Logo
Aktuell Grünflächen

Klimawandel macht in Reutlingen vielen heimischen Bäumen zu schaffen

Der Temperaturanstieg sorgt bis Mitte des Jahrhunderts dafür, dass es in Reutlingen dauerhaft so warm sein wird wie in Südfrankreich. Das führt auch dazu, dass hier andere Bäume gepflanzt werden müssen.

Hier für fünf bis zehn Jahre einen Baum zu pflanzen, der dann wieder weg muss, wäre »rausgeschmissenes Geld«: Georg Frey (links)
Hier für fünf bis zehn Jahre einen Baum zu pflanzen, der dann wieder weg muss, wäre »rausgeschmissenes Geld«: Georg Frey (links) und Arno Valin vom Amt für Tiefbau, Grünflächen und Umwelt vor einem brachliegenden Pflanzbeet am Leonhardsplatz. Foto: Frank Pieth
Hier für fünf bis zehn Jahre einen Baum zu pflanzen, der dann wieder weg muss, wäre »rausgeschmissenes Geld«: Georg Frey (links) und Arno Valin vom Amt für Tiefbau, Grünflächen und Umwelt vor einem brachliegenden Pflanzbeet am Leonhardsplatz.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Letztendlich dreht sich alles ums Geld – und das ist in Reutlingen bekanntermaßen knapp. Für Baumpflanzungen stünden im aktuellen städtischen Etat gerade einmal 100.000 Euro zur Verfügung, berichtet der Leiter des Amts für Tiefbau, Grünflächen und Umwelt, Arno Valin, bei einem botanischen Stadtrundgang mit dem GEA. Bereits Ende 2020 hatte er beantragt, das Budget für die Erhaltung und Entwicklung eines zukunftsfähigen Baumbestands um 500.000 Euro pro Jahr aufzustocken – was aber in den Haushaltsdebatten keine Mehrheit fand.

»Wenn ich weniger Geld zur Verfügung habe«, verweist Arno Valin auf die finanzielle Großwetterlage, »kann ich weniger Bäume pflanzen.« Der Zustand der Stadtbäume habe sich in den letzten 10 bis 20 Jahren verschlechtert – die Klimaveränderung und die damit einhergehende Trockenheit sorge für »immens hohe Schäden an den Bäumen und in der Folge für immens hohe Kosten«.

Die Kastanie (rechts) vor der Kreissparkasse am Marktplatz leidet auch unter der Wärme abstrahlenden Fassade. Foto: Frank Pieth
Die Kastanie (rechts) vor der Kreissparkasse am Marktplatz leidet auch unter der Wärme abstrahlenden Fassade.
Foto: Frank Pieth

Denn oberstes Gebot sei, die Verkehrssicherheit zu gewährleisten – zu verhindern, dass bei Straßenbäumen Kronen oder Äste herunterfallen und Verkehrsteilnehmer gefährden. Im schlimmsten Fall müssten stark geschädigte Bäume auch gefällt werden, obwohl die Schäden für Laien möglicherweise gar nicht erkennbar seien, weil sie zum Beispiel die Wurzeln betreffen. Valin versteht, dass solche Baumfällungen in der Öffentlichkeit stets für Aufgeregtheit sorgen, versichert aber: »Keiner fällt gerne Bäume, das gilt auch für die Mitarbeiter meines Amtes oder der Technischen Betriebsdienste.«

Pflege muss anfangs sein

Vor diesen Hintergründen scheint es willkommen, dass der Verein und die Gemeinderatsfraktion »Wir in Reutlingen« eine Crowdfunding-Aktion ins Leben gerufen haben (siehe Info-Box), um städtische Baumpflanzungen finanzieren zu helfen. Bei einem Pressetermin Anfang August hatte WiR-Fraktionschef Professor Dr. Dr. h.c. Jürgen Straub vor allem auf brachliegende Pflanzbeete verwiesen, die leicht reaktiviert werden könnten: »Loch graben, Baum reinsetzen«, brachte er das angedachte Konzept auf einen plakativen Nenner. Beim Pressetermin mutmaßte Straub, 1 000 Euro reichten für einen »vier bis fünf Meter hohen Baum«, wenn kein neues Pflanzbeet angelegt werden müsse. Und er glaube nicht, dass die »Folgekosten in den ersten zehn Jahren so hoch sein können.«

SPENDENAKTION VON »WIR IN REUTLINGEN«

Seit Anfang des Monats fünfstellige Summe zusammengekommen

Der Verein »Wir in Reutlingen« und die gleichnamige Gemeinderatsfraktion haben, wie berichtet, Anfang August eine Crowdfunding-Aktion unter dem Motto »Mehr Bäume für ein besseres Stadtklima« gestartet. Der gesammelte Betrag soll nach Abschluss der Spendenaktion »mit dem klaren Auftrag« an Oberbürgermeister Thomas Keck übergeben werden, den Betrag »zielgerichtet für die Neupflanzung von Bäumen in der Innenstadt zu verwenden«. Mittlerweile seien bereits mehr als 10 000 Euro auf dem Spendenkonto eingegangen, teilte WiR-Schatzmeisterin Gabriele Schneider auf GEA-Anfrage höchst erfreut mit. Was allerdings »maximal für einen stattlichen Baum und vier bis fünf kleinere Bäume« reiche. Ab Mitte September werde WiR deshalb am Marktplatz weiter für die Baumpflanzaktion werben. Spendenquittungen gibt es ab 100 Euro. (rh) KSK Reutlingen, DE30 6405 0000 0009 4577 40

Arno Valin und Georg Frey, der städtische Fachgebietsleiter für die Grünflächenplanung, widersprechen: Ein neuer, »normaler Stadtbaum mit 20 bis 25 Zentimeter Stammumfang« schlage einschließlich der nötigen Pflegearbeiten wie Erziehungsschnitt, Bewässerung und Düngen in den ersten fünf Jahren mit 5.000 Euro zu Buche. Erst in den Folgejahren lasse der Pflegeaufwand dann nach.

