REUTLINGEN . Der Tag des Abschieds rückt unaufhaltsam näher: Am 30. September wird Lutz Adam sein Büro im Haus der Jugend verlassen, die Geschäftsführung des Stadtjugendrings übernimmt dann Franziska List. Fast 30 Jahre lang, seit 1996, ist der Sozial-Pädagoge in Reutlingen tätig und liebt nach wie vor, was er tut. »Ich habe den schönsten Job in Reutlingen«, sagt er, »nach dem OB«. Deshalb war es ihm ein Anliegen, bis zum offiziellen Rentenbeginn zu arbeiten. Früher in Rente zu gehen, das konnte er sich nicht vorstellen.
So kann er auch ein weiteres Mal federführend an der Großveranstaltung für die Jugend schlechthin in Reutlingen aktiv sein: »Die Stadt spielt«, die am Sonntag, 6. Juli, im Stadtgarten über die Bühne geht. Einer der Veranstalter ist der Stadtjugendring, und mehr als 50 Teilnehmer haben sich für dieses Jahr angemeldet. Das Tolle an »Die Stadt spielt« sei, dass man mit diesem Format alle Bevölkerungsschichten erreicht, sagt Lutz Adam. Jeder Verein oder jede Institution, die will, kann sich mit einem Spielangebot beteiligen. Außerdem dient der Mittag immer dazu, dass sich diejenigen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, kennenlernen und ein Netzwerk bilden können.
" Ich habe den schönsten Job in Reutlingen -
nach dem OB"
Netzwerken - das war und ist nach wie vor eine der wichtigsten Tätigkeiten des Stadtjugendring-Geschäftsführers. Rund 35 aktive Mitglieder hat der Stadtjugendring - von Vereinen über kirchliche Gruppen bis hin zu Jungparteien. Sie werden vom Stadtjugendring unterstützt, der dabei hilft, dass sie sich vernetzen oder dabei, neue Angebote umzusetzen. Etwas, das sich durchaus lohnen kann, betont Lutz Adam. So konnten beispielsweise Schüler einer SMV an den Kulturverein KuRT vermittelt werden, um Hilfe bei einer Veranstaltung zu bekommen, und einmal habe sich eine junge Muslima gemeldet, die Jugendleiter gesucht hat, um Freizeiten und Camps umsetzen zu können. Oft kann man sich durch solche Kontakte wertvolle Tipps oder tatkräftige Unterstützung holen und muss das Rad nicht neu erfinden.
Die Vereine zu unterstützen, sei weiterhin die große Aufgabe, sagt Adam. Viele Einrichtungen, die vor einigen Jahrzehnten noch bekannt waren für engagierte Jugendarbeit, tun sich zunehmend schwer, beobachtet der Sozial-Pädagoge. »Vielen Vereinen steht das Wasser bis zum Hals«, sagt Adam. Sie haben Schwierigkeiten, engagierte Mitglieder oder Nachwuchs zu finden. Auch das Freizeitverhalten hat sich gewandelt. Im selben Maße, wie die Zeit mit dem Smartphone zunimmt, nimmt sie für Vereinsaktivitäten ab. Auch Corona habe in vielen Vereine Lücken gerissen. »Nur die, die vorher sehr gut aufgestellt waren, sind gut durchgekommen«, hat Adam immer wieder beobachtet. Andere haben sich aber bis heute nicht erholt.
»Ich hatte immer das Glück, Jugendliche zu treffen, die in außergewöhnlicher Weise engagiert sind«
Dabei brauche man die Jugendarbeit und das ehrenamtliche Engagement für ein soziales Gemeinwesen, sind Lutz Adam und Franziska List überzeugt. Besonders dort könne man als junger Mensch Verantwortung übernehmen und eigene Ideen umsetzen. So seien die meisten Kommunalpolitiker im Gemeinderat in Vereinen, Kirchen oder Rettungsorganisationen aktiv gewesen - nennt Adam als Beispiel. Auch im Stadtjugendring habe er immer das Glück gehabt, »Jugendliche zu treffen, die in außergewöhnlicher Weise engagiert sind«.
