REUTLINGEN. »Gleichberechtigung gehört zum Kern unserer Demokratie«, sagte Muhterem Aras am Samstagabend im vollbesetzen Rathausfoyer. Anlässlich der Reutlinger Frauenwochen hatte das Amt für Gleichstellung und Integration die Landtagspräsidentin eingeladen. Oberbürgermeister Thomas Keck begrüßte zahlreiche Vertreterinnen der Organisationen, die sich für Gleichstellung und Frauenrechte einsetzen sowie die Bürgermeister Angela Weiskopf und Roland Wintzen, Mitglieder des Gemeinderats und die Politikerinnen und Politiker Beate Müller-Gemmeke MdB, Cindy Holmberg MdL und Thomas Poreski MdL. Für den musikalischen Rahmen sorgten bravourös Masika Nkom Ngo Pouhè und Jana Fitler am Flügel sowie die Band Luminaries.
»Gesetz und Realität klaffen weit auseinander«.
Muhterem Aras, eingewandert aus der Türkei und seit 2016 Präsidentin des baden-württembergischen Landtags, bedeute einen »starken Rückenwind« für die Gleichstellung der Geschlechter, so Keck. »Sie zeigt, wie wichtig es ist, dass Frauen an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt sind.« Meilensteine in der Geschichte seien das Wahlrecht für Frauen 1918 und das Grundgesetz als klarer Auftrag für den Staat und seine Organe. »Doch Gesetz und Realität klaffen weit auseinander.« Bei der letzten Bundestagswahl habe es einen Rückschritt in der Regierungsbeteiligung von Frauen gegeben, die zunehmende geschlechterspezifische Gewalt sei »besorgniserregend«.
Reutlingen habe im Land das erste Frauenhaus und Mädchenhaus eröffnet, 2017 wurde eine Gleichstellungsbeauftragte eingestellt, es gebe einen Runden Tisch gegen häusliche Gewalt und eine Sensibilisierung für das Thema in Schulen, Kitas und Vereinen, nannte Keck als Beispiele. Im Sitzungssaal stellten die Organisationen ihre Aktivitäten und Ziele aus.
»Der mächtigste Mann der Welt verachtet Frauen.«
»Die ganze Stadtgesellschaft ist an den Frauenwochen beteiligt«, lobte Muhterem Aras und dankte stellvertretend Rahel Rose und Sultan Plümicke. »Wir leben in einer Zeit, in der die Demokratie unter Druck steht wie nie.« Die Gefahr eines Rückschritts in den Frauenrechten und die Zunahme von Hass und Gewalt gegen Frauen sei immens. In den USA wurde statt Kamela Harris, die bei den Frauenrechten »keinen Schritt zurück« versprach, Donald Trump gewählt. »Der mächtigste Mann der Welt ist ein verurteilter Sexualstraftäter, der offen Frauen verachtet, gegen Transfrauen hetzt und mit der Bekämpfung des Abtreibungsparagraphen Frauen in Lebensgefahr bringt.« Trump sei »Vorbild für viele rechtsradikale Kräfte«.
Der Rechtsruck bedeute den Ausbau der Vorherrschaft des heterosexuellen Mannes mit der Unterwerfung von Freiheit und Gleichheit. »Die größte Gefahr der Welt geht von Männern aus, die eben diese Gleichheit fürchten«, sagte Aras in ihrer kämpferischen, häufig von Zwischenbeifall begleiteten Rede. Der Faschismus propagiere überholte Rollenbilder der Frau.
»Auch Männer leiden unter patriarchalen Strukturen.«
»Die Oligarchen der USA beeinflussen auch uns. Jungen Männern wird ein tradiertes Männerbild eingetrichtert. Durch Social Media erreichen solche Leute Millionen von Menschen.« Besonders beliebt sei die AfD bei jungen, unsicheren Männern, denen sie Zugehörigkeit und Aufwertung verspreche. »Um die Frauenrechte zu stärken, brauchen wir daher auch eine breite Diskussion über Männlichkeit. Auch Männer leiden unter patriarchalen Strukturen.« Die Gleichberechtigung sei ein Mehrwert für alle. Auch der pauschale Männerhass in den Sozialen Medien müsse rigoros abgelehnt werden.
Für die Gewalt gegen Frauen gelte »0,0 Prozent Toleranz«. Es sei schlichtweg falsch, dass Frauen vor allem von ausländischen Männern bedroht und von einheimischen geschützt würden.
Im neuen Bundestag sei der Frauenanteil unter ein Drittel gesunken, Friedrich Merz habe sich mit Sätzen wie »Damit tun wir den Frauen keinen Gefallen« deutlich gegen eine Frauenquote ausgesprochen. Dabei öffneten sich gerade durch die Quote neue Perspektiven. »Demokratie muss parteiübergreifend das verbindende Element für uns alle sein,« betonte Aras.
»Ich lasse mich ganz sicher nicht von Rechtsextremisten einschüchtern.«
Aus Ostanatolien kommend und kurdischer Abstammung habe sie in der Türkei Diskriminierung erlebt. »In Deutschland bin ich in der Freiheit angekommen. Es gibt nichts Größeres. Ich liebe dieses Land und seine Werte, überlasse es nicht den Rechtsextremisten und lasse mich ganz sicher nicht von ihnen einschüchtern.«
In der anschließenden Fragerunde, moderiert von Rahel Rose, gab Aras Frauen in männerdominierten Gremien den Rat, nicht selbst "männlich" werden zu wollen. "Stattdessen müssen wir bei uns selbst bleiben und gute Argumente parat haben. Auch wenn es eine Weile dauern kann, am Ende wird es honoriert." Frauen sollten sich selbst vertrauen und sich etwas zutrauen. Wir gehen nicht zurück!" Im Anschluss trug sich die Landtagspräsidentin in das Goldene Buch der Stadt ein.