Je größer, desto teurer

Einig ist man sich in dem Punkt, dass die Kosten generell steigen, wenn größere Bäume gepflanzt oder Baumquartiere aufgeweitet oder ganz neu angelegt werden müssen. »Dann sind wir bei 10.000 bis 15.000 Euro«, so Valin, »und wenn dafür noch Leitungen verlegt werden müssen, bei 20.000 Euro.«

Der Amtsleiter bestätigt die WiR-Kritik, dass bestehende Pflanzbeete mit Blick auf zukünftige Planungen derzeit nicht mit neuen Bäumen bestückt werden. Konkretes Beispiel: der Leonhardsplatz, dessen Umgestaltung irgendwann ansteht. Hier, wo ein (zu kleines) Pflanzbeet frei geworden ist, mehrere Tausend Euro für einen Baum nebst Pflege zu investieren, der später womöglich im Weg ist, hält Arno Valin nicht für zielführend. Fachgebietsleiter Frey spricht angesichts der aktuellen finanziellen Situation der Stadt von »rausgeschmissenem Geld«, da es nicht nachhaltig sei, einen Baum nur für fünf bis zehn Jahre zu pflanzen.

Amerikanische Amberbäume (links) und in Südeuropa beliebte Zürgelbäume (Mitte) kommen mit dem trockenen, warmen Stadtklima besse
Amerikanische Amberbäume kommen mit dem trockenen, warmen Stadtklima besser klar. Foto: Frank Pieth
Amerikanische Amberbäume kommen mit dem trockenen, warmen Stadtklima besser klar.
Foto: Frank Pieth

WiR-Stadtrat Marco Wolz hatte angesichts mehrerer solcher Zukunftsprojekte, die Neupflanzungen und somit die Verbesserung des Stadtklimas derzeit blockieren, vom »ewigen Deadlock« gesprochen: Weil man auf etwas warte, dessen Realisierung aufgrund der desolaten Finanzlage und der damit verbundenen Haushaltssperre in weiter Ferne steht.

Kernthema Klimawandel

Arno Valin relativiert – und verweist auf die Komplexität des Themas. »Bäume sind wichtig«, sagt er, »auch für die Verschattung von Plätzen und weil sie durch Verdunstung für Kühle sorgen.« Klar würden Bäume auch CO2 speichern, aber der eine oder andere Stadtbaum mehr rette das Stadtklima nicht: "Jeder Reutlinger produziert jedes Jahr das Zweieinhalbfache an CO2, was eine 100-jährige Buche in 100 Jahren speichert", rechnet Georg Frey vor. Ergo müssten, rein rechnerisch, für jeden der 116.000 Reutlinger jedes Jahr 2,5 100-jährige Buchen gepflanzt werden, um das zu kompensieren.

in Südeuropa beliebte Zürgelbäume kommen mit dem trockenen, warmen Stadtklima besser klar. Foto: Frank Pieth
in Südeuropa beliebte Zürgelbäume kommen mit dem trockenen, warmen Stadtklima besser klar.
Foto: Frank Pieth

Das Kernthema für Valin und Frey sind vielmehr die zunehmenden Trockenheitsperioden und der prognostizierte durchschnittliche Temperaturanstieg in Reutlingen »von möglicherweise sogar drei bis vier Grad bis zum Ende des Jahrhunderts«, so der Amtsleiter. Der Grundwasserspiegel sei »in den letzten zwanzig Jahren in Deutschland mit am stärksten vom Rückgang betroffen«. Und selbst wenn, so Georg Frey, gemäß den Prognosen der Klimatologen die Niederschlagsmengen tendenziell gleich bleiben sollten, gebe es mehr Starkregenereignisse, bei denen das Wasser eher nicht versickert, sondern oberflächlich abfließt.

»Viele unserer heimischen Bäume funktionieren unter diesen erschwerten Bedingungen nicht mehr in der Stadt«, konstatiert Georg Frey. Mit Blick auf die Kastanien und Linden am Leonhardsplatz (von denen eine jetzt schon sichtbar kränkelt) sagt Arno Valin: »Was wir heute hier sehen, wird in zehn bis zwanzig Jahren nicht mehr so sein.«

Es gelte deshalb, so die Fachleute, Bäume zu pflanzen, die den veränderten klimatischen Bedingungen in der Stadt Reutlingen besser standhalten. In Süd-Osteuropa, Nordamerika und Asien gebe es geeignetere Baumarten, wie zum Beispiel den Japanischen Schnurbaum, den unter anderem in südeuropäischen Städten schon häufig zu findenden Zürgelbaum oder den Amerikanischen Amberbaum. Planer erhalten, so Georg Frey, eine Liste, in der die zukunftsträchtigen Baumarten aufgeführt sind – einschließlich der Besonderheiten, wie zum Beispiel typische Krankheiten, auf die man achten müsste.

Baumdach in weiter Ferne

Dass auch die Exoten an extremen Standorten nicht problemlos sind, hat sich Schlagzeilen-trächtig im Bürgerpark rund um die Stadthalle gezeigt. Trotz ihrer Robustheit und Spezialbehandlung durch eine Arbeitsgemeinschaft Reutlinger Gärtner leiden einzelne Exemplare der Schnurbäume dort nach wie vor unter den Standortbedingungen, das einst prognostizierte »Baumdach«, unter dem der mächtige Sockel der Stadthalle verschwinden soll, haben Valin und Frey zwar nicht abgehakt – aber es liegt in weiter Ferne. (GEA)