Logo
Aktuell Geld

Knapp die Hälfte der Reutlinger Grundstücke wird teurer

Gemeinderat segnet mehrheitlich die neuen Hebesätze für Grund- und Gewerbesteuer ab. Häme und Kritik aus den Ratsreihen für das Nein der CDU-Fraktion.

Wenig Haus auf viel Grund: Eigentümer von Einfamilienhäusern müssen ab 2025 tiefer in die Tasche greifen.
Wenig Haus auf viel Grund: Eigentümer von Einfamilienhäusern müssen ab 2025 tiefer in die Tasche greifen. Foto: Agenturen
Wenig Haus auf viel Grund: Eigentümer von Einfamilienhäusern müssen ab 2025 tiefer in die Tasche greifen.
Foto: Agenturen

REUTLINGEN. Reutlinger Grundstücksbesitzer können jetzt die Bescheide des Finanzamts und Taschenrechner zücken: Kurz vor Beginn des neuen Jahres hat der Reutlinger Gemeinderat am Dienstagabend die von der Stadtverwaltung vorgeschlagenen Hebesätze für Grund- und Gewerbesteuer abgesegnet. 320 Prozent Hebesatz für die Grundstücke (Grundsteuer B: bisher 500), 500 Prozent für die Betriebe der Land- und Forstwirtschaft (Grundsteuer A: bisher 320). Der Gewerbesteuersatz bleibt mit 410 Prozent unverändert.

Die CDU stimmte gegen den Verwaltungsvorschlag und hat einen eigenen Vorschlag eingebracht. Darin fordert sie unter anderem die Senkung des Hebesatzes der Grundsteuer B auf 290 Prozent. Das Vorgehen der CDU brachte ihr im übrigen Rat viel Hohn und Kritik ein. Der umstrittene baden-württembergische Sonderweg bei der Umsetzung der Grundsteuerreform - das neue »modifizierte Bodenwertmodell« - wurde schließlich in Stuttgart gestrickt, von einer Landesregierung, an der die CDU bekanntlich mitwirkt.

»Die CDU hat Scheiß' gebaut«

Unterstützung bekam die CDU bei der Abstimmung nur von der FDP. Die AfD-Fraktion enthielt sich.

Im Fokus der Debatte: die Grundsteuer B. Nach der Formel »Grundsteuermessbetrag mal Hebesatz geteilt durch Hundert« wird bei vielen Bürgern eine Grundsteuerlast auf dem Bescheid stehen, die für Unmut sorgen dürfte. Knapp die Hälfte der Grundstücke wird höher belastet - teils bis zum Vierfachen und mehr. Die übrigen werden entlastet oder zahlen gleich viel wie zuvor.

Das neue »modifizierte Bodenwertmodell« in Baden-Württemberg belastet ab 1. Januar vor allem Eigentümer von Einfamilienhäuser teils deutlich höher, insbesondere, wenn die Immobilie auf einem großen Grundstück steht. Entlastet werden Mehrfamilienhäuser und Gewerbe.

Eine Maßgabe bei der Umsetzung der von Bund und Land verordneten Steuerreform war Aufkommensneutralität. Das heißt für Reutlingen bei der Grundsteuer B laut Finanzdezernent Roland Wintzen konkret, dass vor und nach der Reform 25, 6 Millionen Euro ins Stadtsäckel fließen sollen. »Wir halten Wort bei der Aufkommensneutralität.« Lediglich die Verteilung der Steuerlast auf die Grundstücke ändert sich.

»Der Städtetag ist bei der Landesregierung nicht durchgedrungen. Das bedauere ich«

»Wir wollen keine weitere Belastung der Bürger«, begründete die CDU-Fraktionsvorsitzende Gabriele Gaiser das Nein ihrer Fraktion zum Verwaltungsvorschlag. Auch alle Gebühren würden angehoben. Derweil müssten die privaten Haushalte sparen. »Das ist nicht gut für die Konjunktur.«

Der Sprecher der Grünen und Unabhängigen, Dr. Karsten Amann, bezichtigte die CDU der »politischen Instrumentalisierung« der Abstimmung. Das Land gebe das Modell vor, der Rat könne das Problem nicht auf kommunaler Ebene regeln. Der Vorschlag der CDU-Fraktion bedeute 2,4 Millionen Euro weniger Einnahmen für die Stadt. Die CDU-Fraktion bringe keinen Kompensationsvorschlag. Zugleich mache sie Stimmung mit dem Thema, indem sie öffentlich behaupte, dem Bürger werde »das Geld aus der Tasche gezogen«.

