REUTLINGEN. Die erste Verliebtheit? Längst vorbei. Die rosarote Brille ist abgesetzt, man lebt nebeneinanderher. Kribbeln im Bauch? Eher ein herzhaftes Gähnen. Es ist der Gang der Dinge, beziehungsweise der normale Verlauf einer Partnerschaft, dass nach Wolke 7 der Alltag einkehrt. Aber, das ist die gute Nachricht: Eine Beziehung lässt sich durchaus wieder auf Vordermann bringen. Frühlingsgefühle gibt's auch im zweiten Frühling - und das mit demselben Partner.
Wirtschaftspsychologin Sanja Weber ist unter anderem als systemische Paar- und Sexualtherapeutin tätig. Seit vier Jahren führt sie im Gesundwerk am Gartentor eine eigene Praxis. Persönlich bringt sie ebenfalls viel Beziehungserfahrung mit. Sie ist verwitwet, und wieder glücklich liiert. Sanja Weber ist Mutter zweier erwachsener Kinder und stolze Großmutter eines einjährigen Enkelkindes. Für die GEA-Serie »Frühlingsgefühle« spricht sie darüber, wann und wie sich Beziehungen verändern – und worauf es dabei ankommt. Außerdem verrät sie, wie Paare ihre Verbindung neu beleben können, wenn der Alltag die Leichtigkeit verdrängt hat.
Die Ebenen einer Beziehung
Am Anfang einer Beziehung herrscht eitel Sonnenschein: Paare sind einander zugewandt, verliebt, verbunden, begehren einander, interessieren sich gegenseitig – das »Wir« steht im Mittelpunkt. Doch Beziehungen entwickeln sich weiter. Aus der Verliebtheit entsteht spätestens mit dem Zusammenziehen die Partnerschaft – ein stabileres, oft funktionaleres Miteinander. Wenn Kinder dazukommen, kommt die Dimension der Elternschaft dazu. In dieser Phase verschieben sich Prioritäten. Alltag, Verantwortung, Erschöpfung –oft geht dabei genau das verloren, was die Beziehung einst getragen hat. Die Sexualität kommt ebenso zu kurz wie die Zeit zu zweit. Und wenn die Kinder dann aus dem Haus sind, merken viele Paare, dass sie sich auseinandergelebt haben.
»Man sollte immer wieder versuchen, auf diese Paarebene zurückzukommen«, erklärt Weber, »denn dort spielt die Musik«. Nicht, um »wieder wie früher« zu sein, sondern um sich als Paar immer wieder neu zu begegnen. Paarsein braucht Aufmerksamkeit – es geht darum, die Verbindung zu pflegen. Oder, wie Sanja Weber es formuliert: »Den anderen nicht für selbstverständlich nehmen, sondern dankbar sein – für das Miteinander, für das, was gut gelingt.«
Es gibt ein paar einfache Regeln, die man beachten kann, um immer mal wieder auf die Paar-Ebene zurückzukommen.
Die Selbstfürsorge
Als zentrales Element in jeder Partnerschaft steht für die Therapeutin an erster Stelle die Selbstfürsorge. Nicht als Ego-Trip, sondern als Grundlage für eine lebendige, erwachsene Beziehung. »Ich bin verantwortlich für mein eigenes Wohlbefinden – nicht mein Partner«, lautet die Haltung, die Paare langfristig stärkt. Wer gut für sich sorgt, bringt immer etwas in die Beziehung ein. Die Frage lautet daher nicht: Was fehlt mir vom anderen?, sondern: Was mache ich für mich selbst? Freunde treffen, Sport treiben, meditieren: Egal was, entscheidend ist nicht die Form, sondern die innere Ausrichtung. Hauptsache man kommt glücklich nach Hause.
So banal es klingen mag – was vielen Paaren fehlt, ist gemeinsame Zeit. In diesem Zusammenhang setzt Weber vor allem auf die »qualitative Paarzeit« - nicht die getaktete, die zwischen Einkaufsliste, Kehrwoche und Elternabend stattfindet, sondern gemeint ist Zeit, die sich als echtes Miteinander anfühlt. Momente, in denen man sich wechselseitig wahrnimmt. Es braucht keine großen Gesten. Kein Fünf-Gänge-Menü, keine Wochenendreise. Viel wirksamer ist die Haltung: Ich sehe dich. Ich höre dich. Denn dort, wo ich mich gesehen und gehört fühle, entsteht emotionale Sicherheit. Ein Gefühl von: Ich bin gemeint. Und genau darin liegt Liebe: Im gelebten Interesse füreinander – auch im Alltäglichen.
