REUTLINGEN/STUTTGART. Die Nachwirkungen des Reutlinger Wunschs, einen Stadtkreis zu bilden, gehen weiter. Der Antrag der Stadt war vor zehn Jahren vom Land abgelehnt worden. Da der Landtag mit seinem »Nein« aber die Aufforderung verbunden hatte, dass die Stadt Reutlingen mit dem Landkreis Reutlingen in Gespräche eintrete, zieht sich der Prozess weiter hin. Seit 2023 kamen dem beide Seiten nach. Moderiert von Staatssekretär a. D. Hubert Wicker, waren die jeweiligen Verwaltungen und ihre Repräsentanten bis vor Kurzem dran, Möglichkeiten auszuloten, wie die kommunale Zusammenarbeit und Aufgabenteilung verbessert werden können.
Ihre Ergebnisse stellten alle drei am 3. April der Öffentlichkeit vor - mit dem Hinweis, dass die sämtlich Makulatur sind. Denn sowohl das dafür zuständige Innen- als auch das Finanzministerium haben Wicker zufolge »bedauerlicherweise beide Anliegen abschlägig beschieden«. Allen voran Oberbürgermeister Thomas Keck machte aus seiner Enttäuschung darüber keinen Hehl. Sowohl der OB als auch Landrat Ulrich Fiedler machten klar, nach den obersten Verwaltungsbeamten sei nun die Landespolitik am Zug.
»Hatte die Bitte formuliert, den Landtag über die Gespräche zu unterrichten«
Prompt reagierten darauf Politiker im Land und in den Kommunen: Noch vor besagtem Pressegespräch versandte MdL Manuel Hailfinger (CDU) per E-Mail seine »Stellungnahme zum Abschluss der aus der Stadtkreisdebatte resultierenden Gespräche«: »Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Stadt Reutlingen nun ihr Bedauern darüber zum Ausdruck bringt, dass es ohne den Rückhalt des Landes zu keinen substanziellen Änderungen kommen wird und sich daher die Option einer erneuten Antragstellung auf Gründung eines Stadtkreises offenhält«, teilte er mit. »Mit den Abgeordneten des Landtags von Baden-Württemberg als Landesgesetzgeber hat die Stadt im Rahmen des mehrjährigen Gesprächsprozesses ja noch gar nie gesprochen, obwohl im Landtagsbeschluss vom 20. Dezember 2018 die Bitte formuliert war, dass Stadt und Landkreis den Landtag über die Gespräche und nicht nur über das Ergebnis unterrichten«, erklärte er vom Haus der Abgeordneten in Stuttgart aus.
»Als Abgeordneter bin ich sehr gerne bereit, Stadt und Kreis auf dem Wege der Verbesserung der kommunalen Zusammenarbeit und Aufgabenerfüllung zu unterstützen.« Das habe er der Stadt auch mitgeteilt, nachdem er schon am 1. April als Kreisrat vom Abschluss jener Gespräche erfahre hatte. »Leider wurde mein Wunsch, vor der jetzigen Beendigung des Gesprächsprozesses zwischen Stadt und Kreis in Gespräche mit den Abgeordneten des Landtags einzutreten, von der Stadt Reutlingen gestern abgelehnt.«
»Stadt und Landkreis sind dem ausdrücklichen Auftrag des Landtags nachgekommen «
Tags darauf äußerten auch Reutlinger Gemeinderäte Kritik am Vorgehen von Stadt und Kreis: In einer gemeinsamen Pressemitteilung erklärten Gabriele Gaiser (CDU) sowie Dr. Karsten Amann und Katharina Ernst (Grüne und Unabhängige) jeweils für ihre Fraktionen »zum Zwischenstand der Gespräche« zwischen Stadt und Kreis: »Wir bedauern es sehr, dass es die Ministerialbürokratie des Landes bislang abgelehnt hat, die gemeinsamen Vorschläge von Stadt und Landkreis zu Änderungen in der Kompetenz- und Finanzverteilung unterhalb der Gründung eines Stadtkreises aufzugreifen. Der Landtag hatte im Dezember 2018 ausdrücklich den Auftrag erteilt, solche Vorschläge für eine bessere Aufgabenerfüllung durch die Stadt zu entwickeln. Dem sind Stadt und Landkreis nachgekommen, was wir unterstützt haben und im Interesse der Großstadt Reutlingen auch für notwendig erachten.«
Jedoch, so argumentieren die Vertreter der beiden Fraktionen: »Nach unseren Informationen haben die zuständigen Ministerien die Koalitionsfraktionen bislang nicht in diesen Prozess eingebunden. Wir halten es daher für einen politischen Fehler, wenn sich OB und Landrat im jetzigen Stadium öffentlich positionieren und barsche Vorwürfe erheben, ohne zuvor ihrerseits die Landtagsfraktionen und vor allem die örtlichen Abgeordneten einbezogen zu haben.« Sie hätten »leider nicht einmal den Versuch dazu unternommen«. Dieses Vorgehen baue »unnötige Fronten zum Land auf, die die Suche nach konstruktiven Lösungen auf parlamentarischer Ebene erschweren. So kommen wir beim gemeinsamen Ziel der Stärkung der Stadt Reutlingen in Kompetenzen und Finanzkraft nicht voran!«
Stattdessen sollten jetzt Gespräche mit den Landtagsfraktionen geführt werden. Umgekehrt erwarteten sie »die Offenheit für Änderungen im Interesse der Stadt« auch von den Abgeordneten. Anders als OB und Landrat sehen sie »den Prozess nicht als beendet an«.
»Habe Worte ausgewogen gewählt: Wir machen das Land nicht schlecht, aber fühlen uns schlecht behandelt«
OB Keck ist vor allem von Hailfingers Reaktion »sehr irritiert«. Die sei »völlig daneben« und verkehre die Reihenfolge. Er teilt Landrat Fiedlers Überzeugung: »Stadt und Landkreis Reutlingen haben getan, womit sie der Landtag beauftragt hatte.« Begleitet durch Wicker als Moderator folgten sie in sieben Gesprächen dem Auftrag eines Gesprächsprozesses, »bei dem die Zusammenarbeit und Aufgabenverteilung zwischen Stadt und Landkreis in den Blick genommen wurde«. Gemeinderat und Kreistag wurden begleitend informiert. Der Austausch war beiden zufolge konstruktiv. Gemeinsam hätten sie Aufgaben identifiziert, die vom Kreis an die Stadt übertragen werden könnten, und zusätzlich zu den geforderten Gesprächen die Ministerien eingebunden, erklärt Fiedler.
Über ihre Ergebnisse sowie die Rückmeldungen informierten sie zuletzt Landtagspräsidentin Muhterem Aras. »Der Auftrag ist damit erfüllt«, betont OB Keck. »Jetzt ist der Landtag am Zug.« Die Abgeordneten könnten sich nun ein Bild machen und verhandeln. »Wir sind offen und hoffen weiter auf konstruktive Gespräche.« Er verwehrt sich gegen Vorwürfe, er mache jetzt das Land schlecht. »Ich habe meine Worte ausgewogen gewählt: Wie fühlen uns vom Land schlecht behandelt.« (GEA)