REUTLINGEN-MITTELSTADT. Der Treffpunkt für das Abschiedsgespräch spricht für sich. Nach vier Jahrzehnten in der Kommunalpolitik bittet Mittelstadts ehemaliger Bezirksbürgermeister an einen kleinen runden Tisch in seinem ehemaligen Laden. Der Radio Haug ist sein halbes Leben gewesen, die andere Hälfte war das Rathaus. Über allem standen freilich seine Frau und die Familie. Mittlerweile klebt an der Türe des Fachgeschäftes das Schild »media@home Hoss«, und der neue Bezirksbürgermeister Joachim Dieterich ist längst offiziell im Amt. So sieht wohl ein geordnetes geschäftliches und politisches Erbe aus. Vollkommen entspannt blickt Haug zurück.
»15 Jahre Bezirksbürgermeister waren für mich voller kleiner Erfolge«, zieht der 1950 in Tübingen geborene und in Schlaitdorf aufgewachsene Haug eine harmonische Bilanz, die sich überraschend anhört. Denn immer wieder hat er deutlich gemacht, dass ihn die Abhängigkeit als Teilort des großen Reutlingen kratzte. Wie andere Teilorte auch, haben sich die Mittelstädter viel gewünscht, aber oft nur wenig bekommen. Eine unabhängige Gemeinde in einer Verwaltungsgemeinschaft wäre sein Favorit gewesen, »wir hätten uns besser entwickeln können«. Als Haugs kommunalpolitische Laufbahn beginnt, sind solcherlei Gedanken weit weg.
»Ab 20 hatte ich immer irgendein Ehrenamt.«
»Ab 20 hatte ich immer irgendein Ehrenamt«, erinnert sich der seit 48 Jahren verheiratete Vater einer Tochter und eines Sohnes an seine Jugend. Haug diente bei dem Schnellboot-Geschwader der Bundesmarine in Flensburg, wird an Bord seines Bootes Vertrauensmann der Mannschaft. »Das war die erste gewählte Aufgabe für andere Menschen«, erzählt er lächelnd. Nach der Heirat 1976 und dem damit verbundenen Zuzug von Schlaitdorf nach Mittelstadt, geht es nahtlos weiter im Ehrenamt: »Da war ich 12 Jahre lang Elternvertreter bei meiner Tochter in der Grundschule und im Gymnasium«. In die Lokalpolitik kommt er 1984, weil ihn der frühere Bürgermeister Konrad Steinmaier für den Bezirksgemeinderat vorschlägt.
»Die erste Entscheidung, an der ich mitwirken durfte, war 1985 die Wahl zwischen Aussegnungshalle oder einem zweiten Kindergarten«, erinnert sich der Großvater von sechs Enkeln. Haug stimmt für die Aussegnungshalle, weil es damals keinen Platz für einen würdevollen Abschied von Verstorbenen in Mittelstadt gab. Der Kindergarten in der Mönchstraße kommt dann erst 1990. In seine Ära als Bezirksbürgermeister ab 2009 fallen zahlreiche Verbesserungen für den Ort, die bis heute Bestand haben.
Die neue Turnhalle im Jahr 2000 macht Kindern und Jugendlichen täglich Freude. Die Schuppenanlage ist sehr begehrt und der mitgenehmigte Stall für die Neckarschnucken ein Glücksfall. Das Lamm-Areal hat die Ortsmitte inklusive Arztpraxis bereichert, »da haben wir fünf Jahre dafür gebraucht«. Erwähnenswert ebenfalls das Kinderhaus Grafenberger Straße. Ganz besondern segensreich sei 2009 ein neuer Hochwasserschutz für den Wieslenbach gewesen. »Der hat knapp zehn Millionen Euro gekostet, war aber wichtig. Früher hat ein Starkregen gereicht, und die Feuerwehr musste ausrücken«, betont er. So klein sind die Erfolge von Haug also nicht, wobei sich sein Verhältnis zum großen Reutlingen im Laufe der Jahrzehnte gewandelt habe.
»Die 40 Jahre waren eine spannende Zeit«
»Irgendwann sind wir aus der Phase des Forderns in die des Verstehens und Verständnisses gekommen. Damit kommt man weiter«, sagt Haug mit einer großen Portion Altersweisheit. Mit dem Altwerden an sich habe er keinerlei Probleme. Als Neurentner werde er gelegentlich mit guten Ratschlägen bedacht, wie er seine Zeit verbringen könne. Dabei sei ihm überhaupt nicht langweilig. Er lese gerne, koche gerne, genieße die Zeit mit seiner Frau und natürlich den Enkeln. »Die 40 Jahre waren eine spannende Zeit. Ermöglicht wurde das durch meine Frau, denn ich hatte immer auch den Laden«, meint er zusammenfassend. Umso mehr freue ihn die reibungslose Geschäftsübergabe. Sein ehemaliger Mitarbeiter und neuer Chef hört das alles hinter der Ladentheke mit, und freut sich sichtlich dabei. (GEA)