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Kirche auf Sparkurs: Bronnweiler Pfarrerin sieht Chancen

Pfarrerin Christine Wandel sieht »Raum für neues Denken« bei der Fusion der drei Kirchengemeinden Bronnweiler, Gönningen und Ohmenhausen.

Christine Wandel möchte »über den Kirchturm hinausdenken«.
Christine Wandel möchte »über den Kirchturm hinausdenken«. Foto: Frank Pieth
Christine Wandel möchte »über den Kirchturm hinausdenken«.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN-BRONNWEILER . Die Kirche bleibt im Dorf, nur das Dorf wird größer: Diese Kurzformel gefällt Pfarrerin Christine Wandel außerordentlich gut für das, was aktuell passiert. Spardruck zwingt die evangelische Kirche zu Besinnung. Auch in den drei südlichen Reutlinger Teilorten Bronnweiler, Gönningen und Ohmenhausen sind große Veränderungen im Gang.

»Aufbruchstimmung« sieht die Bronnweiler Seelsorgerin in dieser Umbruchzeit. Sie zwinge ständig, die spannende Kernfrage zu stellen: »Was ist eigentlich die Kernaufgabe der Kirche?«, sagt Wandel im GEA-Gespräch. Anfang Januar hatte sie ihren ersten Sonntags-Doppeldienst, erst in Bronnweiler und dann in Gönningen. Beide Reutlinger Kirchengemeinden sind nun mit Ohmenhausen offiziell zu einer einzigen Gemeinde verschmolzen: »Emmaus« soll sich nun zusammenfinden. Was das bedeutet für die drei Seelsorgenden und ihre Schäfchen, ist längst noch nicht allen Details absehbar.

»Ich bin eine Dorfpfarrerin «

Seit 2017 ist Christine Wandel Pfarrerin in Bronnweiler. Die Fusion könne auch ein »Gewinn« sein, weil sie Raum gewähre, » neu zu denken« – insbesondere auch darüber, was Kirche wieder anziehender machen kann. Für Christine Wandel sind dies zunächst einmal mehr »niederschwellige Angebote« für jedermann wie das Weihnachtssingen unterm Mammutbaum oder das Wunschlieder-Singen in der Kirche.

Eventisierung heißt ihr zweites großes Stichwort. 60 Kinder bei den letzten Kinderbibeltagen sind ein Erfolg, der sich sehen lassen kann. Am Pfingstmontag vergangenen Jahres haben sich 100 Menschen auf einen Marsch entlang der Wiesaz gemacht mit der Pfarrerin und einem Experten vom Tübinger Präsidium. Wasser in der Bibel war dabei ebenso Thema wie die Gefahren durch Hochwasser. Tulpensonntag und Brezelkirche sind Magnete in Gönningen und in Ohmenhausen, die Kinderbibeltage in allen drei Gemeinden. Es gelte, mehr »Highlights« zu setzen, sagt Wandel – dies könne aber eben auch mal im Nachbarort sein.

»Ich bin eine Dorfpfarrerin«, sagt die Mutter zweier Kinder. Ob diese Berufsbezeichnung nach Vollzug der Veränderungen so noch zutreffend sein wird? »Ich weiß es nicht«, räumt die 40-Jährige ein. Bei der Umstrukturierung gehe es ja um die zentrale Frage, »was zentralisiere ich, was lasse ich am Ort«.

Was zwanghaft die Frage nach sich zieht: Wird es in zehn Jahren noch jede Woche einen klassischen Sonntagsgottesdienst in allen drei Dörfern geben? Wandel gibt einen vorsichtigen Tipp fürs Sonntagsprogramm in allen drei Verschmolzenen ab: einen »normaler« Gottesdienst und einen mit Eventcharakter. Auch wenn bekannt ist, dass die Gläubigen zum klassischen Sonntagmorgengottesdienst ungern die Dorfgrenzen überschreiten.

Sie selbst ist bei aller Glaubens-Eventisierung ein Fan auch des klassischen Sonntagvormittagstermins auf der harten Kirchenbank, weil es gut tue, »regelmäßig mit Gott in Kontakt zu kommen, auch mit anderen gemeinsam«.

