REUTLINGEN. So schlimm wie dieses Jahr war es noch nie. Die Augen tränen, das Gesicht ist gerötet, die Nase ist zu. Vier Wochen am Stück kann sie nur durch den Mund atmen, so sehr sind die Nasenschleimhäute zugeschwollen. »Da wirst du irre«, sagt die Frau, die anonym bleiben möchte. »Und Schlafen ist in diesem Zustand sehr schwierig.«
Die Frau aus der Reutlinger Region ist starke Allergikerin. Seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr plagt sich die heute 61-Jährige durch den Frühling. Wenn die Welt zu neuem Leben erwacht und es viele Menschen raus in die Natur zieht, beginnt für sie der alljährliche Spießrutenlauf - Arztbesuche, Apothekeneinkäufe, Inhalations-Sitzungen. Für Letztere hat sie sich ein spezielles Gerät gekauft. Die Prozedur hilft hin und wieder, ist aber zeitaufwendig. Von Jahr zu Jahr wächst der Medikamenten-Berg: Anti-Histamine, Augentropfen, Nasen- und Hustensprays. Zusätzlich nutzt die Allergikerin einen Luftreiniger, der knapp 2.500 Euro kostet. Der filtert die Pollen aus der Zimmerluft, damit deren Konzentration reduziert wird. Dazu wird sie sich noch ein feinmaschiges Schutzgitter fürs Schlafzimmer kaufen. Ihre Krankheit kostet Geld.
Die Arbeit leidet unter der Allergie
Baumpollen der Frühlingsblüher wie Birke, Erle und Esche plagen die Frau - und ganz besonders die Gemeine Hasel. Die Pollensaison der Bäume und Sträucher beginnt - durch den Klimawandel begünstigt - häufig schon im Januar und dauert bis Ende Mai. »In diesen Monaten bin ich nicht fit und ohne Energie«, erklärt sie. Zu den bekannten Beschwerden kommen noch Halsschmerzen, da sie so viel durch den Mund atmen müsse. Das stört besonders nachts: mit der verstopfte Nase ist an Durchschlafen nicht zu denken, der permanent gereizte Hals schwächt die 61-Jährige zusätzlich. »Ich trage fast das ganze Jahr einen Schal.«
All das wirkt sich auch auf ihre Arbeit aus. »Ich muss mich immer wieder für ein paar Tage krankmelden, wenn es zu schlimm wird«, erklärt die Allergikerin. Bei drei verschiedenen Ärzten ist sie in Behandlung - ihrem Hausarzt, einer HNO-Ärztin und einem Lungenspezialisten. Denn vor ein paar Jahren ist sie an einem leichten Asthma erkrankt. »Das ist bei langjährigen Allergikern fast sichere Sache, dass es so weit kommt«, weiß sie.
Seit vergangenem Jahr versucht die Betroffene nun auf ärztlichen Rat eine Hyposensibilisierungs-Therapie. Dabei werden - wie bei einer Impfung - dem Körper kleine Dosen der schädlichen Stoffe gespritzt. So soll sich das Immunsystem an die Eindringlinge gewöhnen und beim tatsächlichen Pollen-Befall nicht mehr so stark reagieren. Vier Sitzungen waren dafür anberaumt, in der Zeit von Oktober bis Dezember. Doch ihr Körper reagierte so heftig auf die geringen Dosen, dass mehr Behandlungen mit noch schwächeren Impfungen nötig waren. »Die allergische Reaktion in diesem Jahr ist viel schlimmer als vormals«, sagt die 61-Jährige. Ob das allerdings mit der Therapie zusammenhänge, könne sie nicht sagen. »Mein Arzt denkt das nicht.« Hyposensibilisierung ist beim Großteil der Behandelten erfolgreich - wirkt aber besser, je jünger die Patienten sind. Mit dem Abklingen der Baumpollen-Saison geht es in die zweite Runde der Hyposensibilisierung. Und 2025 dann nochmal.
Kreuzallergien belasten zusätzlich
Akut - gegen die extrem gereizten Nasenschleimhäute - habe ein Medikament mit Cortison nun Linderung gebracht. »Das will ich aber nicht regelmäßig nehmen«, sagt die Frau aus der Region. Allgemein wolle sie nicht so viele Pillen schlucken. Anti-Histamine, die bei Allergikern zum Standard-Repertoire gehören, gehören aber zum Alltag - ebenso wie die Vermeidung bestimmter Lebensmittel. Über die Jahrzehnte haben sich zudem Kreuzallergien entwickelt. »Beim Kartoffelschälen juckt es zwischen den Fingern«, erzählt sie. »Und ich kann keine Schwammpilze essen, da wird's mir schlecht. Ebenso reagiere ich mit Reizerscheinungen im Hals, würde ich eine Haselnuss essen.«
Viele Haushalt-Tricks hat sie schon versucht. Ihr Geheimtipp: »Ringelblumensalbe unter die Nasenlöcher schmieren.« Die sei schön fett und die Pollen blieben eventuell daran kleben. Ein selbst gemischtes, hoch dosiertes Wasserspray als Spülung, das sie auf Empfehlung versucht hat, habe sie aber nicht vertragen. »Das war zu hardcore«, sagt die Frau mit einem Augenzwinkern. Bei all den Beschwerden gilt aber für sie: »Ich gehe auch während der Baum-Pollenzeit raus.« Sie lebt ganz normal weiter - auch, wenn die passionierte Motorradfahrerin hin und wieder auf eine Tour verzichten muss, weil die Allergie sie zu stark einschränkt. (GEA)