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Aktuell Klima I

Hochwasserschutz: Betzingen steht auf der Prioritätenliste ganz oben

SER-Experte Torsten Müller informiert im Betzinger Rat über Hochwasser- und Starkrisikomanagement.

Voll erwischt, nicht nur am 28. Juni: Betzingen ist die am stärksten vom Hochwasser betroffene Bezirksgemeinde. ARCHIVFOTO: NIET
Voll erwischt, nicht nur am 28. Juni 2021: Betzingen ist die am stärksten vom Hochwasser betroffene Bezirksgemeinde. Foto: Markus Niethammer
Voll erwischt, nicht nur am 28. Juni 2021: Betzingen ist die am stärksten vom Hochwasser betroffene Bezirksgemeinde.
Foto: Markus Niethammer

REUTLINGEN-BETZINGEN. Betzingen war im Sommer so schlimm wie keine andere Bezirksgemeinde vom Hochwasser betroffen. Umso größer das Interesse an einem Konzept, mit dem die Stadt solchen Auswirkungen des Klimawandels begegnen will: dem Hochwasser- und Starkregenrisikomanagment, das Torsten Müller, Fachgebietsleiter bei der Stadtentwässerung Reutlingen (SER), in der jüngsten Ortschaftsratsitzung vorstellte. Er informierte über die vielen kleinen und großen Maßnahmen, die in Betzingen umgesetzt sind und das, was noch geplant ist, um einsatzfähig zu sein und größere Schäden zu verhindern. »Wir haben eine lange Strecke vor uns«, meinte der Experte, »aber mit dem Handlungskonzept haben wir einen Meilenstein.«

Hochwassergefahrenkarten, Gefährdungs- und Risikoanalysen, Flussgebietsuntersuchungen – Müller stellte ausführlich das vielschichtige Konzept (der GEA berichtete) vor, das in Handlungskonzepte zur Vermeidung beziehungsweise Minderung von Schäden münden soll. Deren Umsetzung ist, so Müller, aufwendig, zeit- und personalintensiv und erfolgt nach einer Priorisierung. »Betzingen ist durch seine Betroffenheit weit vorn.«

»Die Reihenfolge muss zwingend eingehalten werden«

Reutlingens größter Stadtbezirk ist nicht erst seit dem Hagelsturm und Starkregen im Juni »Hotspot« beim Hochwasser, sondern wurde schon 2002 böse erwischt. Seither ist die Stadt aktiv. Müller erinnerte an den naturnahen Ausbau der Echaz und des Breitenbachs Im Wasen, an der Meisterschule und der Jettenburgerstraße, an die Profilierung der Steinachstraße und andere, kleinere Maßnahmen, die zum »Entwicklungskonzept Echaz – Gewässerentwicklung und Hochwasserschutz« gehören.

Noch umfassender die aktuellen Bausteine des Konzepts mit Neubau der Brücke Hans-Roth-Weg, der naturnahen Umgestaltung des Bereichs »Goosgarten« sowie des Geländes der früheren Gärtnerei Baisch, wo es demnächst losgeht. Fehlt noch die Beseitigung des »Flaschenhalses« an der Meisterschule, wo es noch immer am Grunderwerb klemmt. Ohne diese Maßnahme kann aber der, so Müller, »finale Schluss« in der Steinachstraße mit Neubau der Brücke an der Hoffmannstraße und Hochwasserschutzmauer nicht gestartet werden. »Die Reihenfolge muss zwingend eingehalten werden.« Und, erinnerte er: »Erst, wenn alle fünf Bausteine umgesetzt sind, ist der Schutz vor Überschwemmungen bis zu einem hundertjährigen Hochwasser wirksam.«

Nach dem Hochwasser im Juni hatten Betroffene aus der Stauffenberg- und Goerdelerstraße der Stadt vorgeworfen, dass sie unten an der Echaz viel, aber oben bei ihnen nichts tut für den Hochwasserschutz. Was Müller in der Sitzung mit Fakten widerlegte. 2003 wurde mit hydrologischen Untersuchungen des nördlichen Leyrenbachgebiets begonnen, um das Risiko durch Überschwemmungen zu minimieren. Neben anderen Optionen prüften die Gewässerexperten den Bau eines Regenrückhaltebeckens, der sich aber als technisch nicht machbar erwies. Man entschied sich für ein Grabensystem, das 2008/2009 im Zusammenhang mit dem Integrierten Hochwasserschutzkonzept angelegt wurde. Einläufe wurden nachgebessert und regelmäßig kontrolliert, der Leyrenbach in der Schickhardt-straße aufgeweitet und anderes mehr. Insgesamt hat die Stadt in den Betzinger Hochwasserschutz etwa elf Millionen Euro investiert.

»Wir hoffen, dass die Maßnahmen nicht an den Finanzen scheitern«

Detailliert ging der Fachbereichsleiter für Gewässer und Hochwasserschutz auf das Starkregenrisikomanagement für Reutlingen ein. Aus der komplizierten Materie ging eine gute Botschaft für Betzingen hervor, denn mit der Kernstadt war der am stärksten betroffene Vorort bei den Untersuchungen zuerst an der Reihe. Die »Arbeitspakete« Vorarbeiten/Datenerhebung, -sichtung, -auswertung, Aufstellen des hydraulischen Modells, Berechnung von drei Starkregenszenarios und Erstellung einer Starkregengefahrenkarte sind geschnürt, fehlt nur noch die Risikoanalyse und das Handlungskonzept, das 2023 fertig sein soll. Auf dessen Grundlage und mit vielen weiteren Erkenntnissen soll es möglich werden, »vor die Zeit des Großschadenseregnisses zu kommen«, so Müller, um Einsätze besser strukturieren, organisieren und die Bürger schützen zu können.

Mindestens genauso lang wie Müllers detaillierter Vortrag dauerte die Beantwortung der vielen, meist kritischen Fragen, die vorab per Mail, aus der Einwohnerfragestunde und von den Ortschaftsräten kamen (siehe unten stehenden Artikel). Doch es gab auch Lob für den SER-Fachmann und sein Team. Er freue sich, dass es die SER gebe, sagte Bezirksbürgermeister Friedemann Rupp. »Andere können nicht auf einen so großen Fachkräftepool zurückgreifen. Ich fühle mich gut betreut.« Die Konzepte zum Starkregen- und Hochwasserrisikomanagement sei »wunderbar«, meinte Lothar Richter. Und ergänzte mit Blick auf den Haushalt: »Aber wie sieht’s mit der Priorisierung aus? Wir hoffen, dass die Gelder lockergemacht werden und die Maßnahmen nicht an den Finanzen scheitern.« (GEA)