REUTLINGEN. Es gibt schlimmere Orte, um seine Freizeit zu verbringen, als auf den 40 gepolsterten Ledersesseln im holzgetäfelten großen Sitzungssaal des Reutlinger Ratsgebäudes. Aber natürlich auch spaßigere. Um die Entschädigungen für die Ausübung ihres Ehrenamts einordnen zu können, hatten Stadträte der CDU-, Grüne und Unabhängige-, SPD-, FWV-, AfD- und WiR-Fraktion zusammen mit den beiden Vertretern der FDP Ende Juli Angaben aus fünf vergleichbaren Städten angefordert. Hintergrund ihres Antrags: Die Entschädigungen wurden in den vergangenen sieben Jahren nicht angepasst. Ungeachtet der Inflations- oder Tarifentwicklung.

Die Verwaltung hat dem Gremium inzwischen Vergleichswerte aus sieben Städten ähnlicher Größe im Land vorgelegt. Darunter ist Heidelberg mit 155.756 Einwohnern die größte, gefolgt von Pforzheim (134.912 Einwohner), Heilbronn (131.986), Ulm (129.882), Esslingen (96.182), Ludwigsburg (92.858) und Tübingen (91.000). Reutlingen liegt da mit seinen nach neuesten Zählungen 117.434 Einwohnern etwa in der Mitte. Ähnliches gilt für Sitzungsgeld, Sachmittel und bereitgestellte Räumlichkeiten für Räte und Fraktionen: Auch da bewegt sich Reutlingen im Mittelfeld. Ulm zahlt geringfügig mehr, Tübingen deutlich weniger - rechnet den Zeitaufwand dafür stundengenau ab.
Unterschiede bei Fahrtkosten und Tablets
Überhaupt sind die ausgewählten Städte nicht in jeder Hinsicht mit Reutlingen vergleichbar. Zumal der interfraktionelle Antrag zur Auflistung der Grundbeträge, zusätzlichen Vergütungen für Fraktionsvorsitzende und des Sitzungsgelds auch Angaben über Sachmittel, Verfügungsmittel, Geld für Personalkosten und bereitgestellte Räumlichkeiten - inklusive der Ausstattung - einfordert. Die Verwaltung hat die elf Punkte für jede der acht Städte in einer Tabelle zusammengefasst - abrufbar unter der Nummer 25/006/032.1 im Online-Ratsinformationssystem.

Die zeigt: Heilbronn ähnelt Reutlingen bezüglich der pekuniären Entschädigungen am ehesten, gefolgt von Ludwigsburg und Esslingen. Lediglich vier der Städte - bei Ludwigsburg weiß man's nicht - erstatten den Räten wie Reutlingen die Fahrtkosten. Nur Heilbronn zahlt ihnen ebenfalls einen Kilometerbetrag, allerdings einen niedrigeren.

Zuschläge für Fraktionsvorsitzende variieren zwischen 10 Euro pro Fraktionsmitglied - in Reutlingen sind es 39 Euro - und pauschal 400 Euro im Monat. Sitzungs- und Ausschussgeld wird mal pauschal, mal wie in Reutlingen nach zeitlichem Aufwand gestaffelt bezahlt. Sachmittel wie etwa Tablets und Zeitungsabos stellt Heidelberg keine, bei Verfügungsmitteln passen Heilbronn und Esslingen, die anderen verfahren ähnlich wie die Echazstadt.
Keine Stadt nutzt ein Indexverfahren
Entscheidend scheint: Keine der abgefragten Städte erhöht die Entschädigungen automatisch in Form eines Indexverfahrens. Von Ludwigsburg gibt es auch dazu keine Angaben. Pforzheim nennt für 2023 eine einmalige Inflationsausgleichszahlung.

Im baden-württembergischen Landtag hingegen wird die Grundentschädigung der Abgeordneten jährlich an die allgemeine Einkommensentwicklung angepasst. Damit argumentierten die Antragsteller. Die Ausübung eines solchen Mandats gilt laut Bundesverfassungsgericht aber auch als berufliche Tätigkeit, anders als das zeitintensive Ehrenamt im Gemeinderat. Deshalb müssen die Landtagsmitglieder ihr Entgelt entsprechend versteuern - Gemeinderäte erst ab 250 Euro im Monat.
Fazit und weiterführende Idee
Das vorläufige Fazit von Oberbürgermeister Thomas Keck und der Gemeinderats-Geschäftsstelle: »Insbesondere die ausgezahlten Grundbeträge und Sitzungsgelder liegen in den meisten Städten auf ähnlichem Niveau. Richtig ist, dass in Reutlingen die Entschädigungssatzung zuletzt im Jahr 2016 geändert wurde.« Doch gab es damals deutliche Erhöhungen, »zu denen die Vergleichsstädte inzwischen aufgeschlossen haben«. Auch die Finanzierung der Fraktionsarbeit und Bereitstellung der Fraktionszimmer weise, entsprechend der Größe, »keine gravierenden Unterschiede« zu anderen Städten im Land auf.

Doch hat die Auswertung den OB und die Verwaltung auf eine Idee gebracht: Sie finden Heidelberg und Pforzheim mit ihren Pauschalzahlungen interessant, da diese den »Verwaltungsaufwand deutlich reduzieren«. Dabei fallen die Monatspauschalen mit 900 beziehungsweise 600 Euro deutlich höher aus als der monatliche Grundbetrag plus Sitzungsgelder in Reutlingen. Dafür erhalten die Räte dort aber auch keine Entschädigung für die einzelnen Sitzungen - und keine Fahrtkosten. Man prüfe jetzt, »ob dieses Modell auch für Reutlingen eine Option sein könnte« - und will dazu mit den beiden größeren Städten im Badischen nochmals Kontakt aufnehmen. (GEA)
Einsatz und Entschädigung
Gemeinde- und Stadträte sind die politischen Vertreter der Bürger, entscheiden über Angelegenheiten der Gemeinde und kontrollieren (Ober-)Bürgermeister und kommunale Verwaltungen. In Gemeinderats- und Ausschusssitzungen bringen sie in Großstädten wie Reutlingen deutlich mehr als 30 bis 35 Stunden im Monat mit der Arbeit im Gemeinderat zu, erläutert die Landeszentrale für politische Bildung (LpB) Baden-Württemberg. Der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg zufolge haben sie als ehrenamtlich Tätige »Anspruch auf Ersatz ihrer Auslagen und ihres Verdienstausfalls«.
Stundensätze sowie Aufwandsentschädigungen für Reisekosten legt jede Kommune in einer entsprechenden Satzung fest. In Reutlingen erhält jeder Stadtrat und jede Stadträtin entsprechend der am 24. November 2016 geänderten Satzung im Monat einen Grundbetrag von 330 Euro. Für den Fraktionsvorsitz kommen dazu 39 Euro je Mitglied monatlich hinzu. Für jede Sitzung, an der die Räte teilnehmen, erhalten sie 55 Euro, falls diese länger als vier Stunden dauert 77 Euro.
Als »Fraktionsmittel« gibt es darüber hinaus für jedes Mitglied des Gemeinderats ein Tablet, auf Wunsch mit einem Abo des GEA oder der Reutlinger Nachrichten. Im Jahr stehen jeder Fraktion 3.000 Euro an Verfügungsmitteln zu und pro Fraktionsmitglied darüber hinaus 800 Euro. Dazu kommen, ebenfalls pro Mitglied, 600 Euro. Jeder Fraktion steht im Ratsgebäude ein Raum mit PC zur Verfügung. Die Fahrtkostenentschädigung beträgt 35 Cent pro Kilometer. (dia)