Auch SPD-Fraktionschef Helmut Treutlein gab sich »empört« darüber, wie die CDU in den sozialen Medien verbreite, die Grundsteuer werde »erhöht«. »Falsch und unaufrichtig« sei diese Behauptung. »Sie wollen vom Versagen Ihrer eigenen Landesregierung ablenken«, wetterte er in Richtung der sonst so beredeten CDU-Chefin, die auf diese Anwürfe keine Erwiderung fand. Gleichwohl findet er nicht als einziger im Rat die neue Steuer »unsozial«, weil sie bescheidene Häusle aus den 50/60-Jahren, die teils auf vergleichsweise großen Grundstücken stehen, besonders treffe.

Für die Linke Liste/Die Partei äußerte Timo Widmaier das Unbehagen über das Reformmodell des Landes. »Wir müssen hier Fehlentscheidungen kompensieren.« Er lobte die Grünen dafür, dass sie - anders als die CDU - wenigstens die Konsequenzen der Stuttgarter Entscheidung auf lokaler Ebene mittragen.

»Wir müssen hier Fehlentscheidungen kompensieren«

FWV-Rat Georg Leitenberger stieß ins gleiche Horn. Er beklagte das »unselige« Bodenwertmodell des Landes. »Das sei in Stuttgart verbockt worden« und ein »unzulässiger Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung«.

»320 Prozent erscheinen immer realistischer«: WiR-Chef Jürgen Straub nahm die Stadt gegen den Vorwurf in Schutz, dass der Wert zu sehr nach oben abweiche von dem vom Land errechneten und im umstrittenen Transparenzregister veröffentlichten Richtwert für Reutlingen. Er war mehrfach angehoben und liegt jetzt bei bis zu 306 Prozent.

Hansjörg Schrade, der AfD-Fraktionsvorsitzende, sieht dennoch einen »Sturm« losbrechen, der die Reutlinger Räte treffen werde, obwohl er nach Stuttgart gehöre. Grüne und CDU wollten »alte Leute aus dem Einfamilienhaus vertreiben«, das sie mit ihrer Hände Arbeit und ihren Ersparnissen erworben hätten.

»Wir halten Wort bei der Aufkommensneutralität«

FDP-Rat Hagen Gluck machte es kurz und pointiert: »Die CDU hat Scheiß' gebaut«, den man ändern müsse. Sie trüge ein gerüttelt Maß an Schuld mit. Dennoch stimme die FDP mit der CDU für die Senkung der Hebesätze.

Finanzbürgermeister Wintzen machte deutlich, dass dieser Vorschlag nicht umzusetzen ist. Bei einer Absenkung des Satzes für die Grundsteuer B auf 290 Prozent entstehe eine Loch von mal eben 2,4 Millionen Euro, dass gedeckt werden müsse. Angesichts der finanziellen Lage der Stadt nicht machbar, im neuen Jahr droht die nächste Haushaltssperre.

Luft ist noch drin bei der Grundsteuer A. Hier fordert die CDU-Fraktion 320 statt 500 Prozent. Bisher zahle man 20, 30 Euro pro Hektar, weiß WiR-Rat Straub: Die Sorge der CDU, dass es Bauern wegen der Erhöhung Grundsteuer A an die Existenz geht, hält er für überzogen. Die SPD fordert die Überprüfung der Steuer im Hinblick auf die Frage, ob hier mit viel Aufwand wenig Ertrag geschaffen wird. Betroffen seien im Übrigen auch Streuobstwiesen, deren Erhalt man ja fördern möchte. Die Mehrheit des Rates wünscht die Überprüfung, die Wintzen zusicherte. Die AfD will diese Steuer ersatzlos streichen: Sind doch die Einnahmen von 60.000 Euro jährlich laut Hansjörg Schrade »ein Nasenwasser«.

Doch nun müssen die Kommunen erst mal den Ärger ausbaden, wenn Anfang des neuen Jahres die Grundsteuerbescheide 'rausgehen. Oberbürgermeister Thomas Keck beteuerte noch einmal, wie sehr sich die kommunalen Spitzenverbände gegen das neue Modell gewehrt hätten. »Aber der Städtetag ist bei der Landesregierung nicht durchgedrungen. Das bedauere ich.« (GEA)