KREIS REUTLINGEN. Die Idee einer Stadtbahn für die Region Neckar-Alb ist alt. So alt, dass die Unken schon tönen, ein solches Mammut-Schienenprojekt sei überholt. Zu teuer. Aus der Zeit gefallen. In der Tat reichen die ersten Ideen und Untersuchungen ins Jahr 1994.
Nicht immer fuhr die Bahn unter Volldampf. Die Absage der Tübinger Bürger an eine Innenstadtstrecke war ein Tiefpunkt der Historie. Doch jüngst wurde ein buchstäblich wegweisender Markstein erreicht: Der Zweckverband der Regional-Stadtbahn präsentierte Mut machende Vorplanungen für den Verlauf der Neubaustrecken im Landkreis Reutlingen (der GEA berichtete). Kurzbilanz: Für alle Trassenabschnitte gibt es mindestens eine umsetzbare Lösung, teils sogar machbare Varianten dazu.
Stadtbahnfans hoffen nun auf (noch) mehr Zug im Verfahren – insbesondere auch im Hinblick auf die Streckenführung durch die Reutlinger Innenstadt, die ja neuralgische Funktion für die Neubaustrecke gen Schwäbische Alb hat. Auch in Pfullingen wird noch diskutiert. Die ausstehenden Entscheidungen sollen in den Gemeinderäten bis Herbst getroffen werden.
Sobald die endgültige Trasse feststeht, soll laut Zweckverband zügig mit den Vorbereitungen für das Planfeststellungsverfahren begonnen werden. Dabei ist vorgesehen, dass die »Echaztalbahn« ausgehend vom Reutlinger Hauptbahnhof Richtung Engstingen »Schritt für Schritt in Betrieb geht«. Als Zieljahr für die Fertigstellung des letzten Teilstücks der Echaztalbahn bis Engstingen ist das Jahr 2033 angesetzt.
Auf der Website des Zweckverbandes ist die ausführliche Werbung nachzulesen für eine Vision, die sich weiter ihren Weg in die Wirklichkeit bahn. Einige Fakten daraus sind im Folgenden zusammengefasst.
Netz mit Kniff
Der Kniff der Stadtbahn: Sie nutzt 200 Kilometer bereits vorhandene Schiene in der Region (siehe auch Übersichtskarte). Davon werden 137 Kilometer neu elektrifiziert. Einzelne Abschnitte erhalten ein zweites Gleis. Nur 38 Kilometer werden neu gebaut oder reaktiviert. Im Gesamtnetz entstehen 55 neue Haltepunkte, die mit einem halbstündlichen Grundtakt bedient werden sollen, zur Rushhour öfter. Auf eigenem Gleis soll die Bahn staufrei ankommen, auf zentralen Strecken umstiegsfrei. 85.000 Fahrgäste, so sagen die Verkehrsmodelle voraus, werden mit Tickets von Naldo oder »bwegt« mobilisiert.
Zusammen wachsen
Die Stadtbahn ist ein wichtiges Gemeinschaftsprojekt der Landkreise Reutlingen, Tübingen und Zollernalb. 700.000 Menschen leben hier. Eine Herausforderung ist dabei die Anbindung des ländlichen Raumes. Stellt doch der Pendlerverkehr eine große Belastung für Umwelt, Geldbeutel und nicht zuletzt die Nerven dar. Von Engstingen auf der Alb direkt nach Reutlingen City ohne Umstieg in einer halben Stunde und von dort direkt weiter über Tübingen nach Entringen heißt eine der Antworten der Stadtbahn.
Ökologisch wertvoll
Ein Auto stößt im Schnitt 147 Mikrogramm Treibhausgase pro Personenkilometer aus, die Stadtbahn verursacht 58 Gramm. Eine voll besetzte Bahn ersetzt über 150 Pkw. Sie ist, wie die Oberhäupter der beteiligten Städte und Gemeinden immer wieder hervorheben, »das größte Klimaschutzprojekt der Region«. Sie soll als »Rückgrat eines starken Umweltverbundes« auch die Lust auf Multimodalität erhöhen und so Autoverkehr reduzieren.
Konjukturprogramm
Die bestehende Verkehrsinfrastruktur in der Region Neckar-Alb sei »an ihrer Belastungsgrenze angekommen«, heißt es beim Zweckverband. Die Wirtschaft freut sich über leistungsfähige Infrastruktur mit fließenden Verkehr – Staus kosten Geld. Der Bahnbau soll auch als Konjunkturmotor für die regionalen Baufirmen fungieren. Auch Nutzer profitieren wirtschaftlich – so rechnet der Zweckverband vor: Betrachtet man die Gesamtkosten eines Autos hinsichtlich Wertverlust, Betriebskosten, Fixkosten für Wartung und Reparatur, kostet jeder gefahrene Kilometer zwischen 40 und 60 Cent. Berechnungen des Statistischen Bundesamt ergäben für die Nutzung des ÖPNV gerade mal 16 Cent pro Kilometer.
