REUTLINGEN-OHMENHAUSEN. Um 8 Uhr startet die Schicht für Eberhard Hohloch. Eigentlich. Die erste Tour fürs Bürgermobil, das er an diesem Mittwoch fährt, ist erst um 9.30 Uhr, es wäre also noch viel Zeit. Wenn nicht ausgerechnet heute gefrierender Regen Straßen, Gehwege und Autos mit einer fiesen Eisschicht überzogen hätte. Also beginnt er kurz nach acht, das »BüMo« freizumachen, die Lage zu inspizieren. »Die Straßen sehen gut aus«, stellt er gelassen fest. Kleinere Anliegerstraßen nicht wirklich, Gehwege schon gar nicht. Aber für Eberhard Hohloch steht fest: »Ich fahre.«
Hilda, sein erster Fahrgast, muss also nicht warten. Man kennt sich, man duzt sich. Eberhard Hohloch holt sie vom Reihenhaus in der Brühlstraße ab, untergehakt geht’s vorsichtig ans Auto: ein schon mollig warmer, geräumiger, nagelneuer Citroën Berlingo. »Der Einstieg ist ein bissle hoch, ich habe auch einen Tritt«, sagt Hohloch. Aber Hilda verzichtet, sie fährt ja nicht zum ersten Mal mit dem »BüMo«. Heute ist ein Besuch beim Hausarzt fällig. Und immer wieder montags nutzt Hilda Jahraus mit einer Freundin das Angebot, um zur Seniorengymnastik ins evangelische Gemeindezentrum zu kommen.
Das ist in der Mahdachstraße, weit weg vom Zuhause der Ohmenhäuserin. Auch die Hausarztpraxis ist ein ordentliches Stück entfernt. Die Bushaltestelle wäre für die Seniorin zwar einigermaßen gut erreichbar, die innerörtliche Anbindung ist auch nicht schlecht. Aber, sagt sie: »Ich bin unsicher.« 80 Jahre ist sie alt, den Führerschein hat sie abgegeben, der Mann lebt nicht mehr. Das BüMo macht es ihr nicht nur möglich, bequem und pünktlich zum Arzt zu kommen, sondern auch die gesellschaftlichen Angebote im Ort zu nutzen. »Des Busle«, sagt Hilda Jahraus und strahlt, »des isch einfach Gold wert.«
Förderverein will mehr anbieten
Das »Busle« fährt immer montags und mittwochs von 8 bis 12 und 14 bis 17 Uhr, montags und mittwochs von 10 bis 12 und 15 bis 17 Uhr ist auch die Anmelde-Hotline 07121 1597000 geschaltet. Hilde Jahraus findet es schade, dass dienstags quasi Ruhetag ist, denn da ist Spielenachmittag in der Alten Dorfschule im Rotdornweg. »Aber gell, da kommt no mehr?«, fragt sie »ihren« Chauffeur. Der nickt. »Wir sind noch nicht am Ende.« Der Förderverein, der das Projekt trägt, will mehr anbieten. Geht aber nicht. Denn, so Hohloch: »Die Mannschaft ist überschaubar, wir brauchen noch Freiwillige. Ich würde mich freuen, wenn mehr dazustoßen.«
Bisher hat Hilda Jahraus das Bürgermobil nur für Fahrten in Ohmenhausen genutzt. Ob Betzingen auch geht, will sie wissen. Aber klar. Und das Ringelbachgebiet mit seinen Supermärkten. Sogar Gomaringen und Mähringen. »I werd des öfter nutzen«, ist sie überzeugt. Zückt den Geldbeutel, füttert das »Kässle«, einen VW-Bus aus Porzellan. Das Angebot ist kostenlos, über Spenden freut sich der Förderverein. Freuen darf er sich fast nach jeder Fahrt.
