauriere ich sie«
Die Maico 175 P stammt aus jener Zeit. Sie ist Baujahr 1957, wird in diesem Jahr also 60 Jahre alt. Dabei wurde sie nur zehn Jahre lang genutzt und ging durch drei Hände. Der erste Besitzer war ein Maler, der zweite ein Maurer, der dritte ein Metallarbeiter, allesamt aus Hirschau. Von Pfäffingen, dem Sitz der Maico-Werke, hatte das Motorrad also gerade mal einen Katzensprung zurückgelegt. Danach stand die Maico fast ein halbes Jahrhundert im Keller, bevor sich Johann ihrer erbarmte. Der gelernte Kfz-Mechaniker aus Gönningen bewahrte das Fahrzeug vor dem Schrottplatz. Und versetzte sie mangels Zeit in den Dornröschenschlaf. Omasta arbeitete beim Autohaus Josef Schell in Tübingen und konnte seinen Chef gerade noch davon abhalten, das vergammelte Motorrad "zum Möck" zu fahren. Denn die Zeit der Motorräder war vorbei, das Auto hatte längst seinen Siegeszug angetreten. Der Motor drehte nicht mehr, die Sitzbank war durchgesessen - im Grunde war die Maico ein wertloser Eisenhaufen. "Was willst Du damit?", spottete sein Chef. »Wenn ich in Rente gehe, restauriere ich sie«, sagte Omasta. Alle lachten ihn aus, denn er war ja noch keine 30. Jahrzehnte später war es so weit: Johann Omasta ging in den wohlverdienten Ruhestand und erinnerte sich an die Maico im Keller - sie stand dort unverändert und war letztlich schuld, dass bei ihm keine Langeweile aufkam. Die Restaurierung mit dem Fachwissen von mehr als 40 Jahren als Kfz-Mechaniker konnte beginnen. Alles wurde sorgfältig wieder gangbar gemacht. Ersetzen musste Omasta den Kolben, die Zündspule, den Unterbrecherkontakt und die Batterie, die Reifen sowieso. Den Lack polierte er zwar, doch ließ er genügend Patina, um den Oldtimer-Charakter nicht zu zerstören. Die Sitzbank musste aufgepolstert, die Bremsen gangbar gemacht werden. Und dann, siehe da: Sie lief! Aber sie hatte keinen TÜV, und so musste sich Omasta mit Probefahrten auf dem Hof begnügen.Das änderte sich an seinem 70. Geburtstag. Heimlich hatten seine Frau Brigitte, seine Tochter Sabrina und sein Vetter Gunter Hild neue Kennzeichen besorgt, die Maschine beim TÜV vorgeführt und sie schließlich mit Straßenzulassung zu Omastas 70er-Feier geschmuggelt, ohne dass er etwas bemerkt hätte. Entsprechend groß war die Freude. Es gibt Bilder vom Jubilar, wie er freudestrahlend auf seiner Maico sitzt, umringt von der begeisterten Festgesellschaft.Der Sommer ist lau, eine leichte Brise weht über den Roßberg. An Tagen wie diesen genießt Omasta die Kraft von 9,5 PS. Auf der Ebene könnte er 84 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit fahren, wenn er wollte. Aber Oldtimer bleibt Oldtimer: Werkzeug hat er immer dabei, auch eine zweite Zündkerze, die er einsetzt, wenn die andere feucht geworden ist. "Versoffen", hieß das früher - ein Begriff, der dank neuer Einspritz-Technik immer mehr in Vergessenheit gerät. Dann muss Omasta treten - den Kickstarter, der ebenfalls selten geworden ist. (GEA)