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Kleine Lederstraße Reutlingen als Fahrradstraße: Eine »Verschlimmbesserung«?

In der Kleinen Lederstraße ist nun auch Radverkehr gegen die Einbahnstraße erlaubt. Foto: Pieth
In der Kleinen Lederstraße ist nun auch Radverkehr gegen die Einbahnstraße erlaubt.
Foto: Pieth

REUTLINGEN. Die Diskussion um die Kleine Lederstraße – konkret die darin jüngst auf 150 Metern neu eröffnete Fahrradstraße – beherrschte die Vorstellung der Arbeitsbilanz der Task Force Radverkehr am Dienstag im Bauausschuss. Bereits im Gemeinderat am vergangenen Donnerstag hatte CDU-Fraktionschefin Gabriele Gaiser beklagt, der Ausbau der Straße habe zu »Verschlimmbesserung« geführt. Sie berichtete von ihrem Erlebnis, dass ihr zwei Radler entgegenkamen, während ein Roller auf dem Trottoir rechts an ihr vorbeiflitzte, und beklagte »erhöhte Gefährdung« für die Radfahrer. »Das kann so nicht weitergehen. Wir können nicht warten, bis ein Radler auf die Motorhaube genommen wird.«

Die Straße sei eine »Überforderung für alle«, steuerte CDU-Rätin Anna Mylona zur Empörung hinzu und berichtete von ihrer Beobachtung, wie ein Radfahrer über den »Zebrastreifen gebrettert ist«, der gerade von einer Mutter mit Tochter überquert wurde. Am Dienstag legte Gaiser nach: »Die Lösung ist so nicht machbar. So kann das nicht bleiben.«

WiR-Chef Professor Dr. Jürgen Straub ist bei der CDU: »So kann das nicht bleiben, das muss man überarbeiten.« Auch FWV-Rat Erich Fritz sieht eine »schwierige Geschichte«. Viele Radfahrer nutzten weiterhin – den bis dato für Radverkehr freigegebenen – Gehweg. »Es ist aber besser geworden«, so sein Eindruck. »Die Radler gewöhnen sich dran.« Edeltraut Stiedl (SPD) konstatierte »bemerkenswerte Aufregung«, die sich sehr auf das Verhalten der Radfahrer konzentriere: »Auch die Autofahrer müssen sich umgewöhnen.«

Rücksicht ist erforderlich

Jaron Immer (Grüne und Unabhängige) erinnerte daran, dass Radfahrer in einer Fahrradstraße bevorrechtigt sind. Wenn sich Autofahrer ans Rechtsfahrgebot hielten, dürfte auch der Radgegenverkehr »konfliktfrei« abzuwickeln sein, glaubt er. Es sei eben Rücksicht erforderlich. Auch FDP-Rätin Regine Vohrer hielt den Ball flach. »Da brettert doch kein Auto ’rein.« Sie selbst fahre da höchstens 10 oder 20 Kilometer pro Stunde.

»Wir bekommen positive und kritische Rückmeldungen«, erklärte Daniel Scheu. Der Chef der Task Force Radverkehr räumte ein: Eine so schmale Straße als Fahrradstraße auszuweisen, sei nicht »Reutlinger Standard«. Die Planung sei aber angesichts der Platzverhältnisse »die einzige Möglichkeit« gewesen, den Unfallschwerpunkt an der Ausfahrt der Rathaus-Tiefgarage zu entschärfen. Zuvor teilten sich die Radler den schmalen Bürgersteig auf dieser Hauptradroute mit den Fußgängern. Der Gehsteig ist jetzt den Passanten vorbehalten, der Radverkehr auf der Straße weiter von der neuralgischen Tiefgaragenausfahrt abgerückt.

Sichtbarkeit für Autofahrer ist entscheidend

Neu auch: Die Radfahrer dürfen die Straße in beide Richtungen nutzen. Entscheidend sei dabei ihre Sichtbarkeit für die Autofahrer, erläuterte Tiefbauamtschef Frank Bader. Autofahrer müssten dann eben anhalten. Es gebe zudem »relativ wenige« Fahrzeuge in der Straße. 90 Prozent der Nutzer würden die Situation kennen. Weil nämlich die Kleine Lederstraße nur in die Fußgängerzone führt und zur »VIP«-Einfahrt der Rathaus-Tiefgarage (siehe Kommentar).