Kosten und Finanzierung
Zuletzt wurden vom Zweckverband Baukosten in Höhe von rund 1,7 Milliarden Euro sowie rund 400 Millionen Euro Planungskosten veranschlagt (Stand: 2022). Über 80 Prozent davon sollen als Fördergelder von Bund und Land fließen. Die verbleibenden Kosten werden nach einem festen solidarischen Finanzierungsschlüssel unter den Projektpartnern aufgeteilt. So soll beispielsweise der Anteil der Planungs- und Baukosten für die Stadt Reutlingen bei rund 29 Millionen Euro liegen, die sich aber auf die Jahre 2023 bis 2037 Jahre verteilen. Später sei dann mit etwas weniger als 3 Millionen Euro Betriebskosten pro Jahr für die Stadt Reutlingen zu rechnen.
Schnell, sicher, komfortabel im Tram Train
Der renommierte Fahrzeughersteller Stadler mit Sitz im schweizerischen Bussnang liefert das elektrische Zweisystem-Fahrzeug: Der Tram Train kann nahtlos zwischen Eisenbahn- und Straßenbahnstrecken wechseln. Das Land Baden-Württemberg beschafft bis zu 87 Fahrzeuge. Ab Ende 2027 sollen die ersten 30 auf Schienen in die Region Neckar-Alb unterwegs sein: Barrierefrei mit breitem niveaugleichem Ein- und Ausstieg und ausreichend Mehrzweckflächen sollen sie gerade auch Passagieren mit Rollstuhl, Rollator oder anderen Handicaps das Nutzen öffentlicher Mobilität erleichtern. Und an der Haltestelle wartet dann irgendwann einmal ein autonomes Fahrzeug, das Fahrgäste die letzten Kilometer weiter zu seiner Wohnung chauffiert – so die Vision der Stadtbahner.
Blick nach hinten
1994 entstehen erste Ideen und wissenschaftliche Untersuchungen im Umfeld der Tübinger Universität für eine Gesamtkonzeption zum Schienen-ÖPNV in der Region Neckar-Alb. 2008 wird eine Projektgruppe gegründet. 2012 liefert eine Standardisierte Bewertung erste Einschätzungen zu Kosten, Nutzen und Förderfähigkeit. Weitere Studien auch zu den einzelnen Modulen folgen und grünes Licht aus Stuttgart für die Förderung. 2019 wird der Zweckverband gegründet. Den Start ins Modul markieren Spatenstiche auf Erms- und Ammertalbahn. Ein Tiefpunkt der Geschichte: Der Tübinger Bürgerentscheid 2021 gegen die Planung einer Innenstadtstrecke. Ende 2022 wird mit der Elektrifizierung und Anpassung der Haltestellen entlang der Ammertalbahn (Herrenberg-Tübingen) und der Ermstalbahn (Tübingen-Reutlingen-Bad-Urach) der erste Abschnitt des Gesamtkonzeptes in Betrieb genommen. Holpern tut’s weiter an den neuen Haltestellen Bösmannsäcker und RT-Unlimited in Reutlingen, deren Inbetriebnahme ist nun frühestens 2026 anvisiert. Auch der Halbstundentakt auf der Ermstalbahn verzögert sich (aktuell vorgesehen zum Fahrplanwechsel im Dezember). Ein interner Meilenstein wurde 2023 gesetzt: Der Zweckverband Regional-Stadtbahn Neckar-Alb erhält nach einer Satzungsänderung weitergehende Kompetenzen für Planung, Bau und Betrieb der Bahn. (GEA)
Interaktive Karte des Trassenverlaufs
Der Zweckverband Regional-Stadtbahn Neckar-Alb hat die Ergebnisse der Vorplanung zur Regional-Stadtbahn im Landkreis Reutlingen fürs Internet aufbereitet: Ab sofort können Interessierte sich mithilfe einer interaktiven Karte auf der Website des Zweckverbands zum aktuellen Planungsstand der Bahnstrecken im Landkreis Reutlingen informieren.
Die Karte stellt alle Trassenvarianten von Ohmenhausen über Betzingen, Reutlingen, Pfullingen und Lichtenstein bis Engstingen übersichtlich dar, die während der Vorplanung genauer untersucht werden. Durch Anwendung von Filtern kann sie all diese Varianten auf einmal anzeigen oder nur die nach den ersten Untersuchungsergebnissen zunächst zurückgestellten – nebst den Erläuterungen, warum sie zurückgestellt wurden. Die Karte zeigt auch, wo Haltestellen entstehen sollen.
Zusätzlich stehen zahlreiche Informationspunkte mit weiterführenden Erläuterungen zu den Planungen bereit. Es gibt zudem die Möglichkeit, direkt über die Karte bei den Planenden des Zweckverbands Fragen zum Projekt einzureichen. Auf der Website des Zweckverbands stehen auch die Planungsunterlagen zur Einsicht bereit.
Nach den intensiven Bürgerbeteiligungsveranstaltungen in den Anliegergemeinden des Landkreises Reutlingen in den Jahren 2022 und 2023 gestalte der Zweckverband den Planungsprozess mit diesem digitalen Angebot auch weiterhin »transparent«, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbands.
Bis zum Abschluss der Vorplanung im Frühjahr 2026 bleibe diese interaktive Karte »ein zentrales Informationsinstrument« des Zweckverbands zu den Straßenbahnstrecken im Landkreis Reutlingen. Sie werde auch mit den weiteren Planungsergebnissen der kommenden Monate ergänzt und aktualisiert. (eg/GEA)