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Aktuell Verkehr

Machen Blitzer den Verkehr in der Region sicherer?

Blitzer sind bei vielen Autofahrern als Wegelagerei verschrien: Die Städte und Gemeinden machten sich mit den Geschwindigkeitskontrollen nur die Taschen voll. Andere Verkehrsteilnehmer argumentieren, die Anlagen helfen dabei, Unfälle auf den Straßen in der Region zu vermeiden. Wer hat recht? Machen Blitzer den Verkehr wirklich sicherer?

Radarkontrolle
Ein Auto fährt auf einer Zufahrtsstraße zur Innenstadt von Stuttgart an einem Blitzer zur Geschwindigkeitskontrolle vorbei. Foto: Bernd Weißbrod/DPA
Ein Auto fährt auf einer Zufahrtsstraße zur Innenstadt von Stuttgart an einem Blitzer zur Geschwindigkeitskontrolle vorbei.
Foto: Bernd Weißbrod/DPA

REUTLINGEN. Es gibt sie als moderne Säulen, graue Kästen oder getarnt als Anhänger: Blitzer. Verantwortlich für die Geräte zur Geschwindigkeitsüberwachung sind oft die Kommunen, an deren Straßen sie stehen. Für Gemeinden und Städte kann es recht ergiebig sein, wenn Autofahrer den Fuß zu fest aufs Gaspedal drücken. Mehr als drei Millionen Euro hat die Stadt Reutlingen im vergangenen Jahr durch Geschwindigkeitskontrollen eingenommen. Den Einnahmen stehen Ausgaben in Höhe von circa 220.000 Euro im Jahr gegenüber.

Angesichts solcher Zahlen erhebt mancher Autofahrer schnell den Vorwurf der Geldmacherei. Andere behaupten, die Geräte helfen dabei, das Unfallrisiko zu verringern. Dr. Karl-Friedrich Voss weiß, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Der Verkehrspsychologe berät Menschen bei Führerscheinproblemen, Punkteabbau und bietet in seinen Praxen Verkehrstherapien an. Zudem ist Voss der Vorsitzende des Bundesverbandes Niedergelassener Verkehrspsychologen, forscht im Bereich der Verkehrssicherheit und hat sich intensiv mit der Wirksamkeit von Geschwindigkeitsüberwachung auseinandergesetzt.

Blitzer allein machen den Verkehr nicht sicherer

Sein Fazit: So, wie die Geschwindigkeitskontrollen derzeit organisiert werden, tragen sie nicht nennenswert zur Verkehrssicherheit bei. »Einfach nur Bitzer aufzustellen, bringt in den meisten Fällen sehr wenig«, sagt der Verkehrsforscher. An klaren Gefahrenstellen könne eine konstante Geschwindigkeitsüberwachung zwar helfen. Grundsätzlich gelte aber: »Die Einsicht zum langsameren Fahren hält sich nur im Bereich des Geräts.« Das gelte auch für bewegliche Anlagen: »Es ist nämlich gar nicht so leicht, einen mobilen Blitzer auf- und einzustellen«, erklärt Voss. Das gehe nicht an jeder beliebigen Stelle. Mit der Folge, dass auch die wenigen möglichen Positionen schnell von den potenziellen Rasern identifiziert sind. »So bleibt bei den Fahrern nur hängen, dass da mal einer stand und wieder da stehen könnte. Das ist nicht nachhaltig.« Statt für Sicherheit zu sorgen, kassiere die Kommune den Geschwindigkeitssünder ab.

Ziel müsse es sein, Verkehrsteilnehmer dauerhaft zu besseren Fahrern machen. Das bedeute, einen Lerneffekt zu erzielen. Das Schlimmste, was Behörden daher machen können, sei eine getarnte Geschwindigkeitskontrolle. »Wenn drei Wochen später ein Bußgeldbescheid eintrudelt, ist der Lerneffekt gleich null«, erklärt der Psychologe. Am effektivsten - und gleichzeitig auch die kosten- und personalintensivste Variante - sei die persönliche Kontrolle, also das Angehaltenwerden durch die Polizei.

Kombination mehrerer Maßnahmen entscheidend

Für nachhaltige Verkehrssicherheit müssen Blitzer und Geschwindigkeitskontrollen im Allgemeinen daher in ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept eingebettet werden. Hilfreich sei vor allem die Kombination mehrerer Maßnahmen, die einen physischen Einfluss auf die Verkehrsführung haben. »Wenn man an einem Ortseingang eine Verkehrsinsel baut, um die man herumfahren muss und als Stadt nach 50 oder 100 Metern einen Blitzer aufstellt, dann ist das sinnvoll für die Sicherheit«, weiß Voss.