»Wir nehmen Wahrnehmungen dankend an«, versicherte Baubürgermeisterin Angela Weiskopf. Nacharbeiten will man an der Einfädelung der Radstraße. Der Rest der Lage soll nun vier bis sechs Monate beobachtet werden. Dazu schicke das Amt für Öffentliche Ordnung Personal. »Man muss sich ’dran gewöhnen«, glaubt auch die Dezernentin.

Besonderes Augenmerk will man auch auf die Weiterführung der Route gen Stadthalle legen. Beim Tübinger Tor müssen sich erneut Radler und Fußgänger den Weg teilen, was zu unschönen Begegnungen führt. Der geplante Biergarten beim Tübinger Tor wird die Lage eher verschärfen, fürchtet Bader.

Der Rest von Daniel Scheus Bilanz und Aussicht zeigte Lichtblicke der weiterhin anspruchsvollen Aufgabe, das Radfahren in Reutlingen attraktiver zu machen. Mit vier Vollzeitstellen und einer 25 Prozent-Stelle ist das Task-Force-Team im Rathaus Team am Werk. Plus 0,8 Prozent mehr als 2023: An den meisten der acht Zählstellen nimmt der Radverkehr weiterhin zu. Auf der Fahrradstraße Bellinostraße, die im Schnitt 814 Radler täglich frequentieren, beträgt der Zuwachs satte 18 Prozent. An der meist befahrenen Zählstelle am Tübinger Tor wurden im Schnitt 1.547 Radfahrer gezählt und ein leichter Rückgang um 2,6 Prozent.

Die Beseitigung von Gefahrenstellen steht weiter auf der Agenda ganz vorn. Als neuer Unfallschwerpunkt hat sich die Ausfahrt der Aral-Tankstelle stadteinwärts auf der Straße Am Echazufer entwickelt. Auch die Sondelfinger Straße im Bereich der Kreuzung mit der Föhrstraße muss entschärft werden.

Paul-Pfizer-Straße als Fahrradstraße

Die Fertigstellung der Paul-Pfizer-Straße als Fahrradstraße, der Start des »Verkehrsversuchs« in der Planie waren Großanstrengungen 2024. Letztere war zunächst höchst umstrittten, funktioniert aber unterdessen geräuschlos. Es gab keine Unfälle. An Details wird noch gearbeitet. Viele Kleinbaustellen an verschiedenen Orten wurden bearbeitet. Augenfällig sind die vielen neuen Radständer allerorten. Insbesondere auch am Freibad. Die Bestückung geht weiter. Im Visier unter anderem Marienkirche, Marktplatz und der Bereich der Stadthalle. Mit der Bahn ist man wieder in Gesprächen wegen eines Gebäudeteils, der als Fahrradgarage angemietet werden könnte.

Die Komplettierung der Hauptradrouten aus dem Masterplan Radverkehr sei weiter in Arbeit. Das Routennetz werde dabei teils angepasst. Neuplanungen soll es unter anderem für die Verbindung vom Südbahnhof zur Innenstadt und die Anbindung der Fahrradstraße Charlottenstraße gen Bahnhof und Nordraum geben.

Mit der Durchfahrt durch den von den Stadtbussen nur noch wenig frequentierten ZOB habe man sich intensiv beschäftigt: Die Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft (RSV) sieht Probleme. Das Thema sei aber nicht beiseitegelegt. Man will nun allerdings die Trassenführung der Stadtbahn abwarten, bevor man weiteres Hirnschmalz auf Lösungen verwendet. Nämliches gilt für die Metzgerstraße, die absehbar höhere Bedeutung für Rad- und Fußverkehr erlangen werde.

Alles in allem ernteten Scheu und sein Team Lob und Anerkennung für ihre Arbeit von allen Fraktionen: In Anbetracht »von so wenig Geld, hat es so viel umgesetzt«, resümierte Edeltraut Stiedl: »Danke für die Kreativität.« (GEA)