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Aktuell Verkehr

Kann die Regional-Stadtbahn noch gestoppt werden?

Die Stadt Reutlingen ist in Geldnot und muss sparen. Manche fragen sich: Warum nicht bei der Regionalstadtbahn anfangen? Der GEA hat mit den Verantwortlichen über Kosten und einen möglichen Ausstieg aus dem Millionen-Projekt gesprochen.

So werden die Tram-Trains der Regionalstadtbahn Neckar-Alb aussehen. So werden die Tram-Trains  der Stadtbahn aussehen.
So werden die Tram-Trains der Regionalstadtbahn Neckar-Alb aussehen. Foto: GRAFIK: TRicon AG
So werden die Tram-Trains der Regionalstadtbahn Neckar-Alb aussehen.
Foto: GRAFIK: TRicon AG

REUTLINGEN. Reutlingen ist finanziell stark angeschlagen. Seit Jahren klagt Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck über Geldsorgen. Finanzbürgermeister Roland Wintzen sprach in einem GEA-Interview jüngst sogar von einer Streichung von Investitionen und theoretischen Sparmaßnahmen, die Kultur, Sport, Bäder oder den Busverkehr treffen könnten. Gleichzeitig wird mit der Regionalstadtbahn Neckar-Alb ein Verkehrsprojekt vorangetrieben, dessen Fertigstellung in weiter Ferne liegt. Die erste Bahn auf einer Neubaustrecke wird laut Prof. Dr. Tobias Bernecker, Geschäftsführer des Zweckverbands, frühestens in der ersten Hälfte der 30er-Jahre fahren. Millionen in die Zukunft investieren, obwohl man sich die Gegenwart kaum noch leisten kann? Teile der Bevölkerung haben dafür kein Verständnis, was sie in persönlichen Gesprächen, Social-Media-Kommentaren und Zuschriften an die Redaktion kundtun. Doch ist ein Ausstieg aus dem Vorhaben überhaupt möglich?

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Die Regional-Stadtbahn Neckar-Alb ist ein regionales Schienenverkehrsprojekt, das die Städte und Gemeinden der Region ­Neckar-Alb verbinden soll.

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Was kostet das Projekt Regionalstadtbahn insgesamt?

Planung und Bau der Regionalstadtbahn Neckar-Alb (RSB) kosten rund 2,17 Milliarden Euro. Die aktuellste Kalkulation stammt aus dem Jahr 2022. Sind diese Zahlen nicht etwas veraltet? »Wenn man sich größere Investitionsprojekte anschaut, ist es sensationell, dass wir Zahlen von 2022 haben«, sagt Prof. Bernecker und betont, dass die Berechnungen, die eigentlich auf 2016 basierten, schon fortgeschrieben wurden. Im Herbst würden neue Zahlen vorliegen, dann auf Basis des Jahres 2024. 360 Millionen Euro sind der tatsächliche kommunale Anteil am Projekt.

Der Rest, laut Bernecker »bis zu 93 Prozent«, wird von Bund und Land gefördert. Bund und Land würden auch potenzielle Baukostensteigerungen prozentual übernehmen. »Im Moment sind wir bei der Regionalstadtbahn sehr seriös im Kostenrahmen unterwegs.« Inwiefern die Kosten noch steigen könnten, könne man nicht seriös beantworten, so die Verantwortlichen unisono - da man sich noch mitten in den Planungen befinde. Der Wirtschaftsplan des Zweckverbandes fürs Jahr 2025 gibt zumindest oberflächlich Einblick in unbekannte Faktoren für die mittelfristige Finanzplanung: Inflation und Energiekrise, Ingenieursmangel, Krise der Baubranche, steigende Personalkosten und einen für bestimmte Phasen noch unbekannten Personalschlüssel.

Wie hoch sind die Anteile für Stadt und Landkreis Reutlingen?

Bau und Planung der Regionalstadtbahn werden die Stadt Reutlingen bis 2037 rund 29,7 Millionen Euro kosten. Für den laufenden Betrieb der RSB muss die Stadt dann nach Inbetriebnahme drei Millionen Euro pro Jahr bezahlen. Den Kreis Reutlingen wird die Stadtbahn nach aktuellen Planungen 100,7 Millionen Euro kosten, für laufende Betriebskosten sind pro Jahr dann vier Millionen Euro eingeplant. Unter »laufende Kosten« fallen: Fahrpersonal und Fahrzeuge, Unterhaltung und Räumung der Infrastruktur, zudem die Refinanzierung des Betriebshofs in Reutlingen.

Wie viel hat die Stadt bislang ausgegeben?

Für Planung, Gutachten, und beispielsweise auch den Bau der beiden Haltestellen Bösmannsäcker und RTunlimited hat die Stadt Reutlingen bisher 3,4 Millionen Euro ausgegeben.