Arzttermin und Bonus-Markt
Auftrag Nummer Eins ist erledigt, Eberhard Hohloch hat seinen Fahrgast sicher wieder nach Hause gebracht. Er schaut auf seinen Zettel. »Wir holen jetzt Frau Geiger.« Wieder steht ein Arzttermin an, diesmal in der zweiten Hausarztpraxis im Ort, danach Einkauf im Bonus-Markt. Der Ohmenhäuser steuert Richtung Ortsmitte, rauf auf den Hasenberg, durch kleine Anliegersträßchen und ist schon am Ziel, dem Ligusterweg. Navi braucht er nicht, er kennt sich aus. Und erklärt, warum das BüMo gerade in Ohmenhausen mit seinen auseinandergezogenen Wohngebieten und den vielen Steigungen so wertvoll ist: »Die Topografie hier ist für Leute, die nicht wirklich mobil sind, schwierig.«
Zu denen gehört auch Waltraud Geiger, die Eberhard Hohloch untergehakt zum Auto führt. Sie ist zwar noch einigermaßen zu Fuß, hat aber Probleme mit den Augen. Deshalb kann sie auch nicht mehr mit dem Bus fahren. »Ich bin froh, dass es das Mobil gibt. Da wird man abgeholt und wieder gebracht, das ist eine Riesenerleichterung«, sagt die 83-Jährige, lässt sich beim Einsteigen helfen, sinkt in den Sitz. »Arzt und Bonus?«, fragt Hohloch nach hinten. »Machet Sie des? Bei dem Wetter?« Beruhigende Antwort: »Wir machen alles.«
Dass sich die Seniorin »bei dem Wetter« erst gar nicht aus dem Haus getraut hätte, ist klar. Eberhard Hohloch fährt sie nicht nur in die Praxis in der Gomaringer Straße, sondern bringt sie auch rein. Waltraud Geiger hat keinen Termin, muss Wartezeit in Kauf nehmen. Man verspricht dem BüMo-Fahrer, anzurufen, wenn sie fertig ist. Eine halbe Stunde etwa, heißt es.
Kalendertool mit Zugriff für alle
Zeit für eine Kaffeepause. Eberhard Hohloch ist wie die anderen Ehrenamtlichen aus dem Fahrer- und Koordinatorenteam Ruheständler. Er erklärt, wie die Logistik funktioniert. Vom Kalendertool, auf das alle Zugriff haben. Der Telefonanlage, die per App aktiviert wird. »Das funktioniert alles picobello.« Was an diesem Tag nicht funktioniert: Die halbe Stunde ist längst rum, niemand ruft an. Der dritte Termin um 12 – eine Fahrt nach Reutlingen zu einem Facharzt – rückt näher und näher. Also direkt zur Praxis. Warten. Für den Bonus-Markt reicht es nicht mehr, so viel ist klar. Eberhard Hohloch ruft die nächsten Kunden, ein Ehepaar, an, um sie über die Verspätung zu informieren. Niemand geht dran.
Endlich erscheint die alte Dame. Ihr BüMo-Chauffeur rennt für sie noch in die Apotheke, um ein Rezept einzulösen. Das Medikament ist nicht vorrätig. »Die Sachen brauch i«, sagt Waltraud Geiger. Sie soll sie auch kriegen. »Der Kollege, der heute Nachmittag fährt, hat nur eine Buchung, der soll es draufpacken und Sie auch zum Bonus fahren«, verspricht der Ohmenhäuser. Ein erleichtertes »au, prima« kommt zurück. Zackig geht's in den Ligusterweg. Trotz der ersichtlichen Eile lässt es sich Waltraud Geiger nicht nehmen, etwas ins Kässle zu stecken.
Schon etwas nervös
Quer durch den Ort steuert Eberhard Hohloch das BüMo zum dritten Termin. Karin und Herbert Link, schon etwas nervös, stehen vor der Haustüre, deshalb ging der Anruf ins Leere. Es ist deutlich nach 12 Uhr, aber Hohloch bleibt ruhig. Herbert Link hat Mühe mit dem Laufen, er hilft ihm ins Auto. Busfahren ist für den Senior keine Alternative. Die Söhne sind berufstätig, haben nicht immer Zeit. Karin Link kommt aus Eningen, dort gibt es schon länger einen Bürgerbus. »Wir haben viel darüber gesprochen, dass das auch hier so geschickt wäre – und schon klappt’s.« Das »schon«, relativiert Eberhard Hohloch, hat in Ohmenhausen fast fünf Jahre gedauert. »Wir mussten erst Geld sammeln.« Das hat der Förderverein mit vielen Benefiz-Aktionen und Spenden geschafft – so gut, dass es sogar für einen Neuwagen reichte. »Ich finde das super, das werden wir öfter nützen. Das muss man ja auch unterstützen«, nickt Karin Link anerkennend.
Angeregt unterhält sie sich mit Eberhard Hohloch, der die Söhne kennt. Und eine Punktlandung hinlegt: Zwei Minuten vor dem Arzttermin parkt er vor der Praxis. Diesmal wandert ein Schein ins Kässle, dankbar verabschiedet sich das Ehepaar. Hohlochs Schicht als Fahrer ist zu Ende, am Nachmittag übernimmt er den Telefondienst. »So ein Feedback ist mega. Man merkt, dass sich die Leute freuen, dass das BüMo endlich da ist.« Eine Erfahrung, die auch sein Fahrer-Kollege Reinhard Aschenbrenner immer wieder macht. »Die Leute sind glücklich.« Bei den Touren werde viel erzählt, die Stimmung sei bestens. »Das macht unheimlich Spaß.« (GEA)