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Legal? Illegal? Neues Cannabis-Gesetz beschäftigt Amtsgericht Reutlingen

Das neue Cannabis-Gesetz wirkt. Erste Fälle zu Marihuana-Besitz und -Handel landen derzeit beim Amtsgericht Reutlingen. Manches ist noch unklar. Das sagt die Polizei dazu.

Ein Mensch hält einen Joint in der Hand. Das neue Cannabis-Gesetz wirkt sich nicht zuletzt auf die Arbeit im Amtsgericht Reutlin
Ein Mensch hält einen Joint in der Hand. Das neue Cannabis-Gesetz wirkt sich nicht zuletzt auf die Arbeit im Amtsgericht Reutlingen aus. Foto: Hannes P. Albert/dpa/dpa
Ein Mensch hält einen Joint in der Hand. Das neue Cannabis-Gesetz wirkt sich nicht zuletzt auf die Arbeit im Amtsgericht Reutlingen aus.
Foto: Hannes P. Albert/dpa/dpa

REUTLINGEN. Grün ist die Hoffnung. Grün wie Cannabis, Marihuana, Gras. Bei Konsumenten lässt ein neues Gesetz, das Kiffen entkriminalisieren soll, derzeit Hoffnung aufkeimen. Denn zum 1. April hat sich die Lage zum Besitz und Konsum von Cannabisprodukten in Deutschland geändert, seit 1. Juli auch zu privatem und gemeinschaftlichem Anbau. Statt des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) gilt beim Besitz auch von Haschisch – dessen Grundlage Cannabis-Harz ist – nun das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG). Ist die grüne Droge damit legal? Nur unter bestimmten Umständen. Die sind zum Teil schwammig formuliert. Was das in der Praxis heißt, zeigt ein Fall am Reutlinger Amtsgericht.

Erstmals im Land hatte ein Gericht mit dem neuen Cannabis-Gesetz schon am 9. April zu tun. Weil das KCanG – wie schon sein Vorgänger – eine »nicht geringe Menge« erwähnt, ohne sie zu definieren. Das Amtsgericht Karlsruhe befand: Die beginnt beim Zehnfachen der erlaubten Menge. Sprich, bei mehr als 500 Gramm zu Hause und über 250 Gramm unterwegs. Dabei sind sich die Gerichte aber untereinander nicht grün. Denn am 16. April entschied das Amtsgericht Mannheim, diese »Grenzziehung« ausschließlich aufgrund der Menge laufe dem »gesetzgeberischen Willen« zuwider. Fest steht: Besitz und Konsum von Cannabis gelten nun nicht mehr als Verbrechen, sondern als Straftat. Das wirkt sich auf die Strafen aus, mit denen Beschuldigte rechnen müssen. Und dies bringt uns zum Reutlinger Fall.

Da stand vor Amtsrichter Eberhard Hausch ein 24-Jähriger, dessen Pflichtverteidiger schon vor Beginn der Verhandlung wieder gehen wollte. Pflichtverteidiger werden bei Verbrechen bestellt und bei Fällen, die ein Schöffengericht verhandelt. Da den 24-Jährigen aber durch die »zwischenzeitlich geänderte Rechtslage« wohl nicht mehr als ein Jahr Haftstrafe erwarte, fürchtete Rechtsanwalt Olaf Panten, er sei überflüssig.

Ist der Pflichtverteidiger nötig?

Das Gesetz wird nämlich auch rückwirkend angewandt: Der schmale, vollbärtige Angeklagte war schon im Herbst 2023 mit Marihuana erwischt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte am 13. März Anklage erhoben. Dem inzwischen geltenden Gesetz nach verhandelte Hausch den Fall aber als Einzelrichter, statt mit zwei Laienrichtern an der Seite. Ergo: kein Verbrechen mehr, kein Schöffengericht. Der schon zum vorhergehenden BTM-Verfahren aus Singen angereiste Pflichtverteidiger sollte trotzdem bleiben.

Der 24-jährige Reutlinger hatte als Beifahrer bei einer Verkehrskontrolle am 20. November in der Lederstraße 61,5 Gramm Gras im Rucksack dabei – mehr als doppelt so viel wie neuerdings erlaubt. Staatsanwalt Simon Dorner warf ihm zudem vor, dass er mit 100 Gramm Marihuana dealte. Das belegten Vakuumtüten mit entsprechenden Bröseln, die man in seiner Wohnung fand. Und Chatverläufe auf seinem Handy. Da der Angeklagte gestand, Reue zeigte und bislang nicht durch Drogendelikte aufgefallen war, plädierte der Staatsanwalt für »eine Sanktion im unteren Rahmen«: Geldbuße statt Freiheitsstrafe.

