REUTLINGEN. Nichts, behauptet der Volksmund, werde so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Was in hiesigen Gefilden insbesondere auf Insekten zutrifft. Zwar hatten die proteinreichen Krabbler vor vier Jahren - nachdem die Europäische Union erstmals grünes Licht für die Verarbeitung von Kerbtieren in Lebensmitteln erteilt hatte - die Gemüter der Konsumenten ganz erheblich erhitzt. Übrig geblieben ist von diesem öffentlichen Sturm der Entrüstung allerdings wenig mehr als ein laues Lüftchen. Eines, das sich - wie Medienberichte nahelegen - momentan allenfalls in Bäckereien, nicht aber in Speiselokalen bemerkbar macht.
Deshalb mal vor Ort nachgehakt: Sind verbackene oder frittierte, gebratene, geröstete oder kandierte Insekten in Reutlingen Thema? Was sagen Passanten in der Planie, Vertreter des Gastronomiegewerbes und des Bäckerhandwerks dazu?
Für Natalie Schäfer ist klar: »Der hysterische Hype um Würmer oder Maden als Nahrungsmittel hat sich mittlerweile erledigt. Meines Erachtens war er ein mediengemachtes Phänomen« und habe in der Achalmstadt niemals eine tragende Rolle gespielt. »Ich konnte bisher jedenfalls keine Insekten auf den Speisekarten entdecken und vermisse sie auch nicht. Denn so etwas würde ich niemals bestellen. Das könnte ich gar nicht runterwürgen.« Auch dann nicht, wenn Mehlwürmer und Grillen - weil pulverisiert oder zu einer Hackfleisch-ähnlichen Masse verarbeitet - optisch unauffällig wären? »Dann vielleicht, aber ich dürfte unter keinen Umständen wissen, was da konkret auf meinem Teller liegt.«
Derweil Volker Roller-Kuhn auf einer Geschäftsreise schon einmal Insekten verspeist hat. »In Peking«, erklärt er, »gelten die Viecher als Gaumenschmaus«. Er selbst hat gegrillte Seidenraupenpuppen und Tausendfüßler auf dem berühmten Wangfujing-Nachtmarkt verkostet und sie »in durchaus leckerer Erinnerung behalten«. Allerdings gibt der Stuttgarter zu, dass ihn der Verzehr zunächst Überwindung gekostet hatte. »Es ist ja nicht nur das Auge, das mitisst, sondern auch das Gehirn. Man kaut und es ist würzig und knusprig, schmeckt eigentlich gut - solange bis man darüber nachdenkt, was man da im Mund hat.«
Deutlich ausgeprägter: der Gaumengrusel bei Renate Schmidt. »Insekten essen? Nein. Igittigitt!«, macht sie ihrem Ekel lautstark Luft und verrät, dass dieses Ernährungsthema bislang ungestreift an ihr vorbeigegangen ist. Weder hat sie die einstigen, noch die aktuellen Diskussionen über Würmer im Brot oder Heuschrecken zum Snacken verfolgt. »Und das ist auch gut so. Schon allein beim Gedanken daran wird mir speiübel.«
Derart heftig reagiert Linda Janssen zwar nicht, weist den Verzehr von Krabbeltieren aber trotzdem entschieden von sich. »Für mich«, lässt die 57-Jährige wissen, »hört die Esskultur bei Ungeziefer auf«. Janssen müsse sich, betont sie, »schon in einer extremen Notlage oder im Dschungelcamp befinden«, um Gewürm zu essen.
»Für mich hört die Esskultur bei Ungeziefer auf - Linda Janssen«
Und Detlev Pichler? Zu was würde er eher greifen - zu Wiener Schnitzel oder zu Spinne am Spieß? Da muss der Österreicher lachen. »Vor diese Wahl gestellt, würde ich Gemüsesuppe bevorzugen. Denn ich ernähre mich vegan.«
Anders Daniel Ohl, der sich als Pressesprecher der Stuttgarter Dependance des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) ein wenig über die Frage nach Insekten-Gerichten wundert. Die seien derzeit nämlich eine Randerscheinung und darob nicht im Gespräch. »Mir liegen keine Zahlen über Gastronomiebetriebe vor, die Insekten auf der Speisekarte haben.« Käfer und Co. fristen seiner Einschätzung nach ein Nischendasein in deutschen Landen. »Sie sind eben nicht Teil unserer Kultur, sind zu exotisch.« Im Übrigen brauche sich niemand Sorgen machen, dass ihm hälinga irgendwelches Getier untergeschoben wird. So etwas verhindere, so Ohl, die Deklarationspflicht.
Ob er selbst schon einmal Würmer, Heuschrecken und Co. verkostet hat? »Nein, noch nie. Ich würde es aber bedenkenlos tun. Prinzipielle Vorbehalte habe ich keine.«
In diesem Punkt ist sich Kim Mylonas, Vorsitzender der Reutlinger Gastro-Initiative (RGI) weniger sicher. »Ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob ich Insekten probieren würde.« Was Mylonas indes ziemlich sicher weiß, ist, dass in den Reutlinger Restaurants nach Vielem gefragt wird, aber nicht nach Gliederfüßlern in den Menüs. Hier drehen sich Nachfragen »eher um allergene Stoffe und Glutamat. Aber Insekten? Nein. Das wäre mir neu.«
Alles andere als neu ist das Thema hingegen in den Reutlinger Bäckereien. Schon vor einem starken Jahr schwappte eine Welle der Besorgnis in die örtlichen Handwerksbetriebe hinein. Jetzt rollt sie zum zweiten Mal an, haken Kunden wieder häufiger nach, ob in den Backwaren beispielsweise der Buffalowurm drin ist.
»Es macht doch gar keinen Sinn, dem Teig pulverisierte Insekten hinzuzufügen - Hans Wucherer«
Sie tun dies unter anderem am Verkaufstresen von Bäckermeister Hans Wucherer, der aus eben diesem Grund Plakate der Deutschen Bäckerinnung aufgehängt hat, die klarstellen, dass »in unseren Bäckereien keine Insekten verbacken« werden.
»Weshalb sollten wir das überhaupt machen?«, wundert sich Wucherer. »Es macht doch gar keinen Sinn, dem Teig pulverisierte Insekten hinzuzufügen.« Umso weniger, als Krabbeltiere aller Art ihren habhaften Preis haben. »Die sind richtig teuer« – und dabei absolut entbehrlich. (GEA)