»Was ist eigentlich die Kernaufgabe der Kirche?«

Unterdessen steht jedoch so mancher Seelsorger sonntags vor ziemlich leeren Bänken. Christine Wandel kann sich glücklich schätzen: 900 Einwohner, 500 Kirchenmitglieder, davon gut 15 bis 25, die sonntags regelmäßig dem Gottesdienst beiwohnen. »Das ist umwerfend« und liege daran, dass es in Bronnweiler »eine Grundfrömmigkeit« gebe, zu der eben auch der Gottesdienstbesuch zähle.

In Sachen Personalkürzung möchte Wandel aus der Not eine Tugend machen. Kirche müsse vom Pfarrer »wegzentriert« werden. Es gelte, den Solidargedanken zu stärken und zu erweitern: Jedes Gemeindemitglied sei Kirche und Ansprechpartner – auch für die, die keine Steuer zahlen wollen – oder können. »Das funktioniert in Bronnweiler schon ganz gut.« Viele Ehrenamtliche prägten das Dorfleben.

Die Umstrukturierung biete somit auch eine gute Gelegenheit, über den Kirchturm hinauszudenken, »der unglaublichen Engführung des Kirchenbegriffs« entgegenzuwirken. Zukunftsweisend ist für die Protestantin die weitere Förderung der Ökumene. Die Kirchen müssten mehr zusammenwachsen, gemeinsame Lösungen mit den Katholiken gefunden werden auch bei den Gebäuden.

»Die vielen Kirchenaustritte sind Altlasten«

Derweil wünscht sich so mancher in Zeiten der zersplitternden Gesellschaft mehr Kraft der gemeinschaftsstiftenden Institutionen zurück. Was ist ein Gemeinwesen ohne einen Mindestkonsens bei seinen Werten? Doch die Vermittler kämpfen. Dass Autoritätspersonen nicht mehr so angenommen werden, gelte auch für die Pfarrer – früher eine Instanz im Dorf. »Die Menschen suchen sich ihre Werte selber zusammen.« Eben bei der Bewertung dieses Überangebots könne die Kirche jedoch helfen: »Da sind wir gut«, findet Wandel. Jeder Pfarrer sei »ein Experte in ethischen Fragen«.

Derweil finden beide Konfessionen den Weg ins Rampenlicht in letzter Zeit vornehmlich nur noch mit zwei Themen: neben dem Sparen sind dies (vertuschte) Missbrauchsfälle. Positive Veränderungen finden derweil zu wenig Widerhall, glaubt die Bronnweiler Seelsorgerin. Hier sei vor allem bessere Öffentlichkeitsarbeit angesagt. »Die Kirche macht viel richtig, wir bewegen uns bereits sehr.« Dies werde von der Gesellschaft aber nicht hinreichend bemerkt. Neulich habe jemand zögerlich angefragt, ob denn auch Rockmusik auf einer kirchlichen Beerdigung möglich sei. Falsche Bilder kursierten hartnäckig: »Wir sind nicht verknöchert.« Sie seien es auch, die Mitglieder aus der Kirche trieben. »Die vielen Austritte sind Altlasten«, ist sie sich sicher.

»Sich ansprechbar machen für alle(s)«

Taufe, Konfirmation, Hochzeiten, Beerdigung: Zu zentralen Eckdaten eines Menschenlebens ist immer noch oft kirchliche Assistenz gefragt. Um das »christliche Erbe« nachhaltig zu vermitteln, ist für Christine Wandel insbesondere jedoch die Glaubenserziehung der Kinder besonders wichtig, »weil oft nicht mehr viel von den Eltern kommt«. Der Religions- und Konfirmandenunterricht, die Betreuung der 16 Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft seien daher eine besonders wichtige Aufgabe der Kirche.

»Sich ansprechbar machen« für alle(s), sei eine der Herausforderungen ihres Berufs. Offene Ohren und offenes Herz kommen ohnehin nicht aus der Mode: Insbesondere wenn Menschen in Krisen stecken oder bei großen Veränderungen wie der Geburt eines Kindes, kehrt laut Wandel so mancher Ausgetretene in den Schoß der Kirche zurück. (GEA)