TÜBINGEN. Beinahe tödlich endete ein Streit vor der Reutlinger Zelle für einen 37-jährigen US-Amerikaner, der mit einem 18-Jährigen aneinander geraten war. Am zweiten Verhandlungstag vor dem Tübinger Landgericht stand die Aussage des Geschädigten im Mittelpunkt, vor allem die Frage, wie es zu dem Streit gekommen war, aber auch, was er vor dem Jugendzentrum machte.
Ihm ging es zum Zeitpunkt der Tat nicht gut, berichtete der psychologische Forscher, der damals in Reutlingen lebte und arbeitet - hatte er doch mit persönlichen und rechtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Zuhause habe er sich nicht wohl gefühlt, darum beschloss er an diesem Morgen, ein wenig nach draußen zu gehen, um runterzukommen. An einer Tankstelle deckte er sich mit ein paar Dosen Bier ein und ging dann Richtung Zelle, wo er sich an der Echaz niederlassen wollte. Im Pavillon im Außenbereich des Jugendzentrums traf er den Angeklagten, der auf einer Bank saß und mit einem Messer spielte.
Den Angeklagten habe er »als einen jungen Menschen gesehen, der sehr unter Stress stand.« Er habe das Gespräch mit ihm gesucht und ihn befragt. Aus dem Gespräch wurde schnell eine Debatte, die immer hitziger wurde. Thema: Die rechtsextreme Gesinnung des Angeklagten, die er hinterfragen wollte, erklärte das Opfer. Ob er ihn denn hasse, nur weil er Ausländer sei, habe er ihn beispielsweise gefragt. Was der Angeklagte bejahte. Da er ihn aus einer früheren, ein Jahr zurückliegenden Begegnung kannte, war er auch nicht wirklich ihn Sorge, dass ihm etwas passieren könnte. Er sei durchaus provokant aufgetreten, räumte der Geschädigte ein, habe unter anderem gesagt, dass sein Urgroßvater im Krieg Nazis getötet habe.
Das Blut spritzte wie aus einem Gartenschlauch
Ziemlich schnell entstand ein Streit. Der Angeklagte sei mit dem Springmesser auf ihn zugekommen. Wie genau es allerdings zum Angriff kam, weiß der 37-Jährigen nicht mehr zu sagen. Dass er selbst die Hände bedrohlich gehoben haben soll, wie es der Angeklagte geschildert hat, daran kann er sich ebenfalls nicht erinnern. Doch, dass er schwer verletzt war, merkte er schnell. »Das Messer ging rein und wieder aus und dann hat das Blut gespritzt, wie aus einem Gartenschlauch.« Der Angeklagte sei einfach weggegangen und habe dabei nochmals den Hitler-Gruß gemacht. »Er schien stolz darauf zu sein.« Der Verletzte rief seine damalige Freundin an, die ihm sagte, er solle den Krankenwagen rufen. Der Geschädigte legte sich auf Boden und wurde dort glücklicherweise von jemandem gefunden, der ihm half, den Notruf zu betätigen.
Drei Tage musste er auf der Intensivstation verbringen, drei weitere in der kardiologischen Abteilung. Heute fühle er sich körperlich ganz gut, sagte er vor Gericht aus: »Ich bin dankbar, dass ich noch lebe«. Doch er werde weiterhin psychologisch betreut und müsse Blutverdünner nehmen - wegen einer Embolie in der Lunge, von der unklar ist, ob sie mit der Attacke zusammenhängt.
Rund zwei Promille Alkohol hatte das Opfer zur Tatzeit im Blut, diese hohe Konzentration lag daran, dass er bereits am Vorabend reichlich gebechert hatte. Er sei trockener Alkoholiker, sagte seine Ex-Freundin als Zeugin aus, was der Geschädigte bestätigte. Immer wieder hatte er mit Rückfällen zu kämpfen, auch im Juni 2023, als es zur Tat gekommen war. Zudem berichtete er von Visionen, in denen er die Tat bereits Monate zuvor vorhergesehen habe.
Im Gerichtssaal
Vorsitzender Richter: Dirk Hornikel; Beisitzende Richter: Denis Fondy und Bianca Dahm; Schöffen: Susanne Schettler und Thomas Holbein; Oberstaatsanwältin: Rotraud Hölscher; Rechtsanwältin der Nebenklage: Sandra Ebert; Verteidigerin: Katrin Lingel.
Der Angeklagte nutzte die Gelegenheit, um sich zu entschuldigen: »Was passiert ist, tut mir leid.« Augenzeugen der Auseinandersetzung traten vor Gericht keine auf, nur ein Zeuge, der vom Hörensagen mitbekommen haben will, was geschehen ist. Er sei zufällig nach der Tat am Tatort vorbeigekommen, wer die möglichen Zeugen seien, die ihm davon erzählt haben, daran könne er sich nicht mehr erinnern. In der Aussage vor der Polizei hatte er allerdings auch Angst vor der rechtsradikalen Szene angeführt. Der Prozess wird am Donnerstag, 22. Februar, um 9 Uhr fortgesetzt. (GEA)