Apropos Gemeinderat und Stadtverwaltung: Zu beiden haben der Stadtjugendring und das Haus der Jugend, dessen Leiter er ebenfalls ist, einen guten Draht. »Es hat sich eine gute Basis entwickelt und wir finden meist ein offenes Ohr«, betont Lutz Adam. Allerdings wird eine Aufstockung der Stellen in absehbarer Zukunft nicht möglich sein, darüber machen sich die beiden keine Illusionen. Die Stadt trägt die Kosten einer 55-Prozent-Stelle, 45 Prozent davon sind für die Tätigkeit des Leiters oder demnächst der Leiterin gedacht, der Rest für den Projektverwalter. Mit dem Haus der Jugend erwirtschaftet der Stadtjugendring zudem Einnahmen, etwa durch Vermietungen. Eigentlich gäbe es Arbeit für eine pädagogische Kraft in Vollzeit, so Adam, aber angesichts der Stadtfinanzen ist dies nicht machbar.
»Ich habe meine Liebe zur Jugendarbeit und dem Haus der Jugend entdeckt«
Umso glücklicher waren er und die Vorstandsmitglieder, dass eine Nachfolgerin gefunden wurde. Die 41-jährige Franziska List steckt momentan mitten im Sozialpädagogik-Studium, zuvor hat sie Germanistik und Theologie studiert. Bei einem »Demokratie Leben«-Projekt in Reutlingen (auch das ein Projekt, das der Stadtjugendring anbietet) habe sie ihre Liebe zur Jugendarbeit und dem Haus der Jugend entdeckt. Froh ist sie über die mehrmonatige Zeit der Übergabe, in der Lutz Adam sie an seinem Jahrzehnte umfassenden Erfahrungsschatz teilhaben lässt.
Die Stadt spielt
Seit 1998 heißt es alle zwei Jahre »Die Stadt spielt«. In diesem Jahr gibt es am Sonntag, 6. Juli, von 12 bis 17 Uhr im Stadtgarten Reutlingen (Charlottenstraße 53), ein großes Mitmachangebot für Groß und Klein. Mehr als 50 Teilnehmer, von A wie Adventsjugend bis T wie TSG, werden zum spielen, basteln, bewegen und Spaß haben einladen. Natürlich gibt es auch eine Bewirtung. Veranstalter sind der Stadtjugendring, die Kinder- und Jugendarbeit Reutlingen, das evangelische Stadtjugendwerk, sowie der türkische Kultur- und Integrationsverein.
https://die-stadt-spielt.de
Alles werde sie nicht weiterführen können, fürchtet List, denn viele Aufgaben habe Lutz Adam im Ehrenamt erledigt. Dafür fehle ihr als Studentin und Mutter zweier kleiner Kinder die Zeit. »Ich werden Schwerpunkte setzen müssen«, sagt sie. Aufgaben für die Zukunft gibt es einige, so will der Stadtjugendring sich beispielsweise verstärkt der Inklusion widmen, aber auch die Thematik Kinderschutz wurde an ihn herangetragen. Natürlich will das Netzwerk weiter gepflegt werden und auch Demokratie-Projekte sind wichtiger denn je. Langweilig wird es der neuen Geschäftsführerin also sicherlich nicht.
"Mit über 60 kann man nicht mehr so durchziehen
wie mit 40"
Derweil sieht Lutz Adam seinem Ruhestand durchaus wehmütig entgegen. »Ich werde heulen müssen«, weiß er bereits jetzt, aber es sei an der Zeit loszulassen und das werde er auch. Zwar sei er noch fit, »sich jung zu fühlen, ist bei mir so was wie eine Berufskrankheit«, sagt er schmunzelnd. »Trotzdem spüre ich, dass ich mit über 60 nicht mehr so durchziehen kann wie mit 40«.
Pläne für die Zeit nach dem 30. September hat er bereits. Einer davon hat, wenig überraschend, mit Jugendlichen zu tun. Er wird eine Jugendgruppe übernehmen. Gruppe für was? Das ist nun eher überraschend: eine Jungbläsergruppe an seinem Wohnort Bad Urach. Vor vier Jahren hat Lutz Adam begonnen, Tenorhorn zu spielen - eine ganz neue Herausforderung, die ihn begeistert. »Gemeinsam Musik zu machen, ist wunderbar«. Und auch sonst habe er sich schon einiges vorgenommen, sagt er. (GEA)