REUTLINGEN-SONDELFINGEN. Wie kaum ein anderes Lebewesen sorgen Tauben in deutschen Städten für Gesprächsstoff und Handlungsbedarf. Denn die »Ratten der Lüfte« machen sich breit und breiter. Mancherorts explodieren die Populationen geradezu: Begünstigt durch achtlos weggeworfene Essensreste, die den Flattermännern und -frauen einen stets üppig gedeckten Tisch garantieren; begünstigt aber auch durch den Klimawandel, der verlängerte Brutzeiten ermöglicht und die Jungtiersterblichkeit infolge nahezu frostloser Winter minimiert.
Doch was den Tauben dienlich ist, bereitet den Menschen Sorge. Zumal die Hinterlassenschaften der fortpflanzungsfreudigen Vögel in jeder Hinsicht anrüchig und vor allem ätzend sind. Ihr Kot sieht nicht nur unappetitlich aus, sondern greift auch Bausubstanz an. Getreu der Devise: Steter Schiss höhlt den Stein.
Gefürchtet ist das massenhafte Auftreten von Tauben jedoch vor allem deshalb, weil sie Krankheiten auf den Menschen übertragen können. Etwa die Salmonellose oder die Listeriose. Beides bakterielle Infektionen, die schlimmstenfalls zum Tode führen. Wiewohl Experten wie der Reutlinger Leiter des Reutlinger Kreisveterinäramts, Dr. Thomas Buckenmaier, diesbezüglich den Ball betont flach halten - und der Panikmache in den Sozialen Medien Fakten entgegenhalten. Danach geht kein signifikant erhöhtes Gesundheitsrisiko von Stadttauben aus. Jedenfalls dann nicht, wenn Menschen den direkten Kontakt zu Federvieh und Exkrementen meiden.
Dessen ungeachtet erhitzt die invasiv anmutende Ausbreitung der gurrenden Vögel trotzdem die Gemüter. Auch und gerade in Reutlingen, wo Tauben schon häufig für Schlagzeilen sorgten. Man denke diesbezüglich nur an die wiederholten und teilweise von Tierschützern sabotierten Vergrämungsmaßnahmen unter der Eisenbahnbrücke im Bereich Unter den Linden. Man denke aber auch an Klagen über Taubenplagen in Rommelsbach sowie an den Bau von Taubenhäusern - auf dem Dach des Reutlinger Rathauses (2015), beim Dresdner Platz in Orschel-Hagen (2017) und jüngst auf der alten Paketpost.
Aktuell ist es Sondelfingen, das ein erhöhtes Taubenaufkommen meldet. Gesichtet wurden hier größere Schwärme erstmals im Frühsommer. »So etwas gab es bislang nicht«, sagt Eva Meinhardt-Müller. Als Vize-Bezirksbürgermeisterin für die Geschicke des Fleckens mitverantwortlich, hat sie das Turteln auf Sondelfingens Dächern fotografische dokumentiert. Andere ihrer Schnappschüsse legen nahe, dass die auffällige Tauben-Zunahme das Resultat menschlicher Unvernunft ist. Konkret: Immer wieder ist Meinhardt-Müller auf Gehwegen - etwa im Bereich des Friedhofs, unter der Brücke »Roanner Straße« sowie im Dunstkreis der örtlichen Bäckerei- und Metzgereifiliale - großflächig ausgebrachtes Vogelfutter vor die Linse gekommen: Mais- und andere Körner, die indes nicht nur für Tauben ein gefundenes Fressen sind.
Denn was den »Ratten der Lüfte« die Kröpfe füllt, goutieren auch Ratten der Kanalisation. Weshalb Sondelfingens Bezirksgemeinderäte dringend an die Bürgerschaft appellieren, jedwede Fütterung einzustellen. Zumal Tauben überaus standorttreue Kreaturen sind, die - wenn sie sich einmal häuslich eingerichtet haben - nur mühsam zu einem Umzug überreden lassen.

Ein solcher ist in Orschel-Hagen übrigens geglückt. Dank eines hier installierten und von der GWG-Wohnungsgesellschaft finanzierten Taubenhauses. In nächster Nachbarschaft zum Dresdner Platz postiert, wurde das Etablissement gut angenommen. Zuvor, entsinnt sich Edeltraut Stiedl von der Interessengemeinschaft Einkaufen und Leben in Orschel-Hagen (Igeloh), hatten sich Anwohner-Beschwerden gehäuft, weil Tauben etliche Balkone mit Beschlag belegt und sich nicht einmal von Netzen hatten abwehren lassen. »Die wurden von den Tieren zerpickt«, weiß Stiedl.
Erst der Taubenschlag schaffte Abhilfe. Wiewohl es rund zwei Jahre dauern sollte, bis Orschel-Hagens turtelnde Vögel die Annehmlichkeiten ihres exklusiven Domizils schätzen lernten. »Das ging nicht von heute auf morgen. Da brauchte es Geduld.« Und einiger Lockvögel sowie eines Zwei-Mann-Betreuungsteams, das sich seit 2017 um die Hege und Pflege des Taubenhotels und seiner Bewohner verdient macht: um Säuberung, Fütterung und Eiertausch. »Bis zu drei Mal pro Woche wird nach dem Rechten geschaut. Denn Taubenhäuser sind keine Selbstläufer.«

Außerdem sind sie nicht zum Schnäppchenpreis zu haben. Die Einrichtung in Orschel-Hagen hatte damals mit »rund 25.000 Euro« zu Buche geschlagen, die auf dem Reutlinger Rathausdach sogar mit 45.000. »Eine teure Investition, aber eine, die jeden Cent wert ist«, so die Igeloh-Aktivistin: »Taubenhäuser wirken« und könnten mithin auch für Sondelfingen eine Lösung sein. Theoretisch. Denn in der Praxis fehlt es an Geld für derlei Projekte. »Was das betrifft, hatten wir mit der GWG großes Glück.«
Ein Glück, auf das Sondelfingen mutmaßlich nicht hoffen darf. Weshalb es umso wichtiger ist, Taubenfütterungen konsequent zu unterbinden. Zumal das Ausbringen von Körnern und Krumen in Reutlingen qua Polizeiverordnung ja ohnedies untersagt ist. Wer sich dabei erwischen lässt, muss laut Torben Engelhardt, stellvertretender Leiter des Ordnungsamts, mit einem Bußgeld von 100 Euro rechnen, im Wiederholungsfall auch mit deutlich mehr. »Bis zu 5.000 Euro«, sagt Engelhardt, können fällig werden. (GEA)



