REUTLINGEN. Lärm ist nicht nur störend und beeinträchtigt das Wohlbefinden – zu viel Lärm kann krank machen. Dem trägt die Politik Rechnung, indem sie den Gesundheitsschutz gegenüber dem flüssigen Verkehr viel stärker gewichtet. Dies sieht man auch an der dritten Fortschreibung des Lärmaktionsplans für Reutlingen, der am Dienstag der Presse erläutert wurde. Galten für den ersten Lärmaktionsplan aus dem Jahr 2012 noch Grenzwerte von 70 Dezibel am Tag und 60 Dezibel in der Nacht, sind es heute 65 beziehungsweise 55 Dezibel, ab denen eine Kommune reagieren muss. So will es die Richtlinie der EU, die die rechtliche Grundlage bildet und die das Land in einem sogenannten »Kooperationserlass« umsetzt.
Mehr als 70 Prozent der Befragten sind vom Verkehrslärm belastet
In Reutlingen muss man auf diese steigenden Anforderungen reagieren. Seit 2021 arbeitet die Verwaltung an der dritten Fortschreibung des Lärmaktionsplans, blickte Baubürgermeisterin Angela Weiskopf im Pressegespräch zurück. Im Spätsommer 2023 hatten dann die Bürger die Möglichkeit, sich an einer Befragung zu beteiligen. Das Ergebnis: Mehr als 70 Prozent der Befragten gaben an, »vom Straßenverkehrslärm stark oder sehr stark belastet zu sein«. Das Problem sei hauptsächlich zu schnelles Fahren, sowie Anfahr- und Bremsgeräusche.
Darauf wird die Stadt nun reagieren, indem einige neue Tempo-30-Zonen ausgewiesen werden. Die Lärmbelastung sinkt um zwei bis drei Dezibel, wenn das Tempo von 50 auf 30 reduziert wird, zitiert Gerhard Lude, Leiter der Reutlinger Verkehrsabteilung, eine Untersuchung des Verkehrsministeriums. Die Geschwindigkeitsreduzierung ist damit eines der effektivsten Mittel, um die Anwohner vor Lärm zu schützen. Künftig soll auf einigen innerstädtischen Straßen, auf denen heute noch Tempo 40 oder 50 gilt, 30 die zulässige Höchstgeschwindigkeit sein.
Eine davon ist die Alteburgstraße, auf der Autofahrer bisher teilweise mit 30, teilweise mit 40 km/h unterwegs sein dürfen. Künftig gelinge gleichzeitig eine Vereinheitlichung, sagt Lude, ein Nebeneffekt, der willkommen ist: »Wir haben einen Lückenschluss gemacht, wo dies möglich war.« Andere Straßen, auf denen der Verkehr in Zukunft langsamer fließen soll, sind die Gustav-Schwab-Straße oder die Sondelfinger Straße.
Grüne Welle bleibt erhalten
Ausgenommen von der 30er-Regelung sind in den Plänen die vierstreifigen Straßen durch die Innenstadt über die Karl-, Eberhard- und Lederstraße, gleiches gilt für den Straßenzug Gutenbergstraße, Unter den Linden und Rommelsbacher Straße. Hier gilt weiterhin Tempo 40 – und das, obwohl die Lärmpegel im Bereich der Gesundheitsgefährdung liegen. Hier wären die Nebenwirkungen einer 30er-Zone zu groß, erklärt Lude, weshalb man darauf verzichte. Zum einen müsste man die grüne Welle auf der vierspurigen Straße ändern, was Kosten von rund 200.000 Euro verursachen würde. Zum anderen bestünde die Gefahr, »dass der Verkehr in die Wohngebiete der Oststadt reingedrückt wird«, so Lude. Eine Folge, die man keineswegs will, denn sie würde dann dort für neue Lärmbelastungen sorgen. Außerdem strebt die Stadt weiter einen fließenden Verkehr an, der ebenfalls ruhiger ist als Stop-and-Go.
Ebenfalls miteinbezogen in die Planungen sind etliche Ortsdurchfahrten in den Bezirksgemeinden, in denen der Lärm über dem erlaubten Maß liegt. So soll in Mittelstadt die 30er-Zone Richtung Riederich ausgedehnt werden, in Altenburg gilt teils 40, teils 50 – dort soll einheitlich auf 30 reduziert werden, ebenso in Rommelsbach auf der L378 auf der kompletten Ortsdurchfahrt. Auch in Oferdingen, Degerschlacht, Betzingen, Sickenhausen, Bronnweiler, Gönningen und Reicheneck werden die Autofahrer ausgebremst, wenn der Lärmaktionsplan fortgeschrieben wird.
Die Themen werden emotional diskutiert
Insgesamt wurden in der Fortschreibung des Lärmaktionsplans mehr als 20 Maßnahmen erarbeitet, die das Amt für Verkehrsplanung transparent der Öffentlichkeit zugänglich machen will. Denn, auch das ist Weiskopf und Lude klar, Verkehrsthemen und Tempolimits sind etwas, das emotional diskutiert wird – so bereits geschehen in den nicht öffentlichen Debatten des Bauauschusses, lassen sie durchblicken. Und ähnliche Vorstöße der Verwaltung vor fünf Jahren fanden im Gemeinderat und auch in vielen Bezirksgemeinderäten keine Mehrheit. Doch andere Optionen hat die Stadt nicht, um den Vorgaben des Landes nachzukommen, auch das macht Gerhard Lude deutlich. »Es gibt eine Pflicht, dies umzusetzen«, hebt er nochmals hervor, andere ähnlich effektive Optionen zur Lärmverminderung wie die Temporeduzierungen gibt es nicht.
Eine dieser Möglichkeiten wäre beispielsweise eine Halbierung des Verkehrsaufkommens – das ist nicht machbar, ist er sich sicher. Auf mehr Umstiege auf E-Autos hat die Kommune keinen Einfluss und bauliche Änderungen, wie Flüsterbeläge, bringen bei geringen Geschwindigkeiten zum einen wenig, sind zudem nur umsetzbar, wenn der Belag ohnehin erneuert wird. Daher ist auch die Frage, was man künftig noch mehr machen kann, schwierig zu beantworten. Vor allem gelte es, mehr Leute in den ÖPNV oder aufs Rad zu bringen, »wir müssen den Umweltverbund fördern«, sagt Lude.
Kosten von rund 25.000 Euro
Die Kosten für den Lärmaktionsplan halten sich übrigens in Grenzen: Alles in allem wird es 25.000 Euro kosten, die Schilder auszutauschen oder neue anzubringen.
Lärmaktionsplan: So geht es weiter
Die Maßnahmen aus dem Lärmaktionsplan und die dazugehörigen Straßenkarten werden auf die Homepage der Stadt gestellt, wo sie eingesehen werden können. Bis Oktober werden die Pläne in den Bezirksgemeinden öffentlich vorgestellt und angehört. Im September ist dann eine Informationsveranstaltung für die Reutlinger Bürgerinnen und Bürger geplant. Nach der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange und relevanter städtischer Ämter, RSV und Rettungsdienste kann der Lärmaktionsplan im vierten Quartal vom Gemeinderat beschlossen werden: Ruhige Gebiete werden mit dem Beschluss mit festgelegt und die Umsetzung der lärmmindernden Geschwindigkeitsreduktionen beschlossen. (awe)
Ebenfalls mit zum Lärmaktionsplan gehört die Festlegung »ruhiger Gebiete«, die der Erholung dienen, die eine hohe Aufenthaltsqualität haben und die von den Siedlungsflächen innerhalb von acht Minuten zu Fuß erreichbar sein müssen oder die innerhalb der Bebauung liegen, also so genannte Stadtoasen. Als solche Flächen ermittelt wurden Stadtgarten, Pomologie, Volkspark, Friedhof Unter den Linden, Weg an der Echaz, Heimatmuseumsgarten, Grünfläche am Achalmbad, Schillerschule in Orschel-Hagen, Echaz / Mühlkanal und Gaasgarten in Betzingen. Sie werden nun ebenfalls in dem Plan ausgewiesen und können auch im Flächennutzungsplan als solche dargestellt werden. (GEA)