Frage nach dem THC-Gehalt

Generell interessant an diesem Fall ist der Punkt, den Rechtsanwalt Panten in seinem Plädoyer ansprach: die eingangs erwähnte »nicht geringe Menge« und der damit verbundene THC-Gehalt – »eine spannende Frage«. Der Bundesgerichtshof habe »auf die Schnelle« entschieden, beim bislang angeführten Wirkstoffgehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) im Cannabis zu bleiben. »Bei Pflanzen ist das aber nicht vorhersehbar«, erklärte er. »Da kommt man trotz erlaubtem Besitz schnell drüber.« Im Moment könnten Richter das »variabel handhaben«, manche fänden die doppelte Menge okay. »Ich denke, das wird irgendwann korrigiert werden müssen.«

Im Gerichtssaal

Richter: Eberhard Hausch, Staatsanwalt: Simon Dorner, Verteidiger: Olaf Panten, Dolmetscher: Said Arnaout. (GEA)

Um herauszufinden, »was an THC drin ist, also was einen tatsächlich benebelt«, brauche man ein Labor, stimmte ihm Richter Hausch zu. »Man kann schwerlich verlangen, dass ein Besitzer das so genau weiß.« Das Bundesgesundheitsministerium beruft sich auf aktuelle Erkenntnisse von Polizei und Zoll, wenn es von 14 Prozent durchschnittlichem THC-Gehalt in Cannabisblüten und 20 Prozent bei Haschisch spricht. Am Amtsgericht war für Verteidiger, Anklagevertreter und Richter dennoch klar: Der 24-Jährige hat beim illegalen Handel mit Marihuana sowohl die »nicht geringe Menge« als auch den zulässigen Gesamt-THC-Wert mit 19 Gramm klar überschritten. Damit ist es ein »besonders schwerer Fall«, der laut Hausch »vom Fleck weg« mit einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe geahndet werden kann.

Grenzwert beim Autofahren ist jetzt klar

Zumindest die lange ebenfalls offene Frage nach der Fahrtüchtigkeit bei Cannabiskonsum ist seit 5. Juli geklärt: Statt bisher 1,0 Nanogramm Tetrahydrocannabinol (THC) pro Milliliter Blutserum (ng/ml), ließ der Bundesrat das vom Bundestag schon beschlossene Gesetz mit Cannabis-Regeln für den Verkehr passieren. Danach sind bis zu 3,5 ng/ml erlaubt. Der Expertenkommission zufolge ist dieser Wert vom Risiko her vergleichbar mit 0,2 Promille Alkohol.

Für den Reutlinger Beschuldigten spielt das keine Rolle. Denn der gelernte Anlagenmechaniker, der eigener Aussage nach dringend eine Arbeit sucht, aber bislang im Umkreis keine fand, hat keinen Führerschein.

Richter Hausch blieb in seinem Urteil mit 1.800 Euro Geldstrafe – 120 Tagessätze à 15 Euro –, die der Arbeitslose in Raten abbezahlen kann, und 400 Euro Wertersatz unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Im Vergleich zum Fall vom 9. April in Karlsruhe scheint dies hart: Dort soll der Angeklagte ebenfalls 1.800 Euro Geldstrafe zahlen, gilt aber mit 60 Tagessätzen à 30 Euro nicht als vorbestraft – das ist erst ab 90 Tagessätzen der Fall. Dabei hatte der Karlsruher aus eigenen Pflanzen 228 Gramm Marihuana gewonnen mit insgesamt gut 40 Gramm THC – das ist jeweils mehr als doppelt so viel wie bei dem 24-jährigen Reutlinger.

Hinsichtlich einer Neudefinition der »nicht geringen Menge« sind auch in den Augen des Reutlinger Amtsgerichtsdirektors Dr. Christian Wollmann noch Fragen offen. Wie viele Verfahren im Zusammenhang mit dem neuen Cannabis-Gesetz auflaufen, kann er nicht sagen: Dazu würden keine gesonderten Statistiken geführt. Da es erst seit 1. April gilt, sei es »derzeit noch zu früh, um etwas Belastbares zu sagen«. Mit einer Flut an Klagen rechne er aktuell eher nicht – doch das lasse sich nur bedingt vorhersagen.

Markus Drews vom Polizeipräsidium Reutlingen teilt als erste Einschätzung, die momentan noch nicht mit Zahlen hinterlegbar sei, mit: Seit der Änderung der gesetzlichen Regelungen lasse sich »ein Rückgang in der reinen Anzahl der Ermittlungsvorgänge im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität beobachten«. Durch die Legalisierung von Anbau und Besitz gewisser Mengen an Gras und Hasch war das zu erwarten. »Der Ermittlungsaufwand der Polizei hat sich damit aber nicht reduziert. Neben dem beispielsweise weiterhin strafbaren Handel mit Cannabis sind auch Ermittlungen zu Delikten in Zusammenhang mit anderen Rauschgiftarten, also zum Beispiel Kokain oder Heroin, nach wie vor sehr aufwendig.«

Vereinzelt gebe es Anzeigen wegen Verstößen gegen das KCanG, eine besondere Häufung lasse sich nicht feststellen. Offene Fragen sieht auch er: »Die Anwendung der neuen gesetzlichen Normen ist aufgrund vieler Ausnahmen und unbestimmter Rechtsbegriffe weiterhin für alle beteiligten Stellen, also Behörden und Justiz, aber auch für die Konsumenten mit Schwierigkeiten verbunden.« Die weitere Entwicklung bleibe abzuwarten. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. (GEA)