Gemeinsamkeiten auffrischen
In der Anfangsphase sind die Frischverliebten kaum zu trennen, sie machen so viel wie möglich zusammen, bevorzugt Dinge die Spaß machen. Im Lauf der Jahre und mit größerer Routine verläuft das Leben eher in festen Bahnen. Jeder macht sein Ding. Warum nicht Gemeinsamkeiten auffrischen? Paare können sich gerne zurückerinnern, indem sie einen Zeitstrahl ihrer gemeinsamen Geschichte erstellen und die schönen Momente wieder aktivieren, die sie glücklich gemacht haben. »Was war in der Vergangenheit so gut, das ich es weiterpflegen möchte in der Zukunft?«, fragt Weber. Und weiter: »Was möchte ich noch mit dir erleben, das ich noch nicht erlebt habe?«
Zweisamkeit und Intimität
Wenn aus Paaren Eltern werden, verändert sich oft auch die Zweisamkeit. Der Fokus verschiebt sich auf die neuen Rollen, die Familie. Der Nachwuchs steht im Mittelpunkt und die Eltern verlieren manchmal einen Teil ihrer eigenen Identität als Paar. Gemeinsame Zeit zu zweit ist da die richtige Antwort. »Verbringen Sie ein Wochenende nur als Paar.« Wenn das nicht klappt, kann man zumindest mit einem gemeinsamen Restaurantabend anfangen - ohne Kinder versteht sich. »Diese Zeit zu zweit ist ganz arg wichtig«, betont Sanja Weber. Besonders, wenn sie mit Zärtlichkeit und Intimität verbunden wird. Denn auch Intimitäten kann man auffrischen, sagt die Expertin. »Wagen Sie ruhig mal etwas Neues und erleben sie gemeinsam Dinge, die sie noch nicht ausprobiert haben«.
»Sprechen Sie die Sprache der Liebe«, empfiehlt Weber. Und damit ist keineswegs nur Gesäusel gemeint, sondern die Sprache der Liebe ist weit mehr. Lob und Anerkennung drücken Liebe aus - die sich der andere ersehnt. Aber auch Fürsorge oder kleine Aufmerksamkeiten zeigen dem Partner, dass er einem am Herzen liegt. Oft reiche eine Kleinigkeit, die Lieblingsblume oder Schokolade, die signalisiert »schau ich habe an dich gedacht«, erklärt Weber. Auch kleine Rituale wie ein Kuss zur Begrüßung oder zum Abschied empfiehlt sie, um Nähe und Zuneigung zu zeigen. Wichtig ist, die Kommunikation stets positiv zu gestalten: »Nicht werten oder urteilen, nicht abfällig werden.« Weber empfiehlt, lieber in Ich- statt in Du-Botschaften zu sprechen, denn sie fokussieren die eigenen Gefühle und vermeiden Schuldzuweisungen.
Abenteuer und Überraschungen
Eine Partnerschaft bietet Sicherheit und Geborgenheit, aber zu viel davon kann auch langweilig werden. »Ab und zu braucht es ein bisschen Abenteuer,« sagt Weber. Paare können ruhig mal ausbrechen aus der Routine und sich gegenseitig überraschen. Wie wäre es beispielsweise mit einem Bungee-Sprung oder dem Besuch eines Hochseil-Gartens? »Das sorgt für einen Hormonkick«. Für den, der es lieber ruhiger mag, gibt es viele andere Möglichkeiten, den Partner mit neuen Erlebnissen zu überraschen – etwa mit einem Tantrakurs oder einem gemeinsamen neuen Projekt. »Schaffen Sie Aha-Momente«, rät die Expertin.
Jede Beziehung ist anders
»Partnerschaften sind immer ein spannendes Thema«, betont die Expertin, »Jede Beziehung ist anders«. Auch sie erlebt immer wieder Überraschungen in ihrer Praxis. Was eine Beziehung dauerhaft zusammenhält– das lässt sich nicht pauschal sagen. Wenn das Gefühl entsteht, dass etwas »nicht mehr stimmt«, kann professionelle Hilfe eine wichtige Ressource sein. Denn oft liegt im scheinbaren Stillstand ein Impuls verborgen, der zu einem neuen Verständnis und einer lebendigeren Form von Beziehung führen kann – ein zweiter Frühling, wenn man so will, aber einer, der auf Veränderung statt Wiederherstellung setzt. (GEA)