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Männer und Motoren: Das Biedere in Bronze-metallic

Auch schon 40 Jahre alt: Nils Warschun fährt einen VW Derby in der GLS-Version

Schräge Optik: Der Derby von Nils ist nichts anderes als ein Polo mit Kofferraum. Das Image war nie wirklich sportlich. Daran än
Schräge Optik: Der Derby von Nils ist nichts anderes als ein Polo mit Kofferraum. Das Image war nie wirklich sportlich. Daran ändern auch die BBS-Felgen nichts. Foto: Warschun
Schräge Optik: Der Derby von Nils ist nichts anderes als ein Polo mit Kofferraum. Das Image war nie wirklich sportlich. Daran ändern auch die BBS-Felgen nichts.
Foto: Warschun

REUTLINGEN. Mit Oldtimern geht man sorgsam um, aber ganz verschweigen kann man die Wahrheit auch nicht. Um ehrlich zu sein: Der VW Derby war und ist eine der schlimmsten Design-Kreationen der Automobilgeschichte. Selbst für einen Volkswagen war die Stufenheck-Version des Polo an Biederkeit nicht zu überbieten. Die gehäkelte Klorolle gab es auf Wunsch ab Werk, der Wackel-Dackel auf der Hutablage war serienmäßig. Am Samstag nach dem Baden erst Sportschau und dann »Einer wird gewinnen« – aus diesem Holz waren Derby-Fahrer geschnitzt.

In der Rückschau fällt das Urteil milder aus, auch für den Derby von Nils Warschun, der in diesem Jahre 40 alt ist – nicht der Mann, das Auto. Der Mann ist drei Jahre jünger und hütet den Derby wie seinen Augapfel. Die beiden Töchter, acht und zehn, dürfen abwechselnd mitfahren – nur auf dem Beifahrersitz, nicht hinten drin, denn dort hat seit 16 Jahren niemand mehr gesessen. Außerdem könnten die Polster kaputtgehen.

Nils am Steuer seines VW Derby GLS.
Nils am Steuer seines VW Derby GLS. Foto: Hans Jörg Conzelmann
Nils am Steuer seines VW Derby GLS.
Foto: Hans Jörg Conzelmann

Nils ist Kaufmann von Beruf und in der Freizeit Polospieler – elf VW-Kleinwagen dieser Baureihe hatte er bereits. Nichts anderes als ein Polo ist auch der Derby – nur eben mit Kofferraum. Nils hat ihn im Fränkischen aus dem Dornröschenschlaf erweckt, wo er jahrzehntelang in der Tiefgarage im Dunkeln geschlummert hat. Dort wurde er abgestellt, als die 89-jährige Erstbesitzerin starb. Ihre Leder-Stoff-Autohandschuhe sind genauso erhalten geblieben wie der Aral-blaue Autoatlas von 1977, den kein Navigationsgerät ersetzen konnte, weil es das noch gar nicht gab.

Der Derby hat 39 000 Kilometer auf der Uhr und den ersten Lack, nämlich bronze-metallic. Eine Sonderausstattung wie die GLS-Version mit ihrem verhältnismäßig üppigen Zierrat aus Chromleisten rundum macht den Derby nicht gerade zur Stil-Ikone, aber zu einem Hingucker, dem alle Passanten freundlich begegnen. Für knapp 6 000 Euro hat ihn Nils gekauft und beim TÜV ein Lob erhalten für die original ersten Bremsen, die auf dem Prüfstand zupackten wie am ersten Tag. Gleiches gilt für den 1,3-Liter-Motor: Auf dem Leistungsprüfstand wurden 64,4 Pferdestärken gemessen, ohne dass etwas verändert wurde – die Werksangaben liegen bei 60 PS. Als Höchstgeschwindigkeit – ebenfalls auf dem Leistungsprüfstand – stoppten Nils und seine Freunde 189 Stundenkilometer, ein erstaunlicher Wert.

Im wirklichen Leben muss der Derby nicht mehr als 100 Sachen bringen. Solchermaßen bummelt er auf Oldtimertreffen. Der Tuningszene hat sein Besitzer den Rücken gekehrt. »Mit den Leuten ins Gespräch kommen«, das ist ihm wichtiger als durchdrehende Hinterräder und die Jagd nach Pokalen, um die es in der Tuningszene geht. »Die Jungs schrauben links und rechts GFK-Kotflügel dran und halten sich für Schrauber«, urteilt Nils.

»Ich will mit den Leuten ins Gespräch kommen«

Mag sein, dass viele den Derby noch aus dem Straßenverkehr kennen. Wer heute drin Platz nimmt, fühlt sich in eine andere Welt versetzt. Kein Firlefanz, das Radio mono. Ein Hauch von Luxus verströmt nur das schmale Holzimitat am Armaturenbrett. Die Plastik-Intarsien könnten Eiche rustikal sein.

Reine Geschmacksache sind die polierten BBS-Felgen mit Breitreifen, die Nils aufgezogen hat – Puristen würden die Original-Stahlfelgen mit schmalen 145ern bevorzugen. Zusätzlich legte ihn Nils tiefer – ein Sportfahrwerk bringt entsprechende Härte. Ein armdicker Auspuff sorgt für maskuline Optik – das Schaf im Wolfspelz, man kann es nicht anders sagen. Aber 60 PS waren immerhin die Top-Motorisierung.

Alles andere ist höchst original. Und wird es für Generationen bleiben: Nils hat seinen Töchtern das rollende Erbe versprochen. Bis dahin wackelt der Dackel noch oft mit dem Kopf. (GEA)

 

MÄNNER UND MOTOREN

Die Serie »Männer und Motoren« erscheint in loser Folge und handelt von Oldtimern und ihren Besitzern. Wer einen Oldtimer hat und eine Geschichte dazu erzählen kann, darf sich gerne bei der Redaktion melden. (co)

 

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