REUTLINGEN. Die Giebel des Katharinenhofes strahlen mit dem blauen Himmel um die Wette. Nach langer und wechselvoller Geschichte ist das Großprojekt jetzt fertig. Im August soll ein Edeka-Supermarkt im Erdgeschoss eröffnen. Zwischendurch hatte das ganz anders ausgesehen. Umso mehr freut sich Marcus Lingel, Chef der Merkur Privatbank mit Sitz in München, die Ende 2022 die Federführung für die Fertigstellung des Projekts übernommen hatte.
»Die Übergabe der Wohnungen ist erfolgt«
»Die Übergabe der Wohnungen ist weitgehend erfolgt. Teilweise sind sie auch schon bezogen«, sagt Lingel im GEA-Gespräch. Nach seinen Angaben haben drei Wohnungen noch keinen Käufer gefunden. Ob die neuen Bewohner der Altstadt wohl den Geistern aus Hollywood, Babelsberg oder Geiselgasteig bei München begegnen?
Wer alt genug ist, erinnert sich noch daran, was früher hier war: Auf den Treppen des Kino »Kali« (Kammerlichtspiele) haben so manche romantischen oder spannenden Filmnächte begonnen. Jetzt sind auf dem von Katharinen- und Hofstattstraße begrenzten Areal 31 zwischen 49 und 158 Quadratmeter große Wohnungen entstanden, zudem eine Ladeneinheit im Erdgeschoss und eine Tiefgarage mit über 50 Stellplätzen für die künftigen Bewohner und für Beschäftigte der benachbarten Kreissparkasse Reutlingen, die ein Grundstück in das Bauvorhaben eingebracht hat. Den schmucken Innenhof können Passanten nicht sehen.
Von Projektkosten in Höhe von 20 Millionen Euro war mal zu Beginn die Rede. Diese Zahl dürfte bei Weitem übertroffen worden sein. »Die ganzen Baukosten sind gestiegen. Vom Vorbesitzer wurden planerische Ausführungsfehler gemacht«, erklärt Lingel, »aber zu den Kosten will ich keine Auskunft geben«. Sicher sei, »das Projekt ist für mich definitiv kein Gewinn«.
Wie das Vorhaben vor einem Jahrzehnt angefangen hat, liest sich heute noch spannend. »Der Investor ist neu, der Name hat sich geändert, und der Wohnungsbau bekommt Priorität – aus dem bislang K 8 benannten Neubauprojekt zwischen Katharinen- und Hofstattstraße wird der Katharinenhof«, schreibt der damalige GEA-Lokalchef Roland Hauser. K 8 war keinesfalls unumstritten. Bis heute finden sich online (https://k8-reutlingen.blogspot.com) Spuren einer niemals eingereichten Bürger-Petition mit dem Titel »Ja zum Erhalt der Katharinenstraße und Schutz der Altstadt in Reutlingen! NEIN zu K 8«.
Neuer Investor und Bauträger wird damals die Exklusiv Wohnwert GmbH mit Sitz in Tübingen. Projektentwickler Jürgen Edelmann, Geschäftsführer der Sepa-Activ Reutlingen K 8 GmbH & Co. KG, war ausgestiegen, weil »jetzt der Wohnungsbau das Hauptthema ist«, während die Kernkompetenz von Sepa-Activ der Handel sei. Eigentlich sollte anfangs ein von Edelmann als Einkaufspassage konzipierter Komplex entstehen. Für eine Zäsur hatte 2014 Edelmanns Entscheidung gesorgt, den Kaufvertrag für das Eckgebäude Katharinenstraße 10, die ehemalige Knödler’sche Buchhandlung, nicht zu verlängern. Seine Begründung damals: zu viel Gegenwind für das »große Projekt in Kombination mit zu hohen Forderungen der Verkäufer«. Aus der Buchhandlung ist heute ein Billigshop geworden.
Das Projekt zieht sich wie Kaugummi. 2016 stellt der neue Gestaltungsbeirat die Planungen – der Bauantrag ist eingereicht – komplett infrage. Anschließend machen nicht nur die Gemeinderatsfraktionen von CDU, Freien Wählern, FDP und – in Teilen – »Wir in Reutlingen« (WiR) mit einem interfraktionellen Antrag Druck für den »Katharinenhof«, auch der Einzelhandelsinitiative »RT aktiv« fordert mehr Tempo. Der Gemeinderat stimmt dem Vorhaben schließlich zu, aber die Abrissarbeiten des Kinos verzögern sich bis Januar 2017.
Nach den Baggern kommen die Archäologen, finden erstaunliche Zeugen der Vergangenheit: Erst Spuren des Stadtbrandes von 1726 und später die Überreste eines Babys. Der Säugling wurde vermutlich im Hochmittelalter (1000 bis 1250) bestattet. Nach langwierigen archäologischen Grabungen begannen die bauvorbereitenden Arbeiten auf dem 2.066 Quadratmeter großen Grundstück schließlich im späten Frühjahr 2020. Es beginnen auch die Jahre, in denen die Corona-Pandemie das öffentliche Leben teilweise lahmlegt – mit allen Konsequenzen auch für diese Baustelle und den Investor. Als im Dezember 2022 die als Bauträger und Bauunternehmen agierende Unternehmensgruppe Exklusiv Wohnwert insolvent ist, kommt das Projekt zum Stillstand.
»Ich habe immer an die Fertigstellung geglaubt«
»Ich habe immer an die Fertigstellung geglaubt. Ich dachte nur, es geht schneller«, erinnert sich Bankier Lingel von der Merkur Privatbank an schwierigste Zeiten. »Der Katharinenhof war ein extrem komplexes Bauvorhaben«, sagt er, »durch unser Engagement wurde etwas Gutes erreicht. Ich bedanke mich, dass alle Beteiligten das Projekt unterstützt und einen Beitrag geleistet haben«. Hinter diesem Dank stecken etwa gestiegene Baukosten, die auch für Wohnungskäufer Konsequenzen hatten – jenseits der strapazierten Geduld.
Erfreut ist Lingel auch, dass nach dem Rückzug von »tegut« mit Edeka-Südwest ein anderer Supermarkt-Betreiber eingestiegen ist. Obschon selbst Migros in der Müller-Galerie nur ein kurzes Gastspiel gegeben hatte. »Wir sehen weiterhin Potenzial für unseren geplanten Markt in der Reutlinger Innenstadt. Die Eröffnung ist für August dieses Jahres geplant. Wir übernehmen die Räumlichkeiten schlüsselfertig und beginnen die Arbeiten für die Inneneinrichtung mit einer leeren Fläche. Die Arbeiten umfassen unter anderem den Einbau von Kühlgeräten und Markttechnik ebenso wie die Regalierung, das Ladendesign und schließlich die Bestückung des Markts mit Ware«, erklärt Edeka-Pressesprecher Florian Heitzmann.
Betrieben werde der neue Markt künftig von der Edeka-Kaufmannsfamilie Härig, »die bereits drei weitere Märkte erfolgreich führt – in Reutlingen-Betzingen, Wannweil sowie Ammerbuch-Pfäffingen«. (GEA)

