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Männer und Motoren: Alles im grünen Bereich

REUTLINGEN. »Da müssen Sie noch richtig mit Kraft fahren«, sagt der Reutlinger Frauenarzt Dr. Wolfgang Kuhr und dreht routiniert am riesigen Lenkrad seines 38 Jahre alten VW-Busses. Servo-Unterstützung gibt es nicht. Aus dem Fahrzeugboden ragt ein langer dürrer Stecken mit einem bescheidenen Handknauf steil heraus. Kuhr rührt damit im Getriebe und reizt die vier Gänge aus. »100 Stundenkilometer schaffen Sie damit locker.« Das Singen des Boxers-Motors stammt aus einer Zeit, als noch kein Sound-Management erfunden war.

Startklar für den Camping-Urlaub: Wolfgang Kuhr mit seinem Westfalia-VW-Bus Baujahr 1978. GEA-FOTO: CONZELMANN
Startklar für den Camping-Urlaub: Wolfgang Kuhr mit seinem Westfalia-VW-Bus Baujahr 1978. GEA-FOTO: CONZELMANN
Startklar für den Camping-Urlaub: Wolfgang Kuhr mit seinem Westfalia-VW-Bus Baujahr 1978. GEA-FOTO: CONZELMANN
Es ist ein fröhlicher Ausflug. Viel wird gelacht in diesem unglaublich grünen VW-Bus. Die gute Laune der Besatzung ist ansteckend. Menschen stehen am Straßenrand und winken, Wolfgang Kur und seine Frau Regine winken lachend zurück. Neulich geriet die Besatzung eines entgegenkommenden Mercedes derart in Verzückung, dass sie fast in den Straßengraben gefahren wäre. Der grüne Laubfrosch verbreitet Frohsinn, egal wohin er kommt.
»Niemals würden wir ihn verkaufen«
Weil er nicht protzig ist, sondern praktisch. Die Kuhrs betrachten ihn als Familienmitglied, weil er ein halbes Leben lang überall dabei war. Viele Male in Korsika, in Sardinien, in Griechenland, in Schweden beim Zelten, unzählige Male beim Skifahren in den Alpen. Die fünfköpfige Familie fuhr damit jahrzehntelang in den Urlaub, im Gepäck das Zelt, das Schlauchboot, Luftmatratzen, später Wasserski und einen Bootsmotor. Sogar zum Windsurfen fuhren die Kuhrs und bastelten einen Dachständer auf das Hubdach. Als der Platz nicht mehr ausreichte, hängte Kuhr noch einen Anhänger dran. Der VW-Bus (Baureihe T 2) zog ihn brav über den Brenner.

Seit 37 Jahren gehört er zur Familie. 1979 kaufte ihn Kuhr in Wannweil als Jahreswagen – er war ein junger Mann, der Vorbesitzer ein 70-jähriger Senior. »Jetzt bin ich selbst schon 73«, lacht Kuhr und beobachtet die Drehzahl, die sich im Stand mal nach oben, mal nach unten bewegt. Könnte am neuen Motor liegen. Als eine defekte Zylinderkopfdichtung diagnostiziert wurde, fand Kuhr einen Spezialisten, der ihm ein Austausch-Aggregat aus einer demilitarisierten Haubitze der Bundeswehr einbaute.

Der neue Zwei-Liter-Motor hat gerade mal 20 Betriebsstunden runter und läuft wie ein frisch geöltes Uhrwerk, luftgekühlt, wie sich’s gehört. Kuhrs Vermutung, dass er mehr als die eingetragenen 70 Pferdestärken hat, braucht der TÜV ja nicht zu wissen.

Auf dem Obst-Gütle der Kuhrs fängt die lustige Figur auf dem Armaturenbrett bedenklich zu wackeln an. Wo andere einen Elvis haben, steht bei Kuhrs ein »goldener Mensch« mit Gitarre aus Hawaii, mitgebracht von einem der seltenen Familien-Urlaub ohne den VW-Bus. »Aloha« verkündet der polynesische Ureinwohner, und eine gelbe Hawaiikette schaukelt dazu im Takt. Es ist nicht das einzige Zeichen an dem grasgrünen Auto, das von einem weit gereisten Leben erzählt.

Obwohl er ein brandneues Wohnmobil zuhause stehen hat, würde er sofort wieder mit dem Westfalia-Bus in den Urlaub fahren. Jeder Handgriff sitzt. Das Hubdach, die Kochnische, der Campingtisch – alles ist mechanisch und voll funktionstüchtig. Allein die Gasheizung wird nicht mehr benutzt. Doch als Kuhr sie neulich bei der Hauptuntersuchung vorstellte, bekam er anerkennende Blicke und ungläubiges Staunen, dass alle Leitungen noch original sind. Deutsche Wertarbeit eben.

25 000 Euro bot ein Passant neulich spontan für das Gefährt. Als sich die Kuhrs genauer informierten, erfuhren sie von Handelspreisen, die bei dem Doppelten liegen. Ist die Versuchung nicht groß, sich bei solchen Beträgen zu trennen? »Niemals«, sagen die Kuhrs. Der VW-Bus bleibt, auch wenn die Kinder aus dem Haus sind. Denn inzwischen freuen sich schon die Enkel.

MÄNNER UND MOTOREN

Die Serie beschäftigt sich mit Oldtimern und ihren Besitzern. Wenn Sie dazugehören, melden Sie sich. Zeigen Sie uns ihr schönes Stück. Die Serie erscheint in loser Folge in den Sommermonaten. Es sind nur Amateure zugelassen, die ihren Oldtimer als Hobby betrachten. Bitte haben Sie Verständnis, wenn nicht alle Zuschriften beantwortet werden können. Bisher erschienene Beiträge stehen im Internet. (GEA)

oldtimer@gea.de

www.gea.de/Maenner-und-Motoren