REUTLINGEN. Drei Fraktionen im Reutlinger Finanz- und Verwaltungsausschuss (FiWA), Finanz- und Wirtschaftsbürgermeister Roland Wintzen sowie die Stadtverwaltung sind sich einig: Wildtiere gehören weder in die Manege noch auf Jahrmärkte. Die Grünen und Unabhängigen im Reutlinger Gemeinderat wollten da mit ihrem Antrag einen Knopf dranmachen: Bereits im März forderten sie, die Stadt möge »kommunale Flächen künftig nur noch an Zirkusbetriebe vermieten, die keine Wildtiere mitführen«.
In die Kategorie Wildtiere fallen der zweitgrößten Fraktion zufolge insbesondere Elefanten, Flusspferde, Giraffen, Großbären, Großkatzen, Nashörner, Primaten und Wölfe. Es sei unmöglich, diese in Zirkussen artgerecht zu halten, weshalb das Umherreisen und die Auftritte »immer Tierquälerei« seien. Mit dem Antrag solle »den Gefahren, die mit der Haltung dieser Tierarten in mobilen Einrichtungen einhergehen«, Rechnung getragen, »dem Tierleid in Zirkussen und Jahrmärkten entgegengewirkt« und auch Gefahren für die Bevölkerung durch ausgebrochene Tiere verhindert werden. Bereits geschlossene Verträge oder Zusagen sollten davon allerdings unberührt bleiben.
Zuständigkeit liegt beim Bund
Der Antrag gehe an die falsche Adresse, merkte Albert Keppler vom Amt für öffentliche Ordnung an. Kommunen seien dafür nicht zuständig. Weil sie die Regelung zur Berufsausübung tangieren, fallen Wildtierverbote in die Zuständigkeit des Bundes - und sind wegen fehlender Rechtsgrundlagen »derzeit unzulässig«.
Nach aktueller Rechtslage sei die Stadt auch nicht befugt, ihre Mietverträge für Flächen auf den Bösmannsäckern und an der Kreuzeiche entsprechend auszugestalten. Trotz der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie müsse sie die Grundrechte Dritter beachten - und dazu gehört die Berufsfreiheit von Artisten, Zirkusbetreibern und Marktbeschickern. Dabei beruft er sich auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom Dezember 2019. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags erklärte dazu, einer Gemeinde stehe es nicht zu, »eigene Regeln zum Tierschutz auf kommunaler Ebene zu entwickeln«.
Entsprechender Gesetzentwurf ist 2021 gescheitert
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hatte 2021 zwar eine Tierschutz-Zirkusverordnung entworfen, die das Zurschaustellen bestimmter Tiere - Giraffen, Elefanten, Nashörner, Flusspferde, Primaten und Großbären - an wechselnden Orten verbieten sowie Haltung, Transport und Training von Zirkustieren über eine Erlaubnispflicht normieren sollte. »Der Bundesrat hat diese Verordnung jedoch abgelehnt, sodass sie nicht in Kraft trat«, erklärte der Amtsleiter.

Da die Diskussion über Wildtiere in Zirkussen damit sicher noch nicht an ihrem Ende ist, werde die Stadtverwaltung »die Entwicklung weiterhin sorgfältig beobachten, bei einer Veränderung der rechtlichen Lage den Gemeinderat informieren und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen«, führte Keppler weiter aus.
Fürs Thema sensibilisieren und Botschaft hinaustragen
Fraktionschef Dr. Karsten Amann ist froh, dass die Stadtverwaltung dem Anliegen der Grünen und Unabhängigen gegenüber aufgeschlossen scheint. Weil aber »leider rechtlich die Handhabe fehlt«, sah er in der jüngsten FiWA-Sitzung von einer Abstimmung ab. Doch gelte es, ein Augenmerk auf das Thema zu richten: Trage man die Botschaft hinaus, verzichteten Anbieter vielleicht freiwillig auf Wildtiere. Denn der Stand der Dinge sei »nicht mit dem Tierschutz vereinbar«. Er appellierte an die zuständigen politischen Ebenen, sich des Themas nochmals anzunehmen.
Die CDU stimmt laut Thomas Bader dem grünen Ansinnen nicht nur zu, sondern findet »sogar auch Pudel und Vögel im Zirkus und auf Märkten völlig artfremd eingesetzt«. Sitzungsleiter Wintzen bemerkte hoffnungsvoll: »Es hat sich gesamtgesellschaftlich seit 2019 doch einiges geändert.«
Jusos waren vor zehn Jahren Vorreiter
Mert Akkeceli (SPD), der mit den Jusos schon 2016 unter Oberbürgermeisterin Barbara Bosch ein allgemeines Verbot von Wildtieren in Zirkussen in Deutschland angeregt und Kommunen aufgefordert hatte, keine Auftritte von Wildtierzirkussen zuzulassen, hakte nach: Wie kann es sein, dass andere Städte trotz der bestehenden Rechtslage Wildtierverbote beschlossen?
»Mit einzelnen Verwaltungen gehen da vielleicht die Leidenschaften durch«, mutmaßte Keppler. Da eine Art Aktivismus an den Tag zu legen, sei aber Ressourcenverschwendung. Schließlich habe das Veterinäramt ein Auge auf Missstände.
Eher symbolische Beschlüsse
Die Tierschutzorganisation Peta gesteht: »Bei den kommunalen Verboten steht die Symbolkraft der politischen Willensbekundung im Vordergrund« – daher führe sie in ihrer Liste weiterhin auch Städte auf, »die ihre Beschlüsse aufgrund der uneinheitlichen Rechtslage zurückgenommen haben«.
Andrea Sperlich vom Reutlinger Weihnachtscircus teilt auf GEA-Nachfrage mit: Aufgrund des generellen Verbots, Wildtiere zu fangen und zu dressieren, biete der Markt ohnehin nur Darbietungen, »die es bereits seit vielen Jahren gibt und deren Tiere in Menschenobhut geboren und aufgewachsen sind«. Diese Tiere könnten in freier Wildbahn nicht existieren. Sie müssen gehalten, verpflegt und beschäftigt werden, was »unheimlich zeitaufwendig und teuer« sei. »Wir als Arbeitgeber sichern den Tierlehrern daher das Auskommen mit ihren Tieren. Sonst haben diese Tiere eine ungewisse Zukunft und müssen in ein anderes Umfeld und sich auf neue Menschen einstellen«, erläutert die Vertreterin des »Circus Relaxx« aus Gomaringen, gegen dessen Elefantennummer Tierschützer im vergangenen Jahr protestiert hatten. Das würde - wie jeder Veterinär bestätige - für diese empfindlichen Tiere viel Stress bedeuten.
Im Weihnachtscircus an der Kreuzeiche, der am 19. Dezember startet, sind dieses Jahr keine Wildtiere zu sehen. Da Sperlichs auf Abwechslung im Programm Wert legten, »variieren auch die Tierdarbietungen jedes Jahr«. 2025 seien »Bauerntiere« wie Ziegen und Hunde neben Clowns, Akrobaten und Roller-Skatern in der Manege zu sehen - und im kommenden Jahr »wahrscheinlich Papageien und Pferde«. (GEA)