Könnte Reutlingen noch aus dem Projekt Regionalstadtbahn aussteigen?

Auf direkte Nachfrage im Pressegespräch liest Reutlingens Oberbürgermeister Keck zunächst minutenlang aus der Satzung des Zweckverbandes vor. Dort steht sinngemäß, dass ein Mitglied nur aussteigen kann, wenn alle anderen zustimmen. Die sechs Mitglieder sind: Die Landkreise Reutlingen, Tübingen und Zollernalb, die Städte Reutlingen und Tübingen, sowie der Regionalverband Neckar-Alb. Eugen Höschle, der Verbandsvorsitzende, findet schließlich als erster klare Worte: »Die Satzung des Zweckverbands ist stärker als ein Ehevertrag. Juristisch ist ein Ausstieg der Stadt Reutlingen theoretisch möglich. Faktisch ist der Zug nicht aufzuhalten.« Bei einem Ausstieg müsste die Stadt Reutlingen laut Satzung für vieles haften. Außerdem wurde schon viel Geld ausgegeben. TramTrains sind beispielsweise bestellt. Laut Wirtschaftsplan des Zweckverbandes sind zudem Vorgespräche mit Infrastrukturbetreibern der Bahn in vollem Gange und »weit fortgeschritten«.

Stadtbahn in Ludwigsburg vor dem Aus

Ein Blick in eine andere Kommune zeigt: Völlig abwegig ist ein Ablehnungsszenario für eine Innenstadtstrecke nicht. In Ludwigsburg steht das Stadtbahnprojekt Lucie vor dem Aus, da die Stadt sich vor allem aus finanziellen Gründen gegen die Innenstadtstrecke in der geplanten Form ausspricht. Diese würde, nach Abzug aller Fördermittel, rund 30 Millionen kosten - man befindet sich also in einem ähnlichen Kostenrahmen wie in Reutlingen.

Auch die Verbandssatzung dort ist ähnlich: Nur einstimmig kann das Ausscheiden eines Mitglieds aus dem Zweckverband beschlossen werden. Diesen Ausstieg strebt die Stadt laut Ludwigsburger Kreiszeitung (LKZ) aber gar nicht an. Vielmehr soll die Satzung des Zweckverbandes (und damit die als Ziel gesetzte Strecke) verändert werden. Was ebenso an Reutlingen erinnert: Bislang hat Ludwigsburg rund vier Millionen Euro an den Zweckverband für Planungen und mehr bezahlt.

Oberbürgermeister Matthias Knecht sagt in der LKZ, dass neue Streckenvarianten, offene Fragen und eine dramatisch verschlechterte Wirtschaftslage seine Meinung zum Projekt geändert hätten. Der Ludwigsburger Gemeinderat stimmt am 19. November über einen mit Bussen modifizierten Vorschlag für seine Innenstadt ab. (kk)

Könnte der Gemeinderat den Bau einer Trasse auf Reutlinger Gemarkung verhindern?

Es ist zunächst gar nicht so einfach, von Verantwortlichen eine Antwort auf diese Frage zu bekommen. Aus dem Büro von Tobias Bernecker heißt es vorab per Mail: »Der Zweckverband legt größten Wert darauf, dass die Regionalstadtbahn im partnerschaftlichen Miteinander mit den Verbandsmitgliedern und den Gemeinden entlang der Strecke realisiert wird.« Beim Pressegespräch macht Thomas Keck klar: »Der Reutlinger Gemeinderat könnte gegen den Bau einer Trasse auf Reutlinger Gemarkung entscheiden. Das käme dann aber einem generellen Ausstiegswunsch aus dem Projekt gleich.«

Könnte Pfullingen noch aussteigen?

Grundsätzlich kann Pfullingen den Austritt aus dem Projekt nicht beantragen, da die Stadt, anders als Reutlingen, nicht Mitglied des Zweckverbands ist. Der Pfullinger Gemeinderat hat 2023 mehrheitlich beschlossen, dass die Verwaltung beide Trassenvarianten ergebnissoffen prüfen lässt. Außerdem haben die Räte mehrheitlich zugestimmt, »grundsätzlich die Realisierungsabsichten zur Regional-Stadtbahn« zu befürworten. Am 18. November entscheidet das Gremium nun darüber, welche Trassenvariante gebaut werden soll. Und wenn es dabei beide ablehnen würde? Das Landratsamt antwortet diplomatisch: »Grundsätzlich verhindern würde das die Regionalstadtbahn und eine Trasse durch Pfullingen nicht. Vielmehr würden sich Zweckverband und Landratsamt um eine gemeinsame Lösung mit der Stadt bemühen und dazu zunächst nochmals in den Austausch gehen.« Pfullinger Kommunalpolitiker formulieren es einfacher: Man kann nicht mehr entscheiden, ob, sondern nur noch wo.

