REUTLINGEN. Wie ein Häufchen Elend sitzt ein 41-jähriger Mann auf der Anklagebank. Die schlanke Gestalt wirkt mit ihren halb geschlossenen Augen etwas schläfrig, sagt so gut wie gar nichts oder ganz leise. Doch schon die auch während der Verhandlung angelegten Handschellen verraten, dass der aus der Untersuchungshaft vorgeführte Mensch auch anders kann. Denn angeklagt ist der gebürtige Sudanese mit deutschem Pass wegen mehreren Fällen von vorsätzlicher Körperverletzung, schweren räuberischen Diebstahl sowie Bedrohung und Nötigung. Alles passiert im Februar diesen Jahres kurz nach seiner Haftentlassung. Besonders schwer wiegt das, was sich in einem Reutlinger Supermarkt abgespielt hat.
Staatsanwalt Elmar Jung beschreibt die Vorwürfe mit drastischen Worten. Der Angeklagte habe sich bei dem Discounter ohne zu bezahlen mit Lebensmitteln und Alkohol eindecken wollen. Besondere Mühe, den Diebstahl zu verbergen, habe er sich nicht gegeben. »Sollten Dritte sich doch einmischen, wollte der Angeschuldigte diese mit Drohungen abschrecken und - falls dies nicht erfolgreich sein sollte - mit Gewalt außer Gefecht setzen. Zu diesem Zweck nahm er zwei große Küchenmesser und ein kleineres Klappmesser in seinem Rucksack mit«, verliest Jung die Anklageschrift. An der Kasse kommt es zu einer kritischen Konfrontation.
Anklageschrift mit sieben unabhängigen Handlungen
Die stellvertretende Filialleiterin des Discounters bittet den Ladendieb, seinen Rucksack zu öffnen, und wird sofort auf überwiegend nicht zitierbare Weise brutal beschimpft. Laut Staatsanwaltschaft bezeichnete der Angeklagte die Frau auch als »Schlampe«, und drohte ihr damit, sie »abzustechen«. In den Supermarkt habe er gerufen, »ich stech euch alle ab, ich habe ein Messer«. Eine Kundin mit Kind bedrohte er im Geschäft sowie auch davor, »packte sie gewaltsam am Kragen, wodurch sie Schmerzen erlitt, und erklärte ihr, dass er sie vergewaltigen würde«, sagt Staatsanwalt Jung. Die völlig verängstigte Frau erleidet eine Panikattacke. Insgesamt enthält die Anklageschrift sieben voneinander unabhängige strafbare Handlungen. Was ist das für ein Täter, fragt sich das reichlich vorhandene Publikum im Sitzungssaal 1, und wird von Amtsrichter Eberhard Hausch mit dem unfassbar langen Vorstrafenregister des Angeklagten ins Bild gesetzt.
Der Vorsitzende des Prozesses braucht über eine halbe Stunde dafür zu verlesen, was für eine kriminelle Karriere der Mann bereits hinter sich hat. Geboren im Sudan, ausgewandert in die USA, ab 1991 schließlich in Deutschland hat der Angeklagte bereits als Minderjähriger Autos geklaut. Es folgen immer wieder weitere Diebstähle, Beleidigungen, Körperverletzungen, Nötigungen, Misshandlungen und anderes mehr. 2013 wird der Mann jahrelang in den Knast geschickt, kommt im September 2022 schließlich raus - um kurz darauf, wieder straffällig zu werden. Abgesehen davon läuft noch ein Prozess gegen ihn wegen Missetaten während seiner Haftzeit. Der psychiatrische Sachverständige Dr. Heiner Missenhardt attestiert eine Persönlichkeitsstörung. Dabei ist das nur eine Hälfte der Probleme dieser gescheiterten Existenz.
Angeklagter ist von Drogen abhängig
Ebenfalls seit Jahrzehnten ist der Angeklagte von allen möglichen Drogen mehr oder weniger abhängig. Seien es Alkohol oder Kokain oder Amphetamine oder weitere illegale Substanzen - er gehört zu den Konsumenten. Mehrere Therapien und Entziehungskuren scheitern. Die Lage scheint insgesamt wenig hoffnungsvoll. Jedenfalls ist der ruhig und harmlos wirkende Mensch im Gerichtssaal ansonsten ganz anders unterwegs gewesen. Zu seinem Vorteil ist er umfassend geständig. In ihren Plädoyers liegen Verteidigung und Staatsanwaltschaft recht nahe beeinander.
Für die Anklage fordert Elmar Jung eine Gesamtstrafe von drei Jahren und acht Monaten, »wir können so ein Verhalten nicht tolerieren, und müssen die Allgemeinheit schützen«. Pflichtverteidiger Steffen Kazmaier plädiert auf zwei Jahre und sechs Monaten, da es sich um einen minderschweren Fall handele. Am Ende lautet das Urteil des Schöffengerichts: Drei Jahre und vier Monate Freiheitsstrafe in der Hoffnung, die kriminelle Karriere des Mannes werde damit enden. (GEA)