REUTLINGEN. Was hat ein Metallstab zwischen Salatblättern, Ästen und Mandarinenschalen zu suchen? Im Container aus einem durchschnittlichen Reutlinger Biomüllwagen finden sich auch Glas, Kunststoffdeckel und Plastiktüten. Doch auch Windeln und Zigarettenkippen gehören da nicht rein. Durch die neue Bioabfallverordnung werden Anforderungen an die Qualität von Biomüll noch strenger. Deshalb klären die Technischen Betriebsdienste Reutlingen (TBR), die in der Stadt für die Müllentsorgung zuständig sind, schon jetzt auf. Tritt das Gesetz am 1. Mai 2025 in Kraft, kosten Verstöße die Verbraucher dann Geld - und Nerven.
Warum ist Biomüll so wertvoll?
Biomüll ist ein Rohstoff. Alle organischen Abfälle, also Speisereste, Küchenabfälle und Gartenschnitt, die wir über Biotonnen sammeln, werden zu wichtigen Nährstoffen für die Landwirtschaft. Entweder gelangen sie durchs Kompostieren direkt aufs Feld. Oder werden durch Vergärung zu Biogas. So ersetzt Bioabfall Kunstdünger und fossile Energieträger.
Wie steht es um diesen Rohstoff in Reutlingen?
Im Reutlinger Biomüll finden sich zu viele »Fremdstoffe«. Die Novellierung der Bioabfallverordnung verschärft nun die Grenzwerte. Die Stadt Reutlingen möchte deshalb den Anteil nichtorganischer Stoffe von aktuell im Schnitt über 20 auf 1 Prozent senken.
Was richten nichtorganische Stoffe im Biomüll an?
Fremdstoffe in Bioabfällen, auch sogenannte »kompostierbare« Plastiktüten, lassen sich nicht vollständig biologisch abbauen. »Ein gewisser Abbau von Kunststoffen, Metallen oder belastetem, zum Beispiel lackiertem Holz ist zwar möglich«, erklärt Dirk Kurzschenkel, der Leiter der TBR, »aber wir haben festgestellt, dass sich die Störstoffe zum Teil bis zum Ende durchziehen.« Bleibt etwa Mikroplastik im Kompost zurück, gelangt dies über Böden und Meere in die Nahrungskette. Kurzschenkel glaubt, die Bürger durch Informationen überzeugen zu können, beim Befüllen ihrer Biomülltonnen künftig gründlicher zu sein: »Schließlich möchte niemand, dass sein Abfall im Fisch oder Gemüse landet.« Vor allem Kunststofftüten und -folien verstopfen bei der Vergärung zu Biogas zudem die Anlagen. Deren Betreiber müssen kontaminierten Bioabfall bislang nachträglich sortieren. Das ist arbeits- und kostenintensiv. Auch stark belastete Ladungen zu verbrennen ist unnötig teuer, da Bioabfälle meist nass sind.

Was wird kommendes Jahr anders?
Ab Mai 2025 werden Biomüllautos mit hohem Fremdstoffanteil an den Kompostier- und Vergärungsanlagen abgewiesen. Sie müssen dann in spezielle Sortieranlagen fahren. Auch dafür sind die Kosten Kurzschenkel zufolge »extrem hoch«. Die Betreiber können dies dem Anlieferer in Rechnung stellen. Der schlägt es auf die Abfallgebühren drauf. Somit müssten für ein paar »schwarze Schafe« alle Haushalte aufkommen. »Wir wollen nicht als Oberkontrolleure auftreten, aber jedes abgewiesene Fahrzeug kostet den Gebührenzahler rund 5.000 Euro«, erklärt der TBR-Chef.
Wie soll das verhindert werden?
Der städtische Entsorgungsbetrieb muss künftig »für die saubere Qualität ihrer Endprodukte bürgen«, sagt Kurzschenkel. Deshalb ist es wichtig, dass die Menschen begreifen, weshalb jetzt sie gefragt sind. Die Aufforderung an alle Bürger lautet: »Plastikfreier Bioabfall! - Machen Sie mit.«
Wie kann man das erreichen?
Durch Aufklären und Üben. Medien, Broschüren und Poster an Schwarzen Brettern und in Abfallräumen von Mehrfamilienhäusern informieren darüber was in die braunen Tonnen gehört und was nicht. Via QR-Code lassen sich die Infos in insgesamt 120 Sprachen übersetzen, erklärt Sabine Külschbach vom Pressebüro der Stadt. So hofft sie, auch Menschen zu erreichen, die bislang die Biotonne aus Unwissen etwa durch mangelnde Deutschkenntnisse falsch befüllen.
Wann startet die Info-Kampagne?
Noch vor Weihnachten.
Was folgt danach?
Von Januar bis April läuft die Probephase. Zunächst wird kontrolliert: TBR-Mitarbeiter schauen vor der Leerung in jede Biotonne rein. Entgeht ihnen etwas Nichtorganisches, erkennen dies Spezialkameras am und im Müllfahrzeug. Zu jeder Biotonne gibt es dann eine Rückmeldung. Ein grüner Anhänger daran bedeutet: Alles richtig gemacht, weiter so. Ein gelber Anhänger heißt: Leider waren falsche Stoffe drin. Die Tonne wurde trotzdem geleert, aber beim nächsten Mal geht das nicht mehr.
Wann schaltet die Biomüll-Ampel auf Rot?
Ab April kommen hell- und dunkelrote Abzeichen hinzu. Hellrot bedeutet: Die Tonne war falsch befüllt, wurde aber trotzdem geleert. Doch das ist eine Ordnungswidrigkeit und die kostet nun Geld. Der Bußgeldbescheid mit Foto-Beweis folgt. Ein dunkelrotes Abzeichen heißt: In der Tonne waren schon auf den ersten Blick Dinge drin, die nicht reingehören, deshalb wurde sie erst gar nicht geleert.
Was tun, wenn die Biotonne nicht geleert wurde?
Ab Mai wird das teuer: 60 Euro für kleine Tonnen und 80 Euro für große kostet es, wenn eine Sonderabfuhr beantragt werden muss. Stattdessen kann man den Inhalt der beanstandeten Biotonne auf eine Folie auskippen und das, was nicht reingehört, selbst aussortieren. Auch wenn Gestank und Maden an den Nerven zehren, die Tonne wird dann am nächsten Termin wieder geleert.

Wie funktionieren die Detektoren?
Die TBR haben in ihrer Fahrzeugflotte vier 26-Tonner mit 19-Kubik-Aufbau für zehn Gewichtstonnen Biomüll, die jeweils den Inhalt von 800 bis 900 Müllbehältern aufnehmen können, erklärt TBR-Vize Matthias Kuster. Einer der Lkw wurde nun für 50.000 Euro mit einem kompletten Kamera- und Lichtsystem zur Feststellung von Fehlbefüllungen ausgestattet. Die anderen verfügen entweder über zwei Spezialkameras innen oder außen. Das mittels sogenannter künstlicher Intelligenz (KI) »selbstlernende System« wird seit sechs Monaten trainiert: »In der Kürbiszeit hat sich gezeigt, dass die Kameras bereits das organische Gemüse von einem rot-orangenen Spielball unterscheiden lernten.« (GEA)