Ebenso führen engere Straßen dazu, dass langsamer gefahren werde - wie es jeder schonmal selbst in einer schmalen Altstadtgasse erlebt habe. »Eine Versetzung der Straßenspur - beispielsweise durch Blumenkübel - hilft ebenfalls, dass Autofahrer langsamer und sicherer fahren«, erklärt Voss. Vor einigen Jahrzehnten wurde das noch gemacht. Stattdessen weise man heute eine 30er-Zone aus, weil es billiger sei und die Akzeptanz in der Bevölkerung fördere. Und wie bei Blitzern gilt: »Wenn man aber einfach nur ein Schild aufstellt, dann verbessert das die Verkehrssicherheit nicht.«

Vorbild Dänemark

Bezüglich funktionierender Konzepte »können wir viel von unseren europäischen Nachbarn lernen«, stellt Voss fest. In Dänemark sei beispielsweise jeder Blitzer mit einem Schild angekündigt, was zwar zu weniger Geschwindigkeitsverstößen und damit zu weniger Bußgeldeinnahmen führe - aber auch zu weniger Unfällen. Getarnte Anlangen hingegen seien ein typisch deutsches Phänomen. »Die Mentalität, die schwarzen Schafe - also die Raser - einzufangen, bringt für die Verkehrssicherheit gar nichts«, so der Verkehrspsychologe. Grundsätzlich zeigen die Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes nämlich: Fahrer aus den Altersgruppen zwischen Mitte 30 und 60 werden zwar am häufigsten geblitzt, haben aber das geringste Unfallrisiko. Junge Fahranfänger allerdings, die signifikant mehr Unfälle wegen überhöhter Geschwindigkeit bauen, werden viel weniger geblitzt. »Die sind eher nachts und am Wochenende unterwegs - also dann, wenn ohnehin weniger Kontrollen stattfinden«, erklärt Voss. Mit Blick auf das Unfallrisiko treffen die bisherigen Kontrollkonzepte daher die Falschen.

Doch Sicherheitskonzepte und zielgerichtete Kontrollen allein reichten nicht aus, um Unfälle langfristig zu verringern. Voss erkenne bei seinen Klienten auch andere, psychologische Defizite: »Das Wahrnehmen von Schildern hat eine emotionale Qualität, die positiv oder negativ sein kann. Geschwindigkeitsbegrenzungen übersehen viele Menschen leicht. Eine Geschwindigkeitsaufhebung hingegen niemand.« Deshalb versucht der Psychologe, seinen Klienten einen Trick beizubringen, die Suche nach Schildern wie die Suche nach Ostereiern zu bewerten: »Freuen Sie sich, wenn Sie ein Schild gefunden haben.« Durch die gesteigerte Aufmerksamkeit könne Geld gespart und die Sicherheit für sich und andere erhöht werden. Grundsätzlich helfe nicht nur vorausschauendes Fahren, sondern vor allem auch vorausdenkendes Fahren. »Dann hat man ein paar Sekunden Vorsprung und kann entsprechend reagieren.«

Bußgeldeinnahmen tragen den Haushalt nicht

Woran hapert es also auf deutschen Straßen? Sperren sich die Behörden gegen eine Verbesserung der Verkehrssicherheit? Nicht unbedingt. Das Amt für öffentliche Ordnung der Stadt Reutlingen versichert, die Geschwindigkeitskontrollen nicht zur Aufbesserung der Stadtkasse zu nutzen: »Ziel unserer Arbeit ist die Steigerung der Verkehrssicherheit. Für alle Buß- und Verwarngelder - nicht nur durch Blitzgeräte verursacht - werden bei der Stadt Reutlingen jährlich insgesamt rund 4,5 Millionen Euro eingenommen. Im Verhältnis zu den Gesamterträgen im Haushalt sind das knapp ein Prozent«, erklärt Amtsleiter Albert Keppler. Das zeige, dass Mehreinnahmen zumindest in der Achalmstadt nachrangig einzuschätzen seien.

Zudem liege es am bürokratischen Apparat, dass Verbesserungen und Konzepte langsam oder gar nicht umgesetzt werden. Wieder lohne sich dabei ein Blick nach Skandinavien, wie Psychologe Voss weiß: »In Schweden ist das Straßenbauamt gleichzeitig auch für die Gewährleistung der Straßensicherheit zuständig.« So schlage man dort zwei Fliegen mit einer Klappe. In Deutschland hingegen seien die Behörden aufgeteilt, deutlich komplizierter strukturiert und teurer. Da bleibe am Ende weniger Geld für effektive Lösungen übrig. (GEA)