Wurden wegen der prekären finanziellen Lage je Einsparungen bei der Regionalstadtbahn erwogen?

»Jedes zweite Jahr diskutieren wir im Kreistag, was wir uns in Zukunft leisten können. Dabei sprechen wir auch über die Regionalstadtbahn«, sagt Ulrich Fiedler und ergänzt: »Wenn sie beispielsweise das Werkstattszenario betrachten, haben wir eine Lösung gefunden, die weit wirtschaftlicher ist, als ursprünglich geplant.« Auch bei der Beschaffung der Fahrzeuge habe man eine immense Einsparung innerhalb des Projekts erzielt. Laut Tobias Bernecker ist auch der Zweckverband selbst eine riesige Einsparung. »Wir sind jetzt durch die Leistungsphase 2 durch. Im Vergleich zu dem, was es gekostet hätte, das alles auf dem freien Markt nach aktuellen Preisen einzukaufen, haben wir 45 Prozent der Kosten eingespart, dadurch, dass wir das in kommunaler Verantwortung selbst getan haben.« Bei der Stadt Reutlingen seien Einsparungen bei der RSB jedoch kein Thema gewesen: »Gerüttelt haben wir nicht. Die Dinge sind mit hoher Verbindlichkeit festgelegt«, sagt Thomas Keck.

Wo könnte Reutlingen an der Regionalstadtbahn noch sparen?

Da ein kompletter Ausstieg, faktisch fast unmöglich ist, bleibt der Stadt als einzige signifikante Sparmaßnahme im Prinzip nur noch, die günstigste Trasse zu bauen. Das wäre nach dem Ergebnis einer aktuellen Machbarkeitsstudie die Gartenstraße. Dafür würden 140 Millionen Euro Baukosten anfallen, von denen die Stadt etwa 5,6 Millionen Euro tragen müsste.

Warum lässt Reutlingen die Bürger nicht über die Trassen-Varianten entscheiden?

Im September 2021 sprachen sich 57,39 Prozent der Tübinger gegen eine Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn aus. In Reutlingen stehen aktuell noch drei Trassen-Varianten zur Debatte, den Favoriten wählen hier aber nicht die Bürger: »Ich bin überzeugt, dass wir keinen Bürgerentscheid brauchen«, sagt Thomas Keck und ergänzt: »Erstens, weil Reutlingen lange eine Straßenbahnstadt war, und alle, mit denen ich spreche, sich darauf freuen, bald wieder eine zu werden. Und zweitens, weil die gewählten Vertreter der Bürgerschaft im Gemeinderat über die Innenstadttrasse entscheiden werden.«

Was sagen die Verantwortlichen zu den kritischen Stimmen bezüglich der Kosten?

Sparmaßnahmen auf der einen - ein Millionen-Projekt auf der anderen Seite: Grundsätzlich kann Thomas Keck verstehen, dass das für den ein oder anderen Bürger ein Widerspruch ist. Allerdings sei das Thema kompliziert und viele Kritiker kämen zu einer anderen Meinung, wenn man es ihnen ordentlich erkläre. »Wir haben viele öffentliche Veranstaltungen angeboten, die alle sehr gut besucht waren. Trotzdem ist es natürlich schwierig, Menschen mitzunehmen, die inhaltlich gar nicht einsteigen, sondern einfach nur Kritik äußern wollen.« Eugen Höschele ergänzt: »Wir haben beispielsweise Spaziergänge veranstaltet, weil es uns wichtig war, dass die Menschen aus erster Hand erfahren, wo mal ein Zug fahren könnte.« Man sei nie müde geworden, etwas kritisch zu diskutieren.

Warum glauben die Verantwortlichen, dass die Regionalstadtbahn erfolgreicher wird als das Buskonzept?

Mit dem 2019 eingeführten Buskonzept hat in Reutlingen schon einmal ein mit viel öffentlichen Geldern gefördertes ÖPNV-Projekt nicht so funktioniert, wie erhofft. Während Corona brachen die Fahrgastzahlen ein, danach steckte die RSV in finanziellen Schwierigkeiten. Daraufhin wurden einige Verbindungen abgeschafft und Takte reduziert. Erst nach aufwändiger Sanierung erholten sich die Fahrgastzahlen wieder. Etwas Derartiges werde der Regionalstadtbahn jedoch nicht blühen, sind sich die Verantwortlichen einig. »Ich bin sicher, dass die Menschen auch in Zukunft versuchen wollen, günstig und bequem von A nach B zu kommen«, sagt Thomas Keck. Ulrich Fiedler und Tobias Bernecker nennen als Grund für ihren Optimismus Regionalstadtbahn-Vorhaben in anderen Städten, die allesamt erfolgreich gewesen seien. Eugen Höschele präzisiert: »Es gibt kein vergleichbares Projekt, das nicht funktioniert hat.« (GEA)