Logo
Aktuell Jugend

Kulturschock Zelle zähmt sich selbst

Selbstverwaltetes Jugendhaus bekommt mehr Geld, verzichtet aber auf »heikle Großveranstaltungen«

Das Jugendzentrum Zelle in Reutlingen. GEA-ArchivFoto
Das Jugendzentrum Zelle in Reutlingen. Foto: GEA
Das Jugendzentrum Zelle in Reutlingen.
Foto: GEA

REUTLINGEN. Es ist ein Deal, der nicht allen schmecken wird: Die Zelle, seit 51 Jahren selbstverwaltet in Form eines Vereins namens »Kulturschock Zelle«, verzichtet künftig auf »heikle Großveranstaltungen«, die in der Vergangenheit zu Reibereien mit der Stadt und der Polizei geführt hatten. Im Gegenzug bekommt die Zelle von der Stadt mehr Geld.

Dem Deal, den das Rathaus mit dem »Zellies« ausgehandelt hat, stimmte der Jugendgemeinderat in seiner Sitzung am Dienstag zu. Nicht einstimmig, aber immerhin mehrheitlich, denn offenbar haben die Kulturschocker nichts dagegen. Offizielle Begründung: Wenn die Stadt sich stärker am Betrieb des Jugendhauses beteilige, falle der »ökonomische Druck« weg und damit auch die Notwendigkeit, Goa- und Technoparties mit bis zu 1 000 Gästen zu veranstalten, mit denen sich Geld machen lässt.

Keine Technoparties mehr

Denn um Geld geht es: Der Gesamtzuschuss der Stadt erhöht sich von 14 431 Euro auf 31 520 Euro im Jahr. Er setzt sich aus 19 340 Euro Kaltmiete und 12 180 Euro Nebenkosten zusammen. Damit wird die Zelle, vorbehaltlich der Zustimmung des Gemeinderats am Donnerstag, 27. Juni, ähnlich bezuschusst wie vergleichbare Institutionen. Deren Kaltmieten werden voll und die Nebenkosten anteilig übernommen. Die Höhe der Bezuschussung der Nebenkosten beträgt in der Regel zwischen 60 Prozent und 80 Prozent. Bei der Zelle sind es 70 Prozent.

Der Streit, der mit dem Kompromiss beigelegt zu sein scheint, läuft seit Jahren. Strittige Punkte waren stets die unterschiedlichen Sichtweisen von Ruhe und Ordnung. Für Jugendschutzkontrollen wurde der Polizei mehrfach der Einlass verweigert, zuletzt im Dezember 2017. Mit der Folge, dass die Stadt den Geldhahn zudrehte: Im Jubiläumsjahr, als die Zelle für ihren 50. Geburtstag 10 000 Euro extra wollte, flossen die Mittel nur zeitverzögert und mit Auflagen. Und auch auf dem jetzigen Haushaltsantrag der Zelle liegt ein Sperrvermerk, bis alle Gremien grünes Licht geben.

Allzu sehr wollte der Leiter des Jugendamts, Uwe Weber, im Jugendgemeinderat nicht in die Vergangenheit blicken. Er zitierte vielmehr aus einem Zelle-Brief: »Die Veranstaltungen, die zur Zeit am lukrativsten sind, sind paradoxerweise genau die Veranstaltungen, bei denen es in der Vergangenheit immer wieder zu Problemen kam.« Es geht um Tanzveranstaltungen mit viel Publikum und langen Öffnungszeiten, die ordnungsrechtlich heikel, finanziell aber fette Beute sind. Konkret: Um Technoparties, die ein Publikum anlocken, »das uns Probleme bereitet«, so Weber. Mit dem künftigen Zuschuss könne man diesen Typus reduzieren. Die Erwartungshaltung der Stadt sei, den Drogenhandel im Umfeld einzudämmen. Von der Zelle war gestern für eine Stellungnahme niemand zu erreichen.

Auch der Hades bekommt mehr

Gleichzeitig erwartet die Stadt, dass Zelle-Mitglieder ihr selbst entwickeltes, anspruchsvolles Jugendbildungsprogramm ausbauen. »Ich bin überzeugt, dass dies einen wesentlichen Schritt zur Entspannung der Situation darstellt«, ist Weber zuversichtlich.

Man werde nun beobachten, ob die Zelle ihren Teil des Deals erfüllt. Andere Formate werde die Stadt dulden, aber es könne keine Ausweichbewegung geben, sagte Weber. Sprich: Technoparties unter anderem Namen, aber mit gleichem Inhalt, seien nicht zulässig.

Neben der Zelle existiert ein weiteres selbstverwaltetes Jugendhaus in Reutlingen, das fast in Vergessenheit gerät: Der »Hades« in der Rathausstraße 8, betrieben von »Jugend in Aktion e.V.« Auch dieser Verein erhält bisher lediglich einen Kalt-Mietzuschuss in Höhe von 7 369,17 Euro (100 Prozent), die Nebenkosten bezahlt er selbst. Um ihn mit der Zelle gleich zu stellen, schlug die Verwaltung vor, auch ihm einen erhöhten Zuschuss von 70 Prozent der Nebenkosten in Höhe von 1 850 Euro zu gewähren. (GEA)