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Aktuell Bundestagswahl

Kober, Tatti, Zerr und Naser sprechen über ihre Achterbahn der Gefühle

Aus für die MdBs Kober und Tatti, kein Mandat für CDU-Sieger Naser - und auch sonst für niemand aus der Region Tübingen. Dazu der lange unsichere Einzug der Reutlinger Linken. Rück- und Ausblicke am Tag danach.

Jede Stimme zählt - aber manchmal führt auch ein klarer Sieg nicht zu einem Sitz in Berlin. So geschehen im Wahlkreis Tübingen u
Jede Stimme zählt - aber manchmal führt auch ein klarer Sieg nicht zu einem Sitz in Berlin. So geschehen im Wahlkreis Tübingen und drei weiteren Regionen. Foto: Meyer
Jede Stimme zählt - aber manchmal führt auch ein klarer Sieg nicht zu einem Sitz in Berlin. So geschehen im Wahlkreis Tübingen und drei weiteren Regionen.
Foto: Meyer

KREIS REUTLINGEN/KREIS TÜBINGEN. Für den Wahlkreis Tübingen-Hechingen ist in der Nacht auf Montag ein Worst-Case-Szenario eingetreten: Die Region, die neben der Unistadt die Härtenorte Kusterdingen und Jettenburg, Pfrondorf und Dettenhausen, aber auch das katholische Rottenburg und Teile des Zollernalbkreises umfasst, ist künftig nicht mehr direkt in Berlin vertreten. Kein einziger der aufgestellten Kandidaten aus dem Wahlkreis 290 hat es dem vorläufigen Ergebnis der Bundeswahlleiterin zufolge geschafft, nach der vorgezogenen Wahl vom 23. Februar ins Parlament einzuziehen.

Dabei hatten diesen Wahlkreis schon mal fünf, zuletzt vier Abgeordnete vertreten. Doch langjährige Kandidaten der CDU, SPD und Grünen waren nicht mehr angetreten, die noch eher unbekannten Nachfolger mit schlechten Listenplätzen ihrer Parteien ausgestattet - oder, wie im Fall von CDU-Kandidat Christoph Naser, standen dort gar nicht drauf. So fielen sie der jüngsten Wahlreform zum Opfer: Weil der Bundestag kleiner werden soll, führen gute Erststimmenergebnisse nicht mehr zu sogenannten Überhangmandaten.

Naser übt scharfe Kritik an der Wahlreform

Somit geht jetzt auch Naser erstmal nicht für die 54.250 Wählerinnen und Wähler des Wahlkreises Tübingen nach Berlin. Obwohl er mit 31,7 Prozent der Wählerstimmen den Wahlkreis gewonnen hat - das sind 4,7 mehr als seine Vorgängerin, die Frauenunionsvorsitzende Annette Widmann-Mauz. »Nur das Mandat bekomme ich nicht«, stellt der 33-Jährige am Tag danach nüchtern fest. Klar war das in der Nacht auf Montag erst zwischen 2 und 3 Uhr in der Früh'. Letztlich habe es »nicht ganz gereicht«.

CDU-Mann Christoph Naser (rechts) wird vom Tübinger Landrat Joachim Walter beglückwünscht.
CDU-Mann Christoph Naser (rechts) wird vom Tübinger Landrat Joachim Walter beglückwünscht. Foto: Jürgen Meyer
CDU-Mann Christoph Naser (rechts) wird vom Tübinger Landrat Joachim Walter beglückwünscht.
Foto: Jürgen Meyer

Was war das für ein Gefühl, nachdem er zuvor Glückwünsche und Lob für sein »wirklich gutes Ergebnis« in einem »herausfordernden Wahlkreis« entgegengenommen hatte? Er hatte »zwei Gefühle gleichzeitig«, sagt der Vikar. »Zum einen ganz große Dankbarkeit für das mir entgegengebrachte Vertrauen. Es wäre mir eine große Ehre gewesen, diesen Auftrag auch ganz konkret in Berlin anzugehen.« Und zum andern Enttäuschung darüber, dass das, wovor seine Partei schon gewarnt hatte, nun »bittere Realität geworden ist«. Das gehöre geändert, denn: »Es ist ein schlechtes Wahlgesetz, das die Ampel auf den letzten Metern noch aufs Gleis gesetzt hat«, findet er. Dass sie in der Hauptstadt nun nicht repräsentiert werden, trifft ja nicht nur die knapp 200.000 Wahlberechtigten in 21 Gemeinden auf rund 789 Quadratkilometern Fläche im Wahlkreis Tübingen - sondern noch drei weitere in ganz Deutschland, davon zwei ebenfalls in Baden-Württemberg: Darmstadt, Stuttgart II und Lörrach mit insgesamt rund 600.000 weiteren Wahlberechtigten. Alle vier haben CDU-Kandidatinnen und -Kandidaten gewonnen.

Wie geht es für ihn nun weiter? Der Politikwissenschaftler und Theologe hat als Pfarrvikar der Stephanuskirche Tübingen und Religionspädagoge an der Grundschule Aischbach »einen sicheren Beruf«. Zudem will er sich im Ehrenamt als CDU-Kreisvorsitzender weiter für den Auftrag, den ihm seine Wähler mitgaben, stark machen. Dass Michael Donth und Thomas Bareiß von den Nachbarwahlkreisen 289 Reutlingen und 295 Zollernalb-Sigmaringen anboten, in einer Art »Betreuungsfunktion« die Interessen der Menschen zwischen Kusterdingen und Rottenburg mit zu übernehmen, sei gut. »Aber das reicht nicht.« Als Nachrücker stehe er auf Platz 3 - somit gibt der zweifache Vater die Hoffnung noch nicht auf, dass er irgendwann doch noch »den Auftrag und das Vertrauen« seiner Wähler vom 23. Februar in Berlin »rechtfertigen« kann.

Auch zwei MdBs aus dem Wahlkreis Reutlingen sind raus

Eine Zitterpartie haben am Sonntagnacht auch zwei Bundestagsmitglieder aus dem Wahlkreis Reutlingen durchlebt: Jessica Tatti vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und Pascal Kober von der FDP. Sind sie drin oder nicht? Für Kober war das Ausscheiden schon relativ früh absehbar, er meint, gegen 21.30 Uhr sei das gewesen. Für die 43-jährige Reutlingerin Tatti hingegen zog sich der Wahlkrimi bis in die frühen Morgenstunden. Dann stand fest: BSW hat bundesweit die Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft und ist somit im nächsten Bundestag nicht vertreten.

Jessica Tatti (links) mit anderen baden-württembergischen Spitzenpolitikern und SWR-Moderatoren  vor der Bundestagswahl am 12. F
Jessica Tatti (links) mit anderen baden-württembergischen Spitzenpolitikern und SWR-Moderatoren vor der Bundestagswahl am 12. Februar in Stuttgart. Foto: Bernd Weißbrod/dpa/dpa
Jessica Tatti (links) mit anderen baden-württembergischen Spitzenpolitikern und SWR-Moderatoren vor der Bundestagswahl am 12. Februar in Stuttgart.
Foto: Bernd Weißbrod/dpa/dpa

Sie war seit Oktober 2017 - bis 2023 für Die Linke - Mitglied des Deutschen Bundestags. Seit Oktober 2024 war die gelernte Sozialarbeiterin Co-Vorsitzende des BSW Baden-Württemberg sowie zuletzt Parlamentarische Geschäftsführerin der BSW-Gruppe im Bundestag. Bereut sie den Wechsel in der Spurrinne ihrer ehemaligen Linken-Kollegin Wagenknecht nun? Und was hat sie künftig vor? Das hätten wir Jessica Tatti, die zwar bei etlichen Podien in ihrer Heimat aufgetreten, aber nicht Direktkandidatin des BSW im Wahlkreis Reutlingen war und den Wahlabend in Berlin verbrachte, gern gefragt. Sie war bis Redaktionsschluss jedoch nicht zu erreichen.

»Nicht aller Tage Abend« für FDP-Mann Pascal Kober

Auch Pascal Kober, seit 2009 - mit einer Unterbrechung - drei Legislaturperioden lang für die Liberalen im Bundestag, konnte sein Mandat nicht halten. Obwohl er bei den Erststimmen mit 5,6 Prozent über dem FDP-Bundesergebnis lag, scheiterte die Partei ebenfalls an der Fünf-Prozent-Hürde. Sonst wäre dem 53-Jährigen mit Landeslistenplatz 4 der Sitz im Reichstagsgebäude sicher gewesen. Am Tag danach ist er »natürlich enttäuscht, aber zugleich dankbar für Jeden, der in diesen schwierigen Zeiten dennoch die FDP gewählt hat«. Im ganzen Wahlkreis lag er schließlich über dem Bundes- und Landesschnitt. Der kurze Wahlkampf habe nicht viel Zeit gelassen, die den Liberalen wichtigen Inhalte zu vermitteln, erklärt er. »Unsere Themen wurden zeitweise überlagert durch die Migrationsthematik.« Aber die Veranstaltungen waren gut besucht und »wenn es am Ende nicht gereicht hat, so lag es nicht am Wahlkreis Reutlingen«. Somit ist aus seiner Sicht »noch nicht aller Tage Abend«.

Verfolgt die Hochrechnungen gebannt, hat sein Bundestagsmandat aber aller Voraussicht nach verloren: FDP-Mann Pascal Kober.
Verfolgt die Hochrechnungen gebannt, hat sein Bundestagsmandat aber aller Voraussicht nach verloren: FDP-Mann Pascal Kober. Foto: Schanz
Verfolgt die Hochrechnungen gebannt, hat sein Bundestagsmandat aber aller Voraussicht nach verloren: FDP-Mann Pascal Kober.
Foto: Schanz

Während seiner Bundestagspause 2013 bis 2017 war der gebürtige Sindelfinger als Militärseelsorger tätig. Da er als evangelischer Theologe einen »erlernten Beruf« hat, drohe er auch jetzt nicht »ins Bodenlose abzustürzen«, sagt er am Tag nach der Bundestagswahl 2025. Er werde nun mit seinem Arbeitgeber, der Kirche, verhandeln.

Reutlinger Linke freuen sich

Ein Auf und Ab der Gefühle haben auch Anne Zerr und ihre Unterstützer von der Partei Die Linke aus dem Wahlkreis Reutlingen in der Wahlnacht durchlebt - aber mit positivem Ausgang: Die 1993 geborene Verdi-Gewerkschaftssekretärin erfuhr bei der Wahlparty im Reutlinger S-Haus ebenfalls erst um halb zwei Uhr früh, was ihre Zukunft bringt. Für die bei Podien selbstbewusst und kämpferisch mit viel Lust auf die Oppositionsarbeit auftretende 32-Jährige heißt das allerdings: Auf nach Berlin! Für sie hat es mit dem Landeslistenplatz 5 letztlich doch gereicht. Sechs Linke-Vertreter aus Baden-Württemberg ziehen nun ins Parlament ein. Doch der Mandatsrechner hatte lange gebraucht, um dieses Ergebnis auszuspucken. »Wir haben eine ganz kurze Nacht gehabt«, sagt deshalb der Reutlinger Linken- Stadt- und Kreisrat Rüdiger Weckmann am Montagvormittag. Aber auch: »Wir freuen uns.« (GEA)

Für Anne Zerr von den Reutlinger Linken hat sich der Haustürwahlkampf gelohnt: Dabei hat sie viele Gespräche geführt - und zieht
Für Anne Zerr von den Reutlinger Linken hat sich der Haustürwahlkampf gelohnt: Dabei hat sie viele Gespräche geführt - und zieht nun über die Landesliste in den Bundestag ein. Foto: STEFFEN SCHANZ
Für Anne Zerr von den Reutlinger Linken hat sich der Haustürwahlkampf gelohnt: Dabei hat sie viele Gespräche geführt - und zieht nun über die Landesliste in den Bundestag ein.
Foto: STEFFEN